Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1
ßen. Die neue Zeit beginnt ja gerade erst.
Der VW-Chef vertraut darauf, dass die Poli -
tik den Wandel kräftig subventionieren
wird: »Das ist ein gesellschaftliches Anlie-
gen.« Tatsächlich sieht der Entwurf des Kli-
makabinetts höhere Zuschüsse als bisher
für Elektroautos vor. Am 4. November ist
ein Autogipfel im Kanzleramt geplant, bei
dem es um die Frage geht, wie Regierung
und Industrie der E-Mobilität endlich zum
Durchbruch verhelfen können. Denn bishe-
rige Anreize verpufften: Von den 1,2 Mil -
liarden Euro Kaufprämie, die Regierung
und Industrie bereitgestellt haben, riefen
die Kunden bis Mitte 2019 gerade mal ein
Drittel ab. Doch selbst wenn die Wette von
Diess aufgeht und die Kunden ihm seine E-
Autos abkaufen – auf das Autoland Deutsch-
land kommen trotzdem harte Zeiten zu.

Am Stammsitz von ElringKlingerin Det-
tingen werden Zylinderkopfdichtungen ge-
fertigt, für fast alle großen Hersteller. Das
Produkt erinnert an eine Schablone, mit
der sich vier Kreise malen ließen, ein ton-
nenschweres Stanzwerkzeug sticht dafür
Löcher in ein Metallband, in die später je
ein Zylinderkopf passt. Die sensiblen Bau-
teile müssen starken Erschütterungen und
hohen Temperaturen standhalten, sie dich-
ten den Verbrennungsraum des Motors ab.
In Elektromotoren wird nichts mehr ver-
brannt. Für ElringKlinger, Weltmarktfüh-
rer für Zylinderkopfdichtungen, ist das ein
Problem. Etwa 90 Prozent des Umsatzes
von 1,7 Milliarden Euro hängen vom Die-
sel- und Benzinmotor ab. Ersetzen VW,
Daimler, BMW und all die anderen Kun-
den in den nächsten Jahren große Teile ih-
rer Diesel- und Benzinerflotte durch E-Au-
tos, brechen in Dettingen Aufträge weg.
»Der Druck der Hersteller auf die Zu-
lieferer hat massiv zugenommen in der
letzten Zeit, sie verhalten sich kurzsichtig«,
sagt ElringKlinger-Chef Stefan Wolf. Er
trägt die grauen Haare nach hinten ge-
kämmt und ist als Vorsitzender des Arbeit-
geberverbands Südwestmetall so etwas
wie der Klassensprecher für all die Zulie-
ferer rund um Stuttgart und auf der Schwä-
bischen Alb. Obwohl lange dabei, ist Wolf
kein »petrol head«, der sich ganz dem Ver-
brennungsmotor verschrieben hätte. Sein
zweiter Dienstwagen ist ein Tesla.
Die Transformation werde nur gelingen,
wenn man den Zulieferern Luft lasse, sie
mitzugestalten, sagt Wolf. Schließlich hät-
ten die Hersteller ihre Zulieferer jahrelang
getriezt, die Dieseltechnologie zu perfek-
tionieren. Was die Luft für Unternehmen
wie ElringKlinger zusätzlich verknappt:
Die Hersteller versuchen, einen größeren
Anteil der Produktion wieder selbst zu er-
ledigen, um Jobs zu retten, die mit der Ab-
kehr von Diesel und Benzin wegfallen wer-
den. Die mächtigen Betriebsräte drängen
auf dieses »Insourcing«.

»Viele kleine und mittlere Zulieferer, die
am Verbrennungsmotor hängen, werden
die Transformation nicht schaffen«, sagt
Wolf. »Der Zug fährt jetzt schon ver-
dammt schnell, es ist sehr schwer, da noch
aufzuspringen.« Die Gusswerke Saarbrü-
cken, Eisenmann, Weber Automotive sind
in diesem Sommer in die Insolvenz gegan-
gen, das waren große Mittelständler mit
bis zu 3000 Beschäftigten. Bei Continental
stehen 20 000 Jobs auf der Kippe, beim
Schwesterkonzern Schaeffler fallen weite-
re 1300 Stellen weg, bei Bosch 1600, Mah-
le baut ebenfalls Arbeitsplätze ab. Elring-
Klinger und andere stellen sich auf Kurz-
arbeit ein, beim Stiftungsunternehmen ZF
gehen die Arbeitnehmer auf die Barrika-
den, weil sie eine massive Verlagerung von
Jobs und Fabriken ins Ausland befürchten.
Anders als nach der letzten Rezession
2009 wird diesmal viel vom verlorenen Ge-
schäft nicht zurückkommen, weil Autos
sich jetzt so grundlegend verändern. Der
Wandel trifft die Zulieferer oft stärker als
die Autobauer selbst, die weiterhin Fahr-
zeuge aus Komponenten montieren wer-
den, wenn es auch andere sein werden. Und
er hat auch gesellschaftliche Folgen: Die
vielen Betriebe, die sich auf den Bau von
Autoteilen spezialisiert haben, sitzen und
produzieren häufig in ländlichen Regionen,
die ohne sie als strukturschwach gelten wür-
den. ElringKlinger ist auf der Schwäbischen
Alb zu Hause, Schaeffler oder Brose sitzen
in Franken, ZF am Bodensee, Hella oder
Benteler in Ostwestfalen, sie alle sind re-
gional immens bedeutende Arbeitgeber.
ElringKlinger-Chef Wolf hat das Drama
kommen sehen. »Ich habe mich schon vor
15 Jahren gefragt, was ist, wenn es mal keine
Verbrennungsmotoren mehr gibt. Dann wä -
re diese Firma irgendwann obsolet gewor-
den.« Daher investierte er früh in neue Pro-
dukte. ElringKlinger hat seine Produktions-
anlagen so entwickelt, dass der Konzern
jetzt auch Teile für die Fertigung von Brenn-
stoffzellen liefern kann, sogenannte Bipo-
larplatten und ganze Module. Ein paar Fer-
tigungsstraßen weiter baut die Firma schon
seit 2011 Komponenten für Batterien. Erster
großer Kunde dafür war BMW mit seinem
Pioniermobil i3. »Wir sind im Prinzip fertig
mit der Transformation«, sagt Wolf.
Das hilft nur nichts, solange die deut-
schen Autobauer noch nicht fertig sind.
Und sie sind nicht fertig.
Ullrich Fichtner, Simon Hage, Martin
Hesse, Gerald Traufetter, Bernhard Zand
Mail: [email protected],
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Titel

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