Der Spiegel - 26.10.2019

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Kronprinz litt an wahnhafter Selbstüber-
schätzung. Wenn man die bedeutendsten
Helfer Hitlers aufzählen würde, wäre er
nicht unter den ersten 300. Er wird auch
in der Literatur zur NS-Machtergreifung
kaum erwähnt.
SPIEGEL:Wo stand er politisch?
Clark:Der Kronprinz war ein extremer
Reaktionär mit einer brutalen politischen
Moral. Sein Vater, Kaiser Wilhelm II.,
hatte ihn schon 1913 aus Berlin verbannt,
weil er ihm einen Putsch zutraute. Das
gibt uns einen Eindruck von diesem Typen:
Er war sogar zu rechts für den letzten
Kaiser.
SPIEGEL:Prinz von Preußen, heute Ober-
haupt der Hohenzollern, hat gegenüber
der »Zeit« erklärt, sein Vorfahr sei zwar
»mal vom Weg abgewichen«, aber »kein
Unterstützer Hitlers« gewesen.
Clark:Diese Meinung steht ihm selbstver-
ständlich zu, aber ich teile sie nicht. Um
im Bild zu bleiben: Der Kronprinz war nie


auf dem Weg, sondern immer querfeldein
unterwegs. Der Mann sympathisierte mit
dem Nationalsozialismus, er wollte Hitler
helfen. Er war am sehr rechten Rand des
bereits sehr weit nach rechts reichenden
politischen Spektrums der ausgehenden
Weimarer Republik. Hitler hatte ihm 1926
die Wiedereinführung der Monarchie in
Aussicht gestellt, und der Kronprinz war
so dumm, das zu glauben. Wie viele ande-
re Konservative auch, meinte er, Hitler für
seine Zwecke nutzen zu können. Und wie
so viele hat er sich getäuscht. Das ist die
Tragödie Deutschlands in jener Schicksals-
stunde. Es sind ja eben nicht die Linken,
die in diesem Schlüsselmoment versagt ha-
ben, sondern die Konservativen aus den
alten Eliten.
SPIEGEL:Was ist mit dem Aufruf, mit dem
der Kronprinz 1932 den NSDAP-Chef bei
den Wahlen zum Reichspräsidenten unter-
stützte? Laut Wilhelm brachte das den
Nazis rund zwei Millionen Stimmen.

Clark:Da kann man nur lachen. Der Mann
war eine Flasche. Er wurde nicht mal in mo-
narchistischen Kreisen ernst genommen.
SPIEGEL:Sie machen den Kronprinzen zu
klein. Hitler hat in der Endphase der Wei-
marer Republik gefürchtet, er würde bei
Wahlen gegen ihn verlieren.
Clark:Hitler hat vieles gefürchtet, wofür
es keine Grundlage gab.
SPIEGEL:Der in Edinburgh lehrende His-
toriker Malinowski ist Gutachter des Lan-
des Brandenburg und damit Ihr Gegner ...
Clark:... ich schätze ihn sehr. Unsere Ein-
schätzungen zum Kronprinzen trennen
nur Nuancen. Im Grunde ist das eine Frage
der Perspektive.
SPIEGEL:Wirklich? Ihre Gutachten kom-
men zu entgegengesetzten Urteilen. Laut
Malinowski war der Kronprinz keines-
wegs eine Randfigur.
Clark:Dass Malinowski und ich im juristi-
schen Kontext gegeneinander ausgespielt
werden, sagt nichts über das fachliche

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MARLENE GAWRISCH/WELT / ULLSTEIN BILD URSULA BLAU / BPK
Hohenzollern-Chef Prinz von Preußen in Potsdam, Hitler-Unterstützer Wilhelm um 1934
»Ich glaube an so etwas wie das Urteil der Weltgeschichte, und die Familie muss mit diesem Urteil leben«
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