Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

Ein Gartenhaus in Berlin-Charlottenburg, ein begrünter Innen-


hof, eine Skulptur. Im Eingang des Büros von Lars Dittrich hängt


ein Kunstwerk, darauf steht: »You have nothing«. Das kann man


von Dittrich nicht sagen. Der ostdeutsche Unternehmer wartet


im Konferenzraum. Die Fenster reichen bis zum Boden, an der


Wand hängen Fotografien. Kurz nach dem Mauerfall hat Ditt-


rich mit einem Freund sehr erfolgreich die Tele kom mu ni ka-


tions fir ma dug telecom aufgebaut. 2007 verkauften sie diese an


Debitel. Als einer der wenigen Ostdeutschen saß Dittrich drei


Jahre im Vorstand des westdeutschen Konzerns und schied 2010


aus. Später gründete er die Filmproduktionsfirma Mythos Film


mit und produzierte unter anderem die provokante Hitler-Satire


Er ist wieder da, die auch einen Bambi gewann. Gleichzeitig


investiert Dittrich in Immobilien und Start-ups und hat 40 Mit-


arbeiter. Er ist einer, der es im Westen augenscheinlich geschafft


hat, aber er ist trotzdem ziemlich wütend.


Herr Dittrich, in Sachsen und Brandenburg haben mehr


als 20 Prozent der Menschen AfD gewählt. Viele sagen: aus


Protest, weil der Osten noch immer nicht ernst genommen


wird und der Westen sich arrogant verhält. Freut Sie in die-


ser Hinsicht der Erfolg der AfD?


Überhaupt nicht. Wie kommen Sie darauf? Der Erfolg der


AfD war abzusehen und hat mich nicht überrascht. Was
ich aber nicht akzeptieren kann, ist, wenn man daraus ab-

leitet, die Ostler sind alle Nazis! Ich bin mir sicher, dass die
AfD auch im Westen heute in einigen Gebieten zweistel-

lige Prozentzahlen erreichen würde. Dafür gibt es banale
Erklärungen wie die, dass sich viele von den etablierten

Parteien nicht mehr vertreten fühlen und aus Protest die
AfD gewählt haben. Im Osten steckt dahinter auch viel

Enttäuschung. Und die rührt nicht erst aus den letzten
zwei Jahren.

Was meinen Sie da konkret?


Nur ein Beispiel: Die SPD fordert nun eine Vermögens-


steuer. Im Gespräch ist ein Steuersatz auf Grundbesitz,
Unternehmensanteile und Immobilien. Und dann heißt

es dazu: Im Osten betrifft das kaum einen. Das stimmt
ja, aber diese Tatsache wird so laisser-faire hingenommen.

Das wird mit einer Selbstverständlichkeit und Arroganz
vorgetragen!

Man spürt auch bei Ihnen die Wut!


Ja! Wenn in Ostdeutschland jemand an die Tankstelle fährt


und beim Bezahlen an dem Spiegel-Cover »So isser, der
Ossi« vorbeikommt ...

... Sie meinen das »Spiegel«-Titelbild kurz vor den Land-


tagswahlen, das mit dem schwarz-rot-goldenen Hütchen


des Ost-Wutbürgers illustriert wurde ...


... genau, dann ist das unverantwortlich. Wir sind keine


Haustiere, die man erklären muss! Das spaltet. Ich finde
das anmaßend und diskreditierend. Ich fühle mich per-

sönlich angegriffen. Den Text dazu will ich gar nicht mehr
lesen. Wenn einem die Speisekarte nicht gefällt, geht man

auch nicht ins Restaurant. Wenn so ein Titel sichtbar in
jeder Tankstelle des Landes ausliegt, ist das ein Affront!

Sie sind jetzt 45, stammen aus der DDR, sind diesem Sys-


tem auf die denkbar schnellste Weise entwachsen und ha-
ben in buchstäblich atemberaubender Geschwindigkeit das

neue Westsystem adaptiert. Heute machen Sie Geschäfte im
Osten und schauen trotzdem sehr kritisch auf das jetzige

System, obwohl Sie ein Profiteur davon sind.
Ja. Offensichtlich finde ich mich in diesem System ganz

gut zurecht. Aber ich habe immer diese Obacht, ich habe
schon einmal erlebt, wie ein Land fast über Nacht zusam-

menbrach. Damals spürten die Menschen einen Aufbruch.
Sie wollten zum großen Teil eine Erneuerung, Freiheit,

wurden jedoch vielfach enttäuscht. Insbesondere aus der
heutigen Sicht haben sie deutlich weniger Wertschätzung

und Anerkennung ihrer Lebensleistung erfahren, als ihnen
zusteht. Gerade die Generation meiner Eltern hat in mei-

nen Augen eine große Herausforderung meistern müssen,
sich im neuen System zurechtzufinden. Und heute führt

ein SPD-Nachwuchspolitiker eine ernsthafte Diskussion
über die Enteignung von BMW und bekommt dafür eine

Bühne. Mit einer These, die das gesamte westliche System
infrage stellt. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in Pirna oder

Heidenau, haben sich gerade im Neuen eingerichtet und
lesen dann über eine mögliche BMW-Enteignung! Da

denken Sie, der Sozialismus ist zurück. So eine Irritation
löst etwas aus.

Sind Sie ein Kapitalist geworden?
Ich bin Unternehmer! Und es macht mir große Sorgen,

dass eine alleinerziehende Friseurin in Berlin-Neukölln mit
1200 Euro zurechtkommen muss.

Hat das mit Ihrer Herkunft zu tun?
Ich bin in Hennigsdorf, einem Ort im Norden von Ber-

lin mit 30.000 Einwohnern, aufgewachsen. In einer
Sozialstruktur, in der ich als Kind die Unterschiede nicht

so sehen konnte. Manche Familien hatten ein Auto, an-
dere nicht. Meine Eltern besaßen, bis sie Mitte 30 waren,

gar kein Auto, sie waren, als die Mauer fiel, so alt wie ich
heute, hatten sich ihr Leben eingerichtet. Und innerhalb

von zwölf Monaten galt dieser Lebensentwurf nichts mehr.
Wir haben als pubertierende Jugendliche erlebt, wie Au-

toritäten über Nacht verschwanden und Familien zusam-
menwuchsen oder sich eben entzweiten, weil sich alle Wer-

te verschoben. Ich bin mit dem Gedanken groß geworden:
»Alle sind gleich.« Das hat mich geprägt.

Aber auch damals waren schon nicht alle gleich!
Das kann sein, aber ich habe das nicht so bemerkt.

Sie waren 15, als die Mauer fiel. Wenn die DDR noch fünf
Jahre länger bestanden hätte, wie wäre es mit Ihnen weiter-

gegangen?
Ich wollte Journalist werden. Aber erst mal hätte ich drei

Jahre zur Armee gemusst, das habe ich gar nicht hinter-
fragt. Da wäre ich vermutlich an meine Grenzen gestoßen.

Ich bin ein Freigeist. Bei den Pionieren und in der FDJ
war ich das, was heute ein Schulsprecher wäre. Doch ich

bin auch in Konflikte geraten. Es gab eine Klas sen kame-
ra din, die von einem Tag auf den anderen nicht mehr da Foto Sabine Gudath / imago

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