Rudi Carrell und Beatrice Richter essen »Spaghetti im Sturm«. Was der Zuschauer
nicht ahnen kann: Wie schlecht die Stimmung am Set war
Beatrice Richter im Berliner Schillertheater. Dort stand sie zuletzt mit ihrer Tochter
Judith, die ebenfalls Schauspielerin geworden ist, auf der Bühne Fotos (v. o.): Dieter Klar/DJV Bildarchiv; Stephanie Steinkopf/Ostkreuz für DIE ZEIT
»Rudi Carrell war der kälteste Mensch,
dem ich jemals begegnet bin. Es war
für ihn ein Leichtes, seine Sklaven zu
steuern. Er hatte ein sehr gutes
Gespür für die Schwächen anderer
Menschen. Er wusste, wo es wehtat«
ins Gespräch, ich war schon ganz aufgeregt, ich
dachte: »Jetzt kommt dein Durchbruch!« Schließ-
lich sagte sie, sie sei Volksschullehrerin. Ich habe
mich dann einfach beworben bei der Falckenberg-
Schule. Der Leiter, ein wunderbarer Pädagoge mit
einem Holzbein, vom Krieg, wusste nicht so recht,
was er mit mir machen sollte, und sagte: Fang mal
an, auf ’ne Art Bewährung. So blieb das. Ich war
immer auf Bewährung, und irgendwann waren
die vier Jahre vorbei.
ZEIT: Das waren gute Jahre?
Richter: Ja, gute Jahre. Es gab tolle Lehrer, einer
zum Beispiel war Heinz Schubert, der später den
Ekel Alfred im Fernsehen spielte. Es gab natürlich
auch schreckliche Lehrer. Einer wollte diese Im-
provisationsübung von uns: Wir sollten uns vor-
stellen, dass uns eine Ziege an den Füßen leckt,
und wir sollten uns totlachen.
ZEIT: Sie haben dann feste Theater-Engagements
gehabt, in Baden-Baden und Bochum, sind auf
große Leute getroffen wie Peter Zadek und Rainer
Werner Fassbinder.
Richter: Bei Zadek habe ich noch seine Stimme im
Ohr. Das war so einer, der zu Frauen auf der Büh-
ne gerne sagte: »Mach das jetzt mal nackt!«, oder:
»Wälz dich mal am Boden, im Dreck!« So einer
war Zadek.
ZEIT: Und wie haben Sie Fassbinder erlebt?
Richter: Das war auch in Bochum. Ganz jung war
der da noch, alt ist er ja auch nicht geworden. Ich
habe ihn immer Rainer Werner Zufall genannt.
Der hatte keinen Plan, bei dem ist alles aus dem
Moment heraus entstanden. Ich wurde in Bochum
ganz schnell ad acta gelegt, durfte mal mit einem
Staubwedel kurz über die Bühne laufen, als Putz-
frau, das war’s, die Hauptrolle spielte der legendäre
O. E. Hasse. Jedenfalls, ich saß dann meistens in
der Kantine und konnte die Fassbinder-Crew be-
obachten, Hanna Schygulla, Rosel Zech, Kurt
Raab, wie sie alle hießen. Ich habe sie alle studiert,
vor allem die Schygulla mit ihrer seltsam schreck-
lichen, großartigen, ganz eigenen Dik tion (ahmt
leicht affektiert nach): »Ich bin die Hanna, und wer
bist du ...?« Ich habe beim Beobachten viel gelernt.
ZEIT: Was haben Sie gelernt?
Richter: Die haben ja sehr merkwürdig Theater
gespielt, sehr eigen. Das war beeindruckend auf
eine Art. Ist ja kein Geheimnis, da wurde sehr viel
gesoffen, da wurden sehr viele Drogen genom-
men, gewaschen haben sie sich auch nicht gerne,
es hat oft richtig gestunken. Und wie Fassbinder
mit seinen Schauspielern umgegangen ist, da habe
ich eines begriffen: Das ist wirklich ein Prostituti-
onsberuf. Du tust, was von dir verlangt wird.
Wenn du es nicht tust, fliegst du. Und musst dir
dann überlegen, wie du deine Miete zahlst. Wi-
derstand? Null.
ZEIT: Das klingt ziemlich deprimierend.
Richter: Wenn man schon einen Namen hat, geht
es manchmal. Ich habe die wunderbare Hannelore
Hoger mal erlebt, wie sie Peter Zadek bei einer
Probe widersprochen hat. Er wollte, dass sie spielt,
wie er sich das in seiner schrillen Art vorgestellt
hat. Sie sagte: »Nee, Peter, das mache ich nicht.
Mach keinen Scheiß mit mir. Ich mache nur das,
was ich für richtig halte.« Er hat sie angeschaut
und hat es akzeptiert.
ZEIT: Gab es für Sie in den Anfangsjahren gar
keine glücklichen Begegnungen?
