National Geographic Germany - 10.2019

(vip2019) #1

D


ER CHIRURG SITZT IN Cowboy-
hut und Bluejeans am Hotel-
pool in Tucson, Arizona, und
schwärmt von einem Schädel.
Er ist im Handgepäck mit ihm
hierhergeflogen. „Ich sehe den
Sehnerv geradezu vor mir“,
sagt er. „Ich sehe den sechsten
Hirnnerv, der die seitlichen
Augenbewegungen möglich gemacht hat, und
den Trigeminusnerv, der für die Empfindungen
der Gesichtshaut zuständig war.“ Der Schädel
ist alt, der Patient also tot, und die Kanäle, durch
die die Nerven einst liefen, sind schon lange leer.
Der Schädel gehörte einem Dinosaurier.
Der Chirurg möchte nicht mit Namen ge-
nannt werden, obwohl er in Tucson eine sehr
öffentliche Messe für Fossiliensammler be-
sucht. Hier auf der Tucson Gem and Mineral
Show ist er zwar unter Gleichgesinnten, doch
gegenüber Außenstehenden macht ihn sein
Hobby nervös. Die meisten privaten Sammler
hüllen sich in Schweigen. Denn über die Vor-
und Nachteile der kommerziellen Paläontolo-
gie wird seit zwei Jahrzehnten hitzig gestritten.
Es begann mit der Versteigerung von Sue: Der
Tyrannosaurus rex gelangte 199 7 für 8,4 Mil-
lionen Dollar von seinem privaten Besitzer ins
Chicagoer Field Museum. Diese Rekordsumme
weckte bei Händlern und bei Grundbesitzern
wahre Goldrauschfantasien. Paläontologen
fürchteten dagegen, von Laien aus ihrer Do-
mäne vertrieben zu werden – wenn sich wie auf
dem Kunstmarkt nur noch reiche Sammler die
Fossilien leisten könnten.
Und von denen gibt es viele. Manche (wie der
Chirurg, der ein eigenes Museum plant und die
Stücke selbst präpariert) sind mit tiefem Ernst
dabei und könnten fast als Paläontologen
durchgehen. Andere aber wirken eher wie
kleine Jungs, die sich für die schaurigen – und
teuren – Monster aus einer anderen Zeit begeis-
tern. „Am besten verkaufen sich Kiefer, Klauen
und Hörner“, bestätigt ein Händler auf der
Messe hinter vorgehaltener Hand.
Viele Sammler sind einfach nur Fossilien-
fans – aber einige gehören zu den Superreichen
der Welt. Wie der chinesische Immobilienent-
wickler, der auf der Messe in Tucson um einen
Ichthyosaurus feilscht, ein Meeresreptil, das
hier für 750 000 Dollar angeboten wird. Als ein
Journalist eine Frage an den Dolmetscher des
Immobilienmoguls stellt, unterbricht der das

VIELE SAMMLER


SIND EINFACH


FOSSILIENFANS –


ABER ANDERE


GEHÖREN ZU DEN


SUPERREICHEN


DER WELT.


FOSSILIENHANDEL 125
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