Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

Luxuslebensmitteln basiert – diese
Hummerkaviartrüffeljakobsmuschelküche,
»Premium Food« heißt das in der Szene.
Robert Rädel gehört zur anderen Fraktion.
»Wir haben erst mal geschaut, was man
da draußen nicht essen kann«, sagt Rädel.
Über den Rest machten sie sich dann Ge-
danken.
Flechten, Bärlauch, Knöterich, Fette
Henne, Wachsbohne, Sellerieferment: So
steht es auf den Einmachgläsern in der
Küche, im Vorratsraum. Einlegen, beizen,
fermentieren. Mit einfachen Dingen Auf-
regendes anzustellen, das ist die Idee.
Bei Hummer, Kaviar und so weiter ist
es so, dass der Koch sich unterzuordnen
hat, er muss sie zur Geltung bringen, sie
glänzen schon für sich.
Anders ist die Hierarchie bei dicken
Bohnen. Oder bei Sellerie. Dinge, bei de-
nen nicht der Materialwert zählt, sondern
die Idee, die Verarbeitung, die Präzision.
Die Schlichtheit wird zelebriert. In der
Karte schreibt man nicht mehr über »Trilo-
gien« auf dem Teller oder »Dialoge« oder
»Harmonien«, sondern nennt die Zutaten:
Stör. Paprika. Graupen. Oder: Taube. Pfir-
sich. Pfifferlinge. Was die Dinge dann mit-
einander anstellen, soll überraschen.
Es sieht nicht aus, wie es früher aus -
sehen musste, um Michelin-Testern zu ge-
fallen: weißes Tischtuch, Silberbesteck und
ein Herr in Pinguinfarben, der hinter dem
Gast steht und die frische Serviette reicht,
bevor man gemerkt hat, dass die andere
vom Schoß gerutscht ist.
Der Gastraum im »Oben«: skandina-
visch schlicht, mit dunklem, rohem Holz.
Es sehe nicht wie ein Restaurant aus, son-
dern wie ein Wohnzimmer, sagen miss-
trauische Leute – »ihr Dummerle, genauso
soll es aussehen«, denkt Hofbauer dann,
so erzählt er. Früher jedenfalls hätte es für
ein Lokal wie das »Oben« wohl keinen
Stern gegeben. Aber auch Michelin hat
sich verändert. Dem Tester jedenfalls ge-
fielen der »liebevoll und wertig designte
Gastraum« und das »Menü mit 13 kreati-
ven, regional geprägten Gängen«.
Das nicht billig ist. 120 Euro nehmen
sie für ein Menü.
120 Euro, sagt Hofbauer, könne man
»auch für andere nicht strikt lebensnotwen-
dige Dinge« ausgeben.
Stimmt eigentlich, man kann es. Es ist
gar nicht schwer.
Ein Ticket fürs Tina-Turner-Musical
zum Beispiel, Reihe 25. Oder Spezialpoli-
turbehandlung fürs Auto. Oder eine Cryo-
Kälteplattensitzung im Schönheitsstudio.
Aber warum muss ich die kompletten
13 Gänge nehmen, warum kann ich nicht
sagen: Ich will nur die Hälfte?
»Im Theater sagen Sie auch nicht: Ich will
nur den zweiten und den fünften Akt«, sagt
Michl, Hofbauers Anwalt. Hofbauer sagt:
»Oder in der Oper: Ich mag keinen Bass.«


Beim 12. Gang von 13, dem Dessert, hat
sich die Kunst auf dem Tisch ins Gegen-
ständliche gewagt. Auf dem Teller liegt ein
Luftballonstrauß aus Kirschen, Kremtup-
fen und Schokolade. Mit einem Michelin-
Männchen unten dran, das den Luftbal-
lonstrauß hält.
Der Michelin-Stern – er kam im Februar
dieses Jahres und platzte mitten in die
rechtlichen Streitigkeiten.
Einen schwer nachvollziehbaren Rechts-
streit inzwischen, oder nicht? Die Stadt
will, dass die Hofbauers Gastronomie be-
treiben. Das tun sie. Welche Gastronomie,
ist nicht definiert. Warum unbedingt Be-
rufung einlegen? Wo, Herr Eckert, ist das
Problem?
»Dass man Verträge einhalten muss!«
Für den Lokalpolitiker Eckert ist die Er-
öffnung, von der die »Rhein-Neckar-Zei-
tung« schrieb, einfach nur »ein Fest« ge-
wesen, »eine Privatfeier«. Als es darauf
ankam, habe es kein Lokal gegeben.
Und wenn schon, jetzt ist da Gastrono-
mie, mit Stern sogar, die Stadt hat, was sie
wollte, noch mal, wo ist das Problem?
»Da wurde gemahnt und nachgefragt
und nachgefragt und gemahnt. Und irgend-
wann ist auch mal Tuck.«
Das Gericht sah das anders.

