Neue Zürcher Zeitung - 18.10.2019

(Barry) #1

50 GESELLSCHAFT Freitag, 18. Oktober 2019


Auf dem Laufsteg wird es bunt

Noch nie waren so viele schwarzeModels in Werbekampagnen und Magazinen zu sehe n.


Ist die Mode besonders progressiv, ode r vermarktet sie nur plakativ gese llschaftliche Trends?VON SILKE WICHERT


«Keine Schwarzen,keine sonstigen Min-
derheiten», so lauteten dieVorgaben an
die Modelagenturen in NewYork noch
Mitte der nullerJahre.Designer und
Modemarken hatten ziemlich genaue
Vorstellungen davon, welche Mädchen
sie damals auf denLaufstegen sehen
wollten – oder vor allem, welche nicht.
Gut zehnJahre später haben sich die
Vorlieben offensichtlich geändert.Im
Frühjahr 20 19 verzeichnete die ameri-
kanischeWebsite«T heFashion Spot»,
dieregelmässig einen «Diversity-Index»
veröffentlicht, bei den grossen Schauen
in NewYork, London, Mailand,Paris
den bisher grössten Anteil asiatischer
und schwarzer Models: Nach lediglich
15 Prozent imJahr 20 15 waren es jetzt
gut 35 Prozent.
Die Modewochen, die vorletzte
Woche zu Ende gingen, bestätigten das
Bild. Ob bei Chanel, Akris oder Dior –
überall waren Models verschiedener
Hautfarben und unterschiedlicher Her-
kunft zu sehen.Vor allem bei den Zeit-
schriftentiteln, lange Zeit ungefähr so ab-
wechslungsreich wie das Erscheinungs-
bild vonBarbie in den fünfzigerJahren,
zeigt sich dieTendenz. Die19-jährige
SudanesinAdut Akech war im Septem-
ber auf gleich vier«Vogue»-Titeln zu
sehen, zurzeit ziert sie die japanische
«Vogue». Die britischeAusgabe fotogra-
fierte das dunkelhäutige ModelJourdan
Dunn, die italienische wurde vonWil-
low undJaden Smith, den Kindern des
SchauspielersWill Smith, fotografiert.
Die Anzeigen für Burberry, Boss, Sal-
vatoreFerragamo zeigen es ebenfalls:
Schwarze Modelssind derzeit überall.
DieFrage ist: Sind sie auch die neue
Normalität? Oder sind sie nur ein vor-
übergehenderTr end?
Die Modewelt war in den vergange-
nenJahrzehnten oft progressiv und an
wichtigen gesellschaftlichen Entwick-
lungen beteiligt. Sie schneiderte der
liberalenJugend der Sechziger einen
freizügigen Minirock oder verpasste
der arbeitenden, emanzipiertenFrau
eine «Power»-Garderobe.Vor allem
in der Schwulenbewegung zeigten sich
Designer, Modefotografen und Stylis-


ten früh besonders engagiert. Im New
Yorker KaufhausBarney’s fand 1986
einer der ersten Spendenaufrufe bezüg-
lich Aids statt, bei der Madonna und das
Topmodel Iman inJeansjacken model-
ten, dieKünstler wieKeith Haring und
AndyWarhol veredelt hatten. In den
neunzigerJahren wurden die Schaufens-
ter dort mit Hochzeitstorten dekoriert,
die gleichgeschlechtliche Paare zeig-
ten, lange bevor die «Same Sex Mar-
riage» legalisiert wurde. In den letzten
Jahren gab es erneut zahlreicheKollek-
tionen inRegenbogenfarben, von Bur-
berry bis Levi’s, die die LGBT-Bewe-
gung feierten und teilweise finanziell
unterstützten. Doch so progressiv und
plakativ die Mode den Zeitgeist wider-
spiegelt,soklar istauch, dass sie letzt-
lich opportunistische Motive verfolgt:
positive Imagebildung, neue Zielgrup-
pen ansprechen.

