Der Spiegel - 26.10.2019

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sah grundsätzlich kein Problem darin, ei-
nen Rechtsextremen mit einem Auftritt
auf einer MDR-Veranstaltung zu adeln.
Das sei eine »rein journalistische Heran-
gehensweise«, schrieb Wildermuth an die
Adresse entsetzter Kollegen. Man wolle,
dass mit den Protagonisten eine kritische
Debatte entstehe. »Auch mit Rechtsaußen.
Das ist unbequem und umstritten. Aber
kein No-Go für uns.«
Die übrigen Teilnehmer der Podiums-
diskussion sahen das anders. Nach der


  • Mit der MDR-Moderatorin Wiebke Binder und den
    Politikern Martin Dulig (SPD) und Jörg Urban (AfD).


zweiten öffentlichen Absage zog auch der
Sender die Notbremse und verbannte
Österle von der Bühne ins Publikum. Man
hätte gern »den breiten Dialog geführt«.
Es ist eine Position, die auch Karola Wille
teilt. Dialogveranstaltungen mit Rechts -
populisten, sogar Rechtsextremen kön -
ne man führen, solange deren »Äuße -
rungen klar journalistisch eingeordnet
werden«.
Mit der Frage, wie man mit Rechten re-
den sollte, ringt nicht nur der MDR. Aber
ihm fällt es ganz besonders schwer. Nir-
gends ist der Anteil von AfD-Wählern so
hoch wie in seinem Sendegebiet.

Als in MDR-internen Foren scharf über
die Chemnitz-Dokumentation debattiert
wurde, stellte ein Mitarbeiter die Recher-
chen seines eigenen Senders infrage.
Hetzjagden? Habe er keine gesehen, nur
Notwehr von »friedlichen Demonstran-
ten«. Sein Vertrauen in die Berichterstat-
tung, schrieb der Mann, sei leider nicht
mehr so groß.
Intendantin Wille sagt, bei der Einord-
nung rechter Aussagen habe auch ihr Sen-
der Luft nach oben, man habe bei öffent-
lichen Veranstaltungen Gelegenheit, Leute
gegen rechtsextremes Gedankengut zu
»immunisieren«. Eine Woche nach der
missglückten Podiumsdiskussion in Chem-
nitz unterzeichnete sie den Beitritt ihres
Senders zur »Charta der Vielfalt«.
»Der MDR musste über die Jahre ler-
nen, mit sehr, sehr hysterischer Kritik zu
leben«, sagt Boris Lochthofen, und oft sei
sie unbegründet. Der 44-Jährige leitet das
Landesfunkhaus Thüringen und wirbt für
einen differenzierten Blick. Schließlich sei-
en es MDR-Redakteure gewesen, denen
im NSU-Untersuchungsausschuss nament-
lich gedankt werde. Und MDR-Kamera-
leute, die mit voller Ausrüstung rückwärts
eine Treppe hinuntergestoßen wurden.
Nirgends in Deutschland werden so vie-
le Journalisten attackiert wie im Sende -
gebiet des MDR, allein bei den Ausschrei-
tungen in Chemnitz 2018 kam es inner-
halb von 24 Stunden zu neun Angriffen.
Die Anstalt beschäftigt dieser Tag bis
heute. Das liegt aber weniger an Rechts-
extremen als, wieder mal, an Konflikten
mit der Westverwandtschaft.
Kurz nachdem der MDR die Partner
mit Beiträgen aus Chemnitz beliefert hatte,
trudelte in Sachsen ein Brief der ARD-Hör-
funkdirektoren ein, der die Qualität der
Arbeit verriss. »Heftig« sei die Kritik ge-
wesen und im Tonfall »nicht akzeptabel«,
schreibt MDR-Sachsen-Chef Sandro Viroli
in internen Briefen. Es habe sich der Ver-
dacht aufgedrängt, dass sein Haus »nicht
auf Augenhöhe« gesehen werde.
Die MDR-Intendantin möchte weg von
der Außenseiterposition, sie will sich pro-
filieren, auch mit einem besseren Pro-
gramm. Sie hat den Eindruck, dass sie sich
mehr beweisen muss als ihre Kollegen.
Zur Wahl in Thüringen soll das gelingen.
Wiebke Binder wird erneut moderieren,
die Panne bei der Sachsenwahl wurde ana-
lysiert und besprochen: Eine »bürgerliche
Koalition« soll nicht wieder vorkommen.
Und dann sagt Wille einen Satz, über
den sie selbst stolpert, weil er so absurd
klingt: »Wir sehen unsere Zukunft ganz
klar in der ARD.« Ein bisschen klingt es
so, als würde der Osten bekannt geben,
dass er sich weiterhin als Teil Deutschlands
versteht. Anton Rainer
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 83

CLEMENS BILAN / EPA-EFE / REX

MDR
Ausschnitt aus ARD-Wahlsendung*, Kabarettist Steimle: »Sehr, sehr hysterische Kritik«
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