National Geographic Germany - 10.2019

(vip2019) #1
*Funktürme und Windräder

1,768 Millionen
getötete Vögel
pro Jahr

764 Mio. 624 Mio.

213 Mio. 55
M.

7 Mio.
STREUNENDE KATZEN HAUSKATZEN AUTOS ANDERE*

AUFPRALL
AUF
GEBÄUDE

STROM-
LEITUNGEN

flussen. Was ein Hinweis auf die angeborene Schwä-
che des Menschen sein könnte, die Auswirkungen
seines Tuns zu erkennen (ähnlich wie beim Klima-
wandel).
Oder sollten wir uns alle mal entspannen? Schließ-
lich konnte keine Studie bisher zweifelsfrei Katzen
mit dem Schwinden kontinentaler Vogelpopula-
tionen in Verbindung bringen (auf Inseln sieht es
allerdings anders aus). Denn es ist schwierig, einen
Faktor für den Rückgang vieler Vogelarten isoliert
von anderen Gründen zu betrachten.
Auch unter Vogelfreunden herrscht keine Einig-
keit über den Schaden, den Katzen in der Natur
anrichten: „Der Status der Vögel auf der Welt ver-
schlechtert sich weiterhin“, heißt es in einem jün-
geren Bericht der Vogelschutzorganisation BirdLife
International. Er sieht Landwirtschaft und Abhol-
zung als stärkste Bedrohungen an; eingeführte
Raubtiere folgen laut BirdLife International mit
einigem Abstand erst auf dem dritten Platz.

WORÜBER SICH ALLE im Wesentlichen einig sind:
Die Population verwilderter Hauskatzen ist einfach
zu groß. Aber damit hören die Übereinstimmungen
auch schon wieder auf – zum Teil deshalb, weil wir
gegenwärtig keine guten Lösungen haben. Abge-
sehen vom Vogelfang stellen verwilderte Katzen
uns vor alle möglichen unlösbaren gesundheits-
politischen, sicherheitsrelevanten und philosophi-
schen Dilemmata.
Unabhängig davon, wie unserer Meinung nach
Katzen behandelt werden sollten – es gibt einfach
zu viele Katzen auf der Welt, um das Problem in
den Griff zu bekommen. Das ist das Argument de-
rer, die dafür plädieren, Katzen einfach Katzen sein
zu lassen. Wir werden sie niemals mehr los, so sehr
wir es auch versuchen. Selbst wenn die Menschheit

mir das Herz schwer, als die kleine Drossel in mei-
nen Händen erkaltete.


VOR EINIGEN JAHREN führte ein Team aus Forschern


der Smithsonian Institution und der amerikanischen


Naturschutzbehörde, des U.S. Fish and Wildlife
Service, Daten aus Dutzenden Studien zusammen,


um festzustellen, wie viele Tiere pro Jahr durch
Katzen getötet werden. Die Ergebnisse waren alarmie-


rend: In den südlichen 48 US-Bundesstaaten sind
es jährlich zwischen einer und vier Milliarden Vögel,


6,3 bis 22,3 Milliarden Kleinsäuger und Hunderte
Millionen Reptilien und Amphibien.


Etwa zwei Drittel der toten Vögel wurden den
Taten verwilderter Hauskatzen zugeschrieben. Da


die Gesamtpopulation der Vögel in den USA auf
zehn bis 20 Milliarden geschätzt wird, hieße das,


verwilderte Hauskatzen sind für mehr Vogeltode
verantwortlich als Fensterscheiben, Straßenverkehr,


Pestizide, Umweltverschmutzung, Windenergie-
anlagen und alle anderen nicht natürlichen Ursachen


zusammen, mit Ausnahme von Lebensraumverlust
und möglicherweise dem Klimawandel – ein nie-


derschmetternder Gedanke.
Die Studie verursachte jede Menge Aufregung.


Manche hielten die Schätzungen schlicht für falsch
oder warfen den Wissenschaftlern Voreingenom-


menheit gegen Katzen vor. Die Gegenpartei fühlte
sich hingegen in ihrem katzenkritischen Weltbild


bestätigt. In Medienberichten wurden Vogelfreunde


gegen Katzenliebhaber ausgespielt, Tierrechtler
gegen Umweltschützer und Haustierbesitzer gegen


Akademiker. Einer der Forscher schrieb an einem
Buch namens „Cat Wars“ mit – und erhielt dafür


sogar Morddrohungen.
Nachfolgende Studien haben das Ausmaß der


Bedrohung bestätigt. So gelangte man in der um-
fangreichsten Untersuchung in Kanada, wo insge-


samt weniger Katzen leben als in den USA, zu der
Schätzung, dass 100 bis 350 Millionen Vögel jedes


Jahr von Katzen erlegt werden.
Die Folgen der Katzenhaltung liegen also klar auf


der Hand – und sind gleichzeitig auf eine seltsame
Weise unvorstellbar. Jeder weiß, dass Katzen Raub-


tiere sind, aber bis vor Kurzem wurde der Einfluss
von Katzen auf die Fauna kaum wahrgenommen.


Viele Menschen, darunter die überwältigende Mehr-
heit der Katzenbesitzer, bezweifeln immer noch,


dass Katzen Wildvogelpopulationen negativ beein-


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DIANA MARQUES, NGM; RYAN WILLIAMS. QUELLE: SCOTT LOSS, TOM WILL UND PETER MARRA,
ANNUAL REVIEW OF ECOLOGY, EVOLUTION, AND SYSTEMATICS, 2015


Eine Auswertung mehrerer
Studien zeigt: Unnatürliche
Todesursachen dezimie -
ren den Vogelbestand in
den USA und Kanada stark.

Blutzoll


DER KATER SCHLICH SICH
DAVON UND KEHRTE
MINUTEN SPÄTER STOLZ MIT
EINEM FEDERBALL IM MAUL
ZURÜCK: EINER 30 GRAMM
SCHWEREN, WUNDERSCHÖN
GEFLECKTEN ZWERGDROSSEL.
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