DIE ZEIT 42/19 37
F
ast tausend Jahre dauerte das
Zeitalter des Islams in Spa-
nien, jene Epoche, die 711
mit der Eroberung der Ibe-
rischen Halb insel durch den
freigelassenen Sklaven Tariq
ibn Ziyad begann und mit
der gewaltsamen Vertreibung der Muslime
durch die katholische In qui si tion 1614 ihr
offizielles Ende fand. Brian A. Catlos, Pro-
fessor für Religionsgeschichte an der Univer-
sity of Colorado, schildert in seinem Buch
al-Andalus dieses Jahrtausend.
Das Schreiben über diese Zeit ist von
jeher immer auch ein politisches State ment:
So entbrannte Mitte des 20. Jahrhunderts
zwischen den spanischen Historikern Amé-
rico Castro und Claudio Sánchez-Albornoz,
beide damals während der Franco-Diktatur
im Exil, ein Streit über die Bedeutung von
Al-Andalus für die moderne Identität Spa-
niens. Während Castro das fruchtbare Zu-
sammenleben (convivencia) von Muslimen,
Juden und Christen herausstellte, als dessen
Produkt er die heutige spanische Identität
betrachtete, bezeichnete Sánchez-Albornoz
die islamische Kultur als das Fremde, das
es »vor allem für Christus« mit Gewalt von
der Iberischen Halb insel zurückzudrängen
galt. Auch heute noch betonen Historiker
entweder die gewaltsamen, oft als Heiliger
Krieg glorifizierten Aus ein an der set zun gen
oder verklären Al-Andalus als Paradies des
friedlichen Mit ein an ders der verschiedenen
Religionen. In diesem Spannungsfeld muss
sich Catlos positionieren. Sein wichtigstes
Anliegen ist es dabei, dem Thema die re-
ligiöse Sprengkraft zu nehmen. So hebt er
immer wieder hervor, dass die Menschen
damals weniger aus religiösen Motiven
heraus, sondern vielmehr pragmatisch und
macht orien tiert agierten. Mehrfach betont
er, dass die Eroberung mancher Gebiete
ohne die Ko ope ra tion der Ortsansässigen
nicht möglich gewesen wäre und dass mus-
limische und christliche Herrscher immer
wieder Bündnisse eingegangen seien.
Verwunderlich ist es, dass Catlos Be-
griffe wie »Orient« – seit Edward Saids
Klassiker Orien ta lis mus problematisch – be-
nutzt, ohne sie zu erläutern. Und er scheut
sich nicht vor anachronistischen Ver-
gleichen. So entdeckt er im andalusischen
Männlichkeitskult »die ›Gangsta‹-Kultur
des 9. Jahrhunderts – ein testosterongesteu-
erter, weinseliger Lebensstil, bei dem sich
alles um Klunker, Goldketten, Kumpels
und Frauen drehte, um sarkastischen Steg-
reif-Rap und Geltungskonsum«. Christli-
che Konkubinen erleben bei ihm »ein ähn-
liches Schicksal, wie es Margaret Atwood in
ihrem fiktiven Report der Magd beschrieben
hat«. Oft be endet er Abschnitte mit einem
Cliff hanger, überhaupt schreibt er sehr
anschaulich.
Hingebungsvoll widmet sich Catlos
den diversen kriegerischen Aus ein an der set-
zun gen: Araber gegen Berber, Omaijaden
gegen Abbasiden, Goten gegen Franken,
Muslime gegen Christen gegen Juden, Bru-
der gegen Bruder. Dagegen kommen wis-
senschaftliche, künstlerische und kulturelle
Errungenschaften des islamischen Spaniens
leider viel zu kurz. Zwar umschreibt Catlos
gelegentlich die Bedeutung von Wissen-
schaft, Poesie und Theologie, doch es bleibt
bei oberflächlichen Verweisen; der Reich-
tum an Kunst und Architektur kommt
kaum vor. Auf der allerletzten Seite befindet
Catlos dann plötzlich, Historiker neigten
dazu, die 900 Jahre des islamischen Spa-
niens als eine Zeit des permanenten Krieges
zu betrachten, obwohl es sich doch um eine
Epoche »des kreativen Mit ein an ders, allen
religiösen Differenzen zum Trotz«, handle.
Nach Hunderten Seiten Kampf nach erzäh-
lung kommt dieses Fazit überraschend. So
verpasst er mit seinem Buch eine Chance.
Tatsächlich entfachte besagter Austausch
mit der islamischen Welt, deren Herrscher
Philosophie, Medizin, Mathematik, Gram-
matik, Poesie und Geschichte förderten, im
rückständigen Europa eine neue Wissen-
schaftsbegeisterung, die zur Re nais sance
führte. Was wir heute Westen nennen,
hatte seine Wurzeln auch im islamischen
Andalusien.
Brian A. Catlos:
al-Andalus
Geschichte des islamischen Spanien;
a. d. Engl. v. Rita Seuß;
C. H. Beck, München 2019;
491 S., 29,95 €, als E-Book 24,99 €
Gangstas in Cordoba
Brian A. Catlos erklärt das islamische Spanien unreligiös
VON FRIEDERIKE QUANDER
GROSSELTERLICHE
LIEBE UND DER
NIEDERGANG EINES
GRANDHOTELS
IN DEN NORWEGI-
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