National Geographic Germany - 10.2019

(vip2019) #1

BEWUSST LEBEN | GENIAL GEDACHTE PROJEKTE (70)


TEXT: LISA SRIKIOW FOTO: BENNO KRAEHAHN

Jan Peckolt steckt knietief drin in
seinem Projekt: Der Ingenieur will eine
effiziente Wellenenergieanlage bauen.
In zweieinhalb Jahren, so kalkuliert er,
könnte sie erste Haushalte versorgen.

W


er an dem unauffälligen Gebäu-
de in der Duisburger Innenstadt
vorbeiläuft, ahnt kaum, dass
sich darin das größte Wasser-
becken Nordrhein-Westfalens
befindet: ein riesiger Tank, 200
Meter lang und zehn Meter
breit. Darin lässt sich das Strö-
mungsverhalten von Schiffsmodellen testen. Und
außerdem, wie man aus Wellen Ener-
gie gewinnt.
Neben dem großen Wasserbecken
steht der Versuchstank von Jan Peckolt.
Im Wasser schwimmt eine flache Boje.
Über mehrere Riemen ist sie mit einer
Art Schlitten unter der Wasserober-
fläche verknüpft. Noch schaukelt die
Konstruktion ruhig vor sich hin – dann
startet Peckolt einen Generator, der
künstliche Wellen erzeugt. Das Wasser
gerät in Bewegung, die Wellen werden
stärker, und die Maschine im Wasser
surrt immer lauter und gleichmäßiger,
wie ein Rudergerät im Fitnessstudio.
„Das war schon ein toller Moment für uns, als die
Lampe zum ersten Mal leuchtete und damit anzeigte,
dass unsere kleine Anlage Strom erzeugt“, sagt
Peckolt. Der Ingenieur hat unzählige Stunden an
den Becken verbracht, um verschiedene Modelle
seines Wellenkraftwerks zu testen.
Die Idee der Wellenenergie ist nicht neu, aber
bisher ist es niemandem gelungen, sie effizient zu
nutzen. Das wollte Peckolt ändern. Sein Konzept ist
schlicht und elegant: Die Wellen treffen gegen den
Schwimmkörper an der Wasseroberfläche, was die
Riemen in Gang setzt. Ein Generator, der an dem
Schlitten unter Wasser befestigt ist, nutzt wiederum
diese Bewegung und wandelt sie in Strom um: Die
Hydroenergie des Wassers wird so in mechanische
und später in elektrische Energie übersetzt.
Während die Konzepte anderer Anlagen 30 bis 40
Prozent der Energie einer Welle erwirtschafteten,
lagen Peckolts Ergebnisse bei 70 bis 80 Prozent. Denn
seine Konstruktion ist ganz auf den natürlichen
Bewegungsablauf der Welle ausgerichtet – er verläuft

in einer Ellipse. Peckolts Anlage ahmt diese Bewe-
gung nach und holt dadurch noch mehr Leistung
heraus. „Ich wollte diese Energie nutzbar machen,
sonst verliert sie sich einfach am Ufer“, sagt Peckolt.
2012 gründete er deshalb sein Unternehmen Nemos
mit dem Ziel, die erste kommerzielle Wellenener-
gieanlage der Welt zu bauen.
Jetzt beugt sich Peckolt an dem Versuchstank
über den Beckenrand, das Miniwellenkraftwerk ist
nicht richtig ausbalanciert. Geschickt
fischt der 38-Jährige einen Riemen aus
dem Wasser und macht einen Knoten,
um das Seil zu verkürzen. Peckolt war
mal Profisegler, 2008 gewann er bei
den Olympischen Spielen in Peking
die Bronzemedaille – es hat ihn Faszi-
nation und Demut vor der Kraft des
Wassers gelehrt.
Bisher gibt es noch keine marktreife
Anlage, die Energie aus Wellen ge-
winnt. Viele Unternehmen seien daran
gescheitert, sagt Peckolt: „Weil an ihren
sündhaft teuren Maschinen eine kleine
Komponente kaputtging.“ Dem Inge-
nieur war klar: Sein Konzept sollte möglichst schlicht
und maximal wirtschaftlich sein. Und er müsste so
lange experimentieren, bis die Anlage verlässlich
arbeiten würde.
Seine Geduld hat sich gelohnt. Im vergangenen
Mai installierten Peckolt und sein Team in Belgien
die erste große Testanlage, zwei mal acht Meter misst
der Schwimmkörper. Zudem laufen bereits Simula-
tionen und Berechnungen für das erste kommer zielle
Kraftwerk, das im offenen Meer – wahrscheinlich
vor den Kanaren oder Portugal – aufgebaut werden
soll. In zweieinhalb Jahren könnten dann, das hat
Jan Peckolt ausgerechnet, bereits 700 bis 800 Haus-
halte pro Jahr mit Strom versorgt werden, der aus
Wellen gewonnen wird.

ES GIBT NOCH KEINE MARKTREIFE ANLAGE FÜR WELLENENERGIE.
DOCH INGENIEUR JAN PECKOLT HAT DA EINE IDEE.

Die Kraft der Wellen


Das Wasser gerät in


Bewegung, die


Wellen werden


stärker, und


die Maschine im


Wasser surrt immer


lauter und


gleichmäßiger.


18 NATIONAL GEOGRAPHIC
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