Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

DIE ZEIT 42/19 35


P


olitikerbücher sind selten ein
Vergnügen. Nicht wenige sind
menschenfreundlich abgefasste
Denkschriften, die sich weder
durch süffige Indiskretionen
noch durch analytische Schärfe
auszeichnen – schon aus Furcht,
nicht vorhandene Leser abzuschrecken. Carsten
Brosdas Essay Die Zerstörung aber ragt in diesem
Genre als helle Ausnahme heraus. Der Hambur-
ger Kultursenator darf derzeit als einer der ganz
wenigen noch relevanten Intellektuellen der einst
so theoriefreudigen Sozialdemokratie gelten. Sein
nur knapp 180 Seiten umfassendes, eilig abge-
fasstes Buch analysiert den drohenden Niedergang
der Volksparteien und skizziert Wiederbelebungs-
strategien. Der Titel des Werks ist gut gewählt:
Der YouTuber Rezo hatte mit seinem Zerstörungs-
clip den Volksparteien Totalversagen attestiert,
was die zuverlässig unglücklich agierende CDU-
Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zu
einer sehr nervösen Stellungnahme des Inhalts
ver leitete, Meinungsmache im Internet regulie-
ren zu wollen. Die unmittelbare Folge waren die
übliche grölende Häme im Netz und hässliche
Freude bei politischen Gegnern.
Brosda aber ist keineswegs schadenfroh,
weiß er doch, dass die Repräsentationslogik von
CDU/CSU und SPD im Kern angegriffen ist.
Die Netzöffentlichkeit unserer Zeit prämiert
Parteien und Bewegungen mit sehr klar kontu-
rierten Profilen, die sich an bestimmte Milieus
wenden, aber nicht mehr an die Gesellschaft als
Ganzes. Volksparteien, die ein übergreifendes,
widersprüchliches, auf Ausgleich ausgerichtetes
Werteangebot machen, gelten als hoffnungslos
gestrig. Brosda skizziert eine Fülle von Einzel-
strategien, wie sich eine Revitalisierung bewerk-
stelligen ließe. Dass die analytische Schärfe der
Problementfaltung lesenswerter ist als das vor
allem an seine Partei gerichtete Plädoyer, »soli-
darische Gesellschaftlichkeit« und »individuelle
Freiheit« programmatisch stärker in den Blick
zu nehmen, ist kein Makel: Hier schreibt eben
jemand, der sich mit der Zerstörung der Gesell-
schaft nicht abfinden will. Es wäre ein Segen,
mehr Politiker von der intellektuellen Brillanz
Brosdas auf der Bühne zu haben.


Vo r w ä r t s ,


Genossen!


Carsten Brosda erklärt die Lage


VON ADAM SOBOCZYNSKI

Carsten Brosda:
Die Zerstörung
Hoffmann und
Campe, Hamburg
2019; 176 S., 18,– €,
als E-Book 14,99 €

GASTLAND DER FRANKFURTER BUCHMESSE

TOMAS ESPEDAL
DAS JAHR
In »Das Jahr« durchlebt Tomas Espedal seine
dunkelsten Zeiten. Er geht der Frage nach, ob
eine große, einzigartige Liebe, die alle Zeiten
überdauert, heute noch möglich ist, jemals
möglich war. Ein Heilmittel gegen den Kummer
der Liebe durch die Kraft der Literatur.

Verlag Matthes & Seitz Berlin
Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel
199 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Preis: 22,- Euro, ISBN: 978-3-95757-773-3
Auch als E-Book erhältlich

JOSTEIN GAARDER
GENAU RICHTIG. Die kurze Geschichte
einer langen Nacht
Was ist das Wichtigste im Leben? Und was
genau richtig? Albert hat eine schlechte
Diagnose erhalten und blickt zurück. Auf
die Anfänge seiner Liebe, auf das, was ihm
in seinem Leben gelungen ist und was nicht,
und wofür es sich überhaupt zu leben lohnt ...

Hanser Verlag
Übersetzt von Gabriele Haefs
128 Seiten, gebunden
Preis: 16,- Euro, ISBN: 978-3-446-26367-3

MERETHE LINDSTRØM
TAGE IN DER GESCHICHTE DER STILLE
Eva und Simon haben ein schönes und erfülltes
Leben: ein großes Haus, erwachsene Töchter,
verdienter Ruhestand. Doch als Simon aufhört
zu sprechen, beginnt die Vergangenheit an Eva
zu nagen. Ein preisgekrönter Roman über Dinge,
die vielleicht immer unaussprechlich bleiben.

Verlag Matthes & Seitz Berlin
Übersetzt von Elke Ranzinger
221 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Preis: 22,- Euro, ISBN: 978-3-95757-779-5
Auch als E-Book erhältlich

N RSK


LITERATUR


PER PETTERSON
MÄNNER IN MEINER LAGE
Arvid Jansens Ehe ist gescheitert, seine Frau mit
den drei Töchtern auf und davon. Poetisch und
ergreifend erzählt Per Petterson, wie Arvid auf
die Krise seines Lebens reagiert und versucht,
seinen Kindern trotzdem ein Vater zu sein.
Sein bestes Buch nach »Pferde stehlen«.

Hanser Verlag
Übersetzt von Ina Kronenberger
288 Seiten, gebunden
Preis: 22,- Euro, ISBN: 978-3-446-26377-2
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