MenschenzweiterKlasse


Wenn man allerdings davon ausgeht,
dass sich jeder Mensch morgens Klei-
dung anzieht, hat die Modewelt einen
grossen Teil der Bevölkerung über
Jahre stur ignoriert. Schwarze kamen
inFrauenzeitschriften grösstenteils gar
nicht vor, immer mit der Begründung,
die meisten Leserinnen fühlten sich
nicht angesprochen.Dass sie damit um-
gekehrt sämtliche nichtweissenKun-
dinnenausgrenzten–ein Anteil, der in
Amerika bei etwa 40 Prozent liegt –, das
spielte offenbarkeineRolle.
Die britischeAutorinReni Eddo-
Lodge hat ein ganzes Buch geschrieben
über die UnmöglichkeitWeisser, sich in
die Situation Schwarzer zu versetzen.
In«Warum ich nicht länger mitWeis-
sen über Hautfarbe spreche» schildert
sie eine Gesprächsrunde über Beauty-
Standards in Modezeitschriften. Einige
Frauen bemängelten dabei, dass fast alle
gezeigten Models dünn seien oder lange
Haare hätten.Keine bemerkte, dasssie
alle vor allem einessind:weiss.
Die Modewelt behandelte Men-
schen dunkler Hautfarbe lange Zeit wie
Menschen zweiter Klasse. Dem ersten

Magazin speziell für schwarzeFrauen,
«Ebony», liehen französische Marken
bis in die siebzigerJahre nicht einmal
Kleider fürFotoproduktionen. Designer
wie Yves SaintLaurent und Halston be-
gannen vor allem in den achtzigerJah-
ren mit «exotischen» Einflüssen in ihren
Kollektionenzuspielen, also schickten
sie auch vermehrt farbige Models über
denLaufsteg, SaintLaurent verpflich-
tete das erste schwarze Model für eine
Couture-Show, aber sie blieben fast
immer dieAusnahme.
SelbstTopmodels wie Naomi Camp-
bell berichten immer wieder, wie ihnen
offener Rassismus entgegenschlage.
Nicht nur würden sie für vieleJobs gar
nicht erst in Betracht gezogen: Am Set
ist häufig niemand, der sich mit ihrer
Haarstruktur auskennt. Sie müssen oft
ihr eigenes Make-up mitbringen, um

nicht am Ende viel zu helleTöne im Ge-
sicht zu haben.
Eben jene Naomi Campbell lief im
ve rgangenenJanuar als krönenderAb-
schluss bei der Haute-Couture-Show
des italienischenLabelsValentino – und
war nicht wie so oft die «Alibi-Exotin»,
sondern gehörte plötzlich zur Mehrheit:
48 von 65 dergebuchten Models hat-
ten afroamerikanischeWurzeln. Bei der
höchsten Schneiderkunst, die auch für
den Inbegriff höchster Schönheit steht,
war das bis anhin unvorstellbar.Mit
dieser «Opulenz derVielfalt», wie es
derValentino-Designer Pierpaolo Pic-
cioli nannte, setzte man ein Statement,
und zwar nicht zuletzt gegen eine da-
mals nachrechts driftende italienische
Regierung. Die Bilder der Show gingen
um dieWelt und verbreiteten ihre Bot-
schaft ganz ohne GoogleTr anslate.
Genau hierliegt die subversive Kraft
der Mode: Egal, ob aus idealistischen
oder opportunistischenMotiven, sie
kann mächtige, betörende Bilder erzeu-
gen, die einen neuen Status quo zemen-
tieren. Der Designer Piccioli hatte zuvor
bereits das sudanesische ModelAdut
Akech als Gesicht für das neueParfum
des Hauses auserwählt, offenkundig ent-
gegen den Bedenken desDuft-Partners
L’Oreal. Es war 2003, als das äthiopische
Model LiyaKebedeals erste Schwarze
überhaupt einenVertrag fürKosmetik-
werbung erhielt.
Wie nimmt man denn das neue Er-
scheinungsbild in Europa auf, wo der An-
teil Schwarzer in der Bevölkerung viel
kleiner ist? Claudia Midolo, Gründerin
der Agentur Modelwerk in Hamburg,
sagt: «DieKunden in Deutschland, der
Schweiz oder Österreich waren schon
länger vergleichsweise aufgeschlos-
sen gegenüber verschiedenen Hautfar-
ben.» Die Nachfrage sei jetzt aber noch
einmal stark gestiegen, vor allem auch
nach ganz dunkelhäutigen Models. «Ich
würde mich noch nicht darauf verlassen,
dass dieserTr end ewig hält», räumt Mi-
dolo ein. «Aber er ist jetzt auch im Mas-
senmarkt, bei Online-Shops und Kauf-
häusern angekommen, die früher lieber
’die Mitte’ gebucht haben, also weder zu