Richter: Es gab eine sehr schöne Begegnung. Das
war am Ende meiner Zeit in Baden-Baden, es
hieß: Du darfst dir ein Stück wünschen, zum Ab-
schied, mit dir in der Hauptrolle, wird aber nur
dreimal gespielt. Das Stück wusste ich sofort: Die
Stühle von Ionesco, ich liebe Ionesco. Und als Re-
gisseur wünschte ich mir einen verschrobenen
Wiener, der war irgendwas um die 30 Jahre alt,
was mir damals sehr alt vorkam. Der Typ war
Volontär, total schräg, Gesicht zugewachsen. Ich
mochte ihn, und er mochte mich auch ein biss-
chen. Ich weiß noch genau, ich hatte nur ein weiß
geschminktes Gesicht, und ich stand auf Roll-
schuhen. Die Pointe der Geschichte: Dieser ver-
schrobene Wiener Volontär war Michael Haneke,
ganz am Anfang seiner Karriere.
ZEIT: Michael Haneke gewann später mit seinem
Film Das weiße Band unter anderem die Goldene
Palme in Cannes und mit Liebe den Oscar.
Richter: Diese Arbeit war so spannend damals.
Der Haneke war damals schon toll. Für mich ein
wirkliches Highlight.
ZEIT: Frau Richter, Sie sind als sehr junge Frau
Schauspielerin geworden und ebenfalls sehr jung
ins Showgeschäft eingestiegen. Sie haben eine
Menge erlebt. Wie beurteilen Sie die #MeToo-
Debatte?
Richter: Da müssen Sie eigentlich mit jemand an-
derem reden. Als Frau bin ich eher der Macho-Typ.
ZEIT: Wir hören auch einer Macho-Frau gerne zu.
Richter: Ich habe manchmal Schwierigkeiten,
Mitleid mit Schauspielerinnen zu empfinden, de-
nen ich zugesehen habe, wie sie sich rangeschmis-
sen haben an die verantwortlichen Männer, nach
dem Motto: Gib mir die Rolle, ich tue alles dafür.
Wenn diese Frauen heute klagen, diese Männer
seien schrecklich übergriffig geworden, hätten ihre
Macht ausgenützt, dann kann ich nur sagen: Mein
Gott, ja! Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde
einen Typen wie Harvey Weinstein grauenhaft, ich
könnte brechen, wenn ich ihn nur anschaue, aber
muss man mit ihm ins Hotelzimmer gehen? Die-
ser Beruf, das habe ich vorhin schon gesagt, hat
was mit Pros ti tu tion zu tun. Diese Erkenntnis ist
sehr schmerzhaft.
ZEIT: Haben Sie auch Übergriffe erlebt?
Richter: Zu mir hat mal ein Typ gesagt: Du kriegst
die Rolle nur, wenn du mit mir ins Bett gehst.
Okay, dann bin ich mit ihm ins Bett gegangen.
Und habe die Rolle nicht bekommen. Dieser Typ,
ich sage nicht, wer es war, war widerlich, ganz be-
stimmt. Aber warum bin ich mit ihm ins Bett ge-
gangen? War ich nicht auch ein bisschen eklig? Ich
habe den Typen viele Jahre später bei einem Emp-
fang wiedergetroffen. Natürlich hatte ich das nicht
vergessen. Ich habe nur einen Satz zu ihm gesagt:
Aus dir ist ja gar nichts geworden! Und bin weiter-
gegangen. Das war meine klitzekleine Rache.
ZEIT: Irgendwann muss es Ihnen doch zu viel ge-
worden sein. Sie haben einmal dem bekannten
Filmproduzenten Luggi Waldleitner auf dem
Münchner Filmball ein Weißbierglas ins Gesicht
geworfen.
Richter: Das war sicher ein Fehler, aber es war
auch ein bisschen anders, als du es sagst, Schatzili.
Ich hatte damals einen Film gemacht, eine Komö-
die, die hieß Laß das – ich haß’ das. Und der Wald-
leitner hatte über mich in irgendeinem Interview
was richtig Widerliches gesagt, in seiner Proleten-
sprache: Ja, die Richter hat irgend so einen Film
gemacht, »Ich werde gleich nass« oder so ... Das
hat bei mir eingeschlagen, so richtig, ich hab mir
sofort gedacht, den mach ich fertig, und zwar
mach ich ihn nass.
ZEIT: Es ist Ihnen also nicht passiert, sondern Sie
haben es geplant.
Richter: Das war vor Gericht das Problem, des-
halb wurde ich wegen vorsätzlicher Körperverlet-
zung verurteilt. Ich hab den prunkvollen Filmball,
den Maskenball im Deutschen Theater, abgewar-
tet, ich wusste, dass Waldleitner am Tisch von
Franz Josef Strauß sitzt. Ich wollte schon den
großen Auftritt.
ZEIT: Und dann?