Das Gericht sah es so: Die Stadt hat,
was sie wollte, und könnte Ruhe geben.
Außerdem sei die »Dienstbarkeit« im
Grundbuch nicht wirksam, sie sei zu lö-
schen. Jemanden zwingen, ein Lokal zu
führen? Wenn die Stadt unbedingt ein Aus-
flugslokal dort wollte, steht sinngemäß im
Urteil, hätte sie etwa den Alten Kohlhof
verpachten sollen. Und überhaupt, wenn
das Lokal so notwendig ist – warum ist es
dann nur notwendig bis 2022? Das Urteil
sagt es nicht so, aber es klingt, als ob sich
da jemand verrannt hat, und es ist nicht
die Seite, die das Restaurant betreibt.
Bleibt eine Frage, nach 13 Gängen in
Hofbauers »Oben«.
Rentiert sich der Laden?
»Nein«, sagt Michael Hofbauer. »Wir
zahlen drauf.«
Also werden Sie doch bald dichtma-
chen? Und einfach nur hier wohnen? Oder
das Ganze teuer verkaufen?
»Quatsch. Es ist doch absurd, dass man
sich einen Stern erkocht und dann sagt:
Ätsch, wir lassen es. Ich sage Ihnen: Wir
werden das selbstverständlich weiterbe-
treiben.«
Und wie machen Sie das?

»Nennen wir es – Quersubventionie-
rung. Kommen Sie morgen mit. Ich werde
Ihnen etwas zeigen.«
Am nächsten Tag geht die Fahrt in ein
Gewerbegebiet nach Wiesloch bei Heidel-
berg zu einem Unternehmen, nein, einem
Campus, mit einem Pool in der Mitte, fla-
chen Bauten und Büroarbeitsplätzen, die
nach Kinderzimmer aussehen. Auf dem
Campus steht ein Endzwanziger mit kur-
zer Hose und durchtätowierten Armen
und Beinen. Das ist Florian Hofbauer, in
seinem Start-up.
Produziert werden hier Maschinen, aus
denen Dampf kommt wie bei Espresso -
maschinen. An deren Düse hält man einen
Becher, zum Beispiel mit Ei darin. Das er-
gibt Rührei. Nach 15 Sekunden. Und es
schmeckt? Nach Rührei, tatsächlich.
Man kann auch andere Substanzen un-
ter die Düse halten und erhält dann Por-
ridge. Oder eine Art Schokokuchen oder
etwas, das Michael Hofbauer großspurig
als Kässpätzle angekündigt hat, das aber
nicht so schmeckt.
Eine Maschine dieser Art will das Start-
up auch für Privathaushalte auf den Markt
bringen, bisher wird sie eher für Fast-Food-
Anbieter verkauft, gern zusammen mit der
Kuchen- oder Porridgesubstanz, die es auf-
zuschäumen gilt. Florian Hofbauer war
mit seiner Maschine auf der Internorga, es
laufe gut, sagt er.
Das ist die Quersubvention.
Das Rührei unten subventioniert oben
die Kunst auf dem Teller.
Oder doch nicht Kunst?
Zwei Wochen nach dem Besuch in Hei-
delberg kommt eine Mail von Michael Hof-
bauer. Er hat weiter gedacht. »Anders als
beim modernen Verständnis von Kunst,
die heute autonom und keinem bestimm-
ten Zweck mehr verpflichtet ist, findet die
sprichwörtliche ›Kochkunst‹ doch weiter-
hin über (möglichst) alle fünf Sinne Zu-
gang zu unserem Gehirn, wo positive Emo-
tionen ausgelöst werden sollen.
Hässlichkeit und unangenehmer Ge-
schmack scheiden als künstlerisches Aus-
drucksmittel von vornherein aus. Welcher
Gast würde schon Geld für Speisen be -
zahlen, die, vielleicht um unsere Fast-
Food-Generation anzuprangern, ekelerre-
gend dargeboten werden?
Kochen scheint mir deshalb doch eher
eine Art Botschaft an einen bestimmten
Empfänger und damit zweckbestimmtes
Design zu sein.«
Der Zweck ist, dass man das Produ -
zierte in sich aufnimmt, sich einverleibt,
im wörtlichen Sinne, was bei keiner Wag-
ner-Oper und keinem Cranach-Gemälde
und keiner Shakespeare-Tragödie ge-
schieht.
Eigentlich müssten Künstler die Könner
am Herd beneiden.

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 65

Es klingt so, als ob sich da
jemand verrannt hat, und
es ist nicht die Seite, die
das Restaurant betreibt.
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