blonde noch zu schwarze Mädchen.»Je
öfter man dieseVielfalt jetzt sehe, desto
normaler werde sie.
Die grossen Labels können im
Grunde gar nicht mehr anders:Durch
Social Media und die Möglichkeit des
öffentlichen Feedbacks hat sich das
Quasi-Monopol der Mode, zu bestim-
men, wer und was schön ist, deutlich
aufgeweicht. UnterschiedlichsteKon-
sumenten wollen sichrepräsentiert se-
hen: mit ihrem Geschlecht, ihrer Haut-
farbe, ihrerFigur – wobeidieMode,
wasLetzteres betrifft, bisher wenig ge-
tan hat. Aber eine Show wie 20 16 von
Balenciaga, in der ausschliesslich weisse
Models liefen, würde heute einen Shit-
storm nach sich ziehen.

Erneuerung von innen nötig


Es gibt allerdings einen wichtigen Unter-
schied zwischen dem beherzten Engage-
ment der Modewelt für die Schwulen-
bewegung und der «Black is beautiful»-
Initiative: Ein grosserTeil der Designer
und Kreativen in der Modewelt ist selbst
schwul.Sich fürdie eigenen Belange ein-
zusetzen, war ihnen ein selbstverständ-
liches Anliegen. Mächtige Schwarze fin-
den sich dagegen im «Inner Circle» der
Modewelt nach wie vor nur wenige.
Edward Enninful von der britischen
«Vogue» ist zurzeit der einzige schwarze
Chefredaktor eines grossen Modemaga-
zins.Als die Sängerin Beyoncé im Sep-
tember 2 01 8 für das Cover der ameri-
kanischen«Vogue» fotografiert wurde,
setzte sie immerhin durch, dass mitTyler
Mitchell erstmals in der über 100-jähri-
gen«Vogue»-Geschichte ein afroameri-
kanischerFotograf beauftragt wurde.Vir-
gil Abloh erhielt vergangenesJahr als ers-
ter schwarzer Designer den so prestige-
trächtigenPosten alsVerantwortlicher
der Männerlinie von LouisVuitton.
Derzeit heuern grosse Modefirmen
wie Chanel und Gucci eifrig «Diver-
sity»-Beauftragte an, die unter anderem
für mehrVielfalt in den Unternehmen
sorgen sollen. Erst wenn sich derWan-
del innen vollzieht, wird er auch nach
aussen dauerhaft sichtbar sein.

Schwarze Modelswaren lange dieAusnahme.Das wi rkt sic hnochheute aus, denn häufig ist niemand amSet,der sic hmit ihrer Haarstruktur auskennt. URIEL SINAI /GETTY

Die grossen Labels


können im Grunde


gar nicht mehr ande rs:


Durch Social Media hat


sich das Quasi-Monopol


der Mode, zu bestimmen,


wer und was schön is t,


deutli ch aufge weicht.

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