Richter: Ich war als Teufel verkleidet, trug einen
haut engen Body, sah, glaube ich, ziemlich gut
aus. Ich ging an den Tisch, ich sah das Gesicht
von Strauß, Waldleitner saß mit dem Rücken zu
mir. Ich sehe das alles ganz genau vor mir. Ich
hatte das volle Weißbierglas in der Hand und
goss es ihm langsam über den Kopf. Das Pro-
blem war: Waldleitner wehrte sich und griff in
den Eiskübel vor sich, in dem der Champagner
war, natürlich tranken sie Champagner, und
warf mir das Eis en tgegen. In diesem Durch ein-
an der habe ich ihn mit dem Weißbierglas im
Gesicht getroffen. Plötzlich war alles voller Blut.
Ich hatte ihn am Auge verletzt, und zwar an sei-
nem gesunden Auge – Waldleitner war auf einem
Auge blind, da steckte ein Glas auge drin. Jeden-
falls begann dann das ganz große Drama, alle
schrien, und ich bin aus dem Saal geflohen, noch
bevor die Polizei kam.
ZEIT: Und Ihr Motiv war Rache für Waldleitners
blöden Satz?
Richter: Ja, ich wollte mich wehren. Ich wollte das
nicht so stehen lassen. Da schaltete in meinem
Kopf irgendwas ab. Aber ich wollte ihn nicht kör-
perlich verletzen, das hat mir natürlich auch leid-
getan. Gott sei Dank blieb bei ihm nichts zurück.
Es war alles die Hölle, wochenlang waren die Zei-
tungen voll mit mir. Ich musste 10.000 Mark
zahlen. Ich hatte keine Ahnung, woher ich das
Geld nehmen sollte.
ZEIT: Und Sie waren plötzlich eine Kriminelle.
Richter: Das war ich vorher schon. Während mei-
ner Zeit in der Schauspielschule hatte ich bei C&A
ein paar Sachen gestohlen. Natürlich bin ich er-
wischt worden. Ich weiß noch, wie mich mein
Vater böse angeschaut hat, wie er gesagt hat: Ich
wusste es immer, du kommst nach den Baaders.
ZEIT: Baaders?
Richter: Meine Oma hieß Elisabeth Baader. Und
Andreas Baader, der RAF-Terrorist, war ein Vetter
zweiten Grades von mir. Ich bin ihm nie begegnet,
aber mein Vater meinte das Böse von ihm in mir
zu sehen, wenigstens damals, als die Polizei mich
zu Hause ablieferte.
ZEIT: Was für eine Beziehung hatten Sie denn zu
Ihrem Vater?
Richter: Mein Vater war völlig unnahbar. Ich habe
ihn ein einziges Mal geküsst, auf die Stirn, das war
ein paar Minuten nach seinem Tod, da konnte er
sich ja nicht mehr wehren. Das ist noch gar nicht
lange her, mein Vater ist recht früh gestorben, der
wurde nur 97 Jahre alt. (lacht)
ZEIT: War er gewalttätig?
Richter: Als wir Kinder waren, meine Schwester
und ich, hat unser Vater uns ab und zu verprügelt.
Danach hat er sich immer entschuldigt. So ein Typ
war er. Einmal, da war ich zehn Jahre alt, hat er
meine Schwester in den Bauch geschlagen, das
fand ich schrecklich, da bin ich auf den Stuhl ge-
stiegen und habe ihm so auf den Kopf gehauen,
dass seine Brille kaputtgegangen ist. Danach hatte
er ein bisschen Respekt vor mir.
Ein zweites Treffen im selben Café. Bea trice
Richter hatte ihren Karrieredurchbruch, als
Helmut Kohl an die Macht kam und im Fern
sehen nur drei Programme liefen. Die Rolle in
»Sketch up« gab sie freiwillig auf, nach dem
Vorfall mit Waldleitner verließ sie das Land in
Richtung Amerika. Iris Berben übernahm und
wurde berühmt.
Heute kann man sich die Sketche mit Richter im
Internet ansehen, zum Beispiel eine knapp zwei
Minuten lange Szene: Richter und Carrell
spielen ein Paar. Sie besuchen ein Restaurant,
der Kellner warnt sie: Ein Sturm komme auf.
Die beiden bestehen darauf, auf der Terrasse
sitzen zu bleiben, und essen bei Regen und
Wind Spaghetti. Am Schluss lachen sie über sich
selbst, als wären sie die besten Freunde.
ZEIT: Wir würden jetzt gerne auf Rudi Carrell
zurückkommen. Sie haben jahrelang mit ihm zu-
sammengearbeitet, waren in unzähligen Sketchen
seine Partnerin.
Richter: Ich erzähle mal, wie es angefangen hat.
Ich hatte einen Auftritt in der Kabarettsendung
Scheibenwischer, ich konnte damals eine Reihe von
Schauspielerinnen parodieren, die Cleo Kretsch-
mer war dabei, die Hanna Schygulla auch. Das
gefiel denen vom Scheibenwischer, für mich war
das großartig, denn ich vergötterte den Dieter
Hilde brandt. Auf jeden Fall ging die ganze Crew
»Ich war laut, nervig ...« Fortsetzung von S. 15
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