Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1
Soweit die Erinnerung zurückreicht, ist Donald
Trump der unpopulärste amerikanische Präsident.
Seine Zustimmungsrate überstieg nie 50 Prozent.
Wären heute Wahlen, würde er vermutlich gegen
sämtliche seiner wichtigsten Rivalen von den De­
mokraten verlieren. Und jetzt ist Trump auch
noch mit einem möglichen Amtsenthebungs­
verfahren konfrontiert, wegen seiner Versuche,
mit ausländischer Hilfe den ehemaligen Vize­
präsidenten Joe Biden zu diskreditieren.
Zu einer Absetzung wird es wahrscheinlich
nicht kommen, weil auch der Senat den Präsiden­
ten verurteilen müsste und dort die Republikaner
die Mehrheit stellen – aber schon dass der Prozess
eröffnet wird, ist eine Schande. Warum also glau­
ben so viele kluge Beobachter und Umfrageexper­
ten immer noch, dass Trump die Wiederwahl
2020 ziemlich sicher ist?
Die Antwort lautet, dass die Fokussierung auf
die Amtsenthebung nur der letzte in einer Reihe
von Fehlern ist, die eine Figur wie Trump groß
gemacht haben. Daraus sollte auch Deutschland
lernen. Deshalb von meiner Seite des Atlantiks
ein paar dringende Lehren:
Trump ist der bedeutendste Rechtspopulist,
der je die Macht in einer Demokratie errungen
hat, zumindest in den vergangenen 80 Jahren.
Aber seinen Erfolg verdankt er nur in geringem
Maße eigenen Verdiensten, sondern zu einem
großen Teil der politischen Inkompetenz seiner
Gegner – einer Art von Inkompetenz, die ebenso
sehr in den Reihen von CDU/CSU und SPD in
Deutschland zu finden ist wie in der Demokrati­
schen Partei der USA. Wenn Deutschland seine
Rechtspopulisten daran hindern will, noch mehr
Einfluss zu gewinnen, muss die politische Mitte
lernen, wie man nicht gegen sie vorgeht.

»Diese Erbärmlichen«. Vielleicht hat Hillary
Clinton die Wahl 2016 durch einen einzigen Satz
verloren: als sie Trumps Wähler »basket of
deplorables« nannte, einen erbärmlichen Haufen
von Rassisten und Sexisten. Die Versuchung, die
Anhänger von Populisten als moralisch rückstän­
dig abzuqualifizieren, ist groß. Aber es ist dumm.
Es setzt Beleidigung an die Stelle von Über­
zeugungsarbeit und zeigt Herablassung statt Ver­
ständnis. Es leugnet, dass die Themen von Popu­
listen (nicht deren Lösungen) ihre Berechtigung
haben: Beschäftigung, Einwanderung, traditionelle
Moralvorstellungen, Recht und Gesetz.
»Wir« gegen »die anderen«. Es ist die Aufgabe
von Politik, das Allgemeinwohl einer Gruppe von
Menschen zu mehren, deren Wir­Gefühl auf einer
gemeinsamen Staatsbürgerschaft und geteilten
Werten beruht. Trump hat Erfolg, weil er ständig
verspricht, dem amerikanischen »Wir« Wohltaten
zu liefern – einem Wir, das sich vorwiegend als
weiße, christliche, englischsprachige Mittelschicht
sieht, keine Bindestrich­Identitäten pflegt und eine
Menge Stolz auf sein Land empfindet. Trump
sprach diese Leute an, indem er zugleich ein schar­
fes Gegenbild von »den anderen« entwarf: Migran­
ten, Muslime, liberale Eliten, internationale Insti­
tutionen. Trumps Gegner scheinen umgekehrt weit
mehr daran interessiert, sich fast ausschließlich um
»die anderen« zu kümmern. Im Sommer gingen zum
Beispiel einige Kandidaten der Demokraten so weit,
die Entkriminalisierung des illegalen Grenzüber­
tritts zu fordern, was nichts anderes bedeutet hätte
als offene Grenzen. Es sind grobe Fehler dieser Art,
die die Demokraten 2020 leicht den Wahlsieg kos­
ten können. Das erleichtert es Trump, die Opposi­
tion zu skandalisieren. Auf diese Weise reizt er seine
Gegner bis aufs Blut und hält sie davon ab, das Ein­

zige zu tun, was wirklich gegen ihn helfen würde:
ihn einfach nicht zu beachten.
Blinden Alarm schlagen. Ein Teil von
Trumps Erfolg rührt daher, dass seine Gegner
ständig düstere Voraussagen über seine Präsident­
schaft machen, die sich nicht bewahrheiten. Die
Nato zum Beispiel ist noch immer nicht aufgelöst
worden. Die Sanktionen gegen Russland wurden
nicht aufgehoben. Amerika ist keine Diktatur
geworden. Die Wirtschaft ist nicht zusammen­
gebrochen, es geht ihr im Gegenteil bemerkens­
wert gut. Der dritte Weltkrieg fand ebenfalls
nicht statt. Trumps Gegner würden all das unter
den Vorbehalt stellen: »bis jetzt«. Aber eine At­
mosphäre von »Apokalypse Always« bewirkt das
Gegenteil von dem, was beabsichtigt ist: Sie lässt
Trumps Gegner hysterisch und nervtötend er­
scheinen – es ist wie mit dem Ab stump fungs­
effekt gegenüber einer Auto­Alarmanlage, die am

Straßenrand losgeht: Erst einmal schreckt das
Warn si gnal alle auf, dann wird es lästig, schließ­
lich ignoriert man’s.
Die Opposition radikalisieren. Die vielleicht
folgenschwerste politische Wirkung von Trump
besteht darin, dass er viele seiner Gegner in den
Wahnsinn getrieben hat, jedenfalls politisch.
Sollten die Demokraten die Senatorin Elizabeth
Warren aus Massachusetts als ihre Präsident­
schaftskandidatin nominieren, was zurzeit mög­
lich erscheint, wäre sie die radikalste linke Kan­
didatin seit mindestens 50 Jahren. Überhaupt
geben sich viele von Trumps entschiedensten
Gegnern in Politik und Me dien ebenso wütend
und hochfahrend wie er und ebenso intolerant
gegenüber jeder Form von Widerspruch.
Die angemessene Antwort auf Trumps rech­
ten Illiberalismus ist nicht eine Politik des linken
Illiberalismus. Es muss eine Politik sein im Geist
der Offenheit, der Mäßigung und des mora­
lischen Respekts gegenüber jedermann, auch ge­
genüber Menschen mit einem anderen Stand­
punkt. Nur wenn sich der politische Gegner ge­
hört und verstanden fühlt, nicht verachtet und
übergangen, besteht die Chance, dass er über­
zeugt werden kann, seine Meinung zu ändern.
Was mich zu Deutschland bringt: Wenn die
Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen ver­
gangenen Monat irgendeine Lehre bereithalten,
dann die, dass die Wähler nicht aufgehört haben,
CDU und SPD für die historische Einwande­
rungsentscheidung von 2015 abzustrafen. Das
war damals ein Lehrbeispiel dafür, wie in einer
bestimmten Si tua tion die politische Führung die
Interessen »der anderen« über »unsere« stellte.
Ohne diesen Fehler wäre die AfD wahrscheinlich
eine euroskeptische Splitterpartei geblieben.

Dieser Fehler wird durch den Versuch, einen
cordon sa ni taire, einen Sicherheitsabstand, um die
Partei zu legen, noch verschärft. Die gut gemeinte
Absicht, so verständlich sie ist, verkehrt sich mit
großer Wahrscheinlichkeit in ihr Gegenteil: Sie
nährt bei den AfD­Wählern das Gefühl, als Parias
gesehen zu werden, es verstärkt den Eindruck, das
politische System werde manipuliert und die gro­
ßen Parteien hielten sich nicht an die demokrati­
schen Regeln, die sie so feierlich beschwören. Die
fast schon zur Gewohnheit gewordene Bildung
großer Koalitionen macht die Dinge nur schlim­
mer, weil sie eine Form von Konsenspolitik erfor­
dern, die dazu führt, dass sich immer mehr Wäh­
ler, die sich rechts von diesem Konsens einordnen,
von den traditionellen Konservativen verraten
fühlen und den extremen Populisten in die Arme
getrieben werden.
Die gute Nachricht ist immerhin, dass die
Mehrheit der Bürger auf beiden Seiten des Atlan­
tiks die Populisten sehr wohl als die Demagogen
erkennt, die sie sind. Aber – das haben wir Ame­
rikaner gelernt – dies reicht nicht immer aus, um
sie von der Macht fernzuhalten. Deutsche, die
verhindern wollen, dass Amerikas Tragödie auch
ihre Tragödie wird, täten gut daran, die Lehren
aus Trumps entsetzlichem Erfolg zu ziehen.

Aus dem Englischen von Almut da Fonseca-Wollheim
Originalversion unter: zeit.de/bretstephens­englisch

Werdet nicht wie er!


Trumps Erfolg wäre ohne die groben Fehler der Linken nicht denkbar. Daraus sollte Deutschland lernen VON BRET STEPHENS


LASS MICH AUSREDEN!


Bret Stephens, 45, ist Kolumnist
der »New York Times« und
gewann 2013 den Pulitzer­Preis
für politische Kommentare.
Illustration: Karsten Petrat für DIE ZEIT; kl. Foto: Getty Images Er ist Autor für STREIT


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  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42 STREIT 11


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