Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

A


m liebsten wäre Rudolph
»Rudy« Giuliani, der ehemalige
Bürgermeister von New York,
Außenminister in der neuen
Trump-Regierung geworden.
Daraus wurde nichts, weil er
nach seiner Zeit als Bürger-
meister mit vielen Ländern lukrative Geschäfte
gemacht hatte, die es mit den Menschenrechten
nicht so genau nahmen. Der Senat hätte ihn nie-
mals bestätigt.
Dass Donald Trump seinen Namen im Tele-
fongespräch mit dem ukrainischen Präsidenten
Selenskyj viermal erwähnte, ist für Rudy Giuliani
offenbar eine späte Genugtuung. Während alle
anderen Personen, die von dem ersten Whistle-
blower genannt wurden, versuchen, so gut wie
möglich die Öffentlichkeit zu meiden, sitzt Giuliani
in jeder TV-Talkshow, die ihn bucht. Statt ruhig
und diplomatisch auf die Frage zu antworten, ob
und warum er als Trumps persönlicher Anwalt, in
der Ukraine nach belastendem Material über die
politischen Gegner des amerikanischen Präsiden-
ten gesucht hat, fängt er schnell an, laut zu werden.
Auch dass die Whistleblower-Beschwerde ein
Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump
in Gang gesetzt hat, ließ Giuliani nicht vorsichti-
ger werden. Letzte Woche drohte er, die Parlamen-
tarier zu verklagen, die ihn in der Affäre befragen
wollen. Da war sogar die konservative Moderato-
rin der Fox-Sendung, in der er das sagte, verwun-
dert. Sie drehte ihr Gesicht zur Kamera und sagte:
»Er ist unglaublich.«
Ist Giuliani verrückt geworden? Oder hat er
sich einfach nur angepasst, in einer Zeit, in der
Desinformation und Manipulation zum Standard-
repertoire des US-Präsidenten gehören?
Im April 2018 wurde Rudy Giuliani Teil von
Trumps Anwaltsteam, das ihn in der sogenannten
Mueller-Ermittlung vertrat. Während Robert
Mueller das Ausmaß der russischen Einmischung
in die Präsidentschaftswahl 2016 untersuchte, ent-
warfen die Trump-Mitarbeiter die Theorie, dass
nicht Russland das Problem sei, sondern die
Ukraine. Sie habe zugunsten der Demokraten in
den Wahlkampf eingegriffen, indem sie belasten-
des Material gegen Trumps Wahlkampfleiter Paul
Manafort produziert habe. Manafort wurde rechts-
kräftig von einem Gericht verurteilt. Giuliani re-
klamiert es als seinen Erfolg, dass nun zwei mäch-
tige republikanische Senatoren die Untersuchung
der Verbindung zwischen der Ukraine und der
demokratischen Partei angekündigt haben.
Man könnte sich nun wundern, dass gerade
Rudy Giuliani zum großen Verteidiger Donald
Trumps wurde. Giuliani, der harte, aber lange
auch liberale Republikaner, der sich als Bürger-
meister von New York für Einwanderer auch ohne
Papiere starkmachte. Der schärfere Waffengesetze
unterstützte. Giuliani, der die Rechte der Schwu-


len stärkte, indem er die Krankenversicherung von
Beamten auch auf deren schwulen Lebenspartner
ausdehnte. Der glänzende Jurist Giuliani, der
selbst im Wahlkampf um die Präsidentschaftskan-
didatur 2008 als einziger Republikaner nicht von
seiner Überzeugung abließ, dass Frauen das Recht
haben, ein Kind nicht auszutragen.
Erst wenn man etwas genauer in Giulianis Le-
ben schaut, wird deutlich, wie ähnlich Donald
Trump und er sich doch sind.
Es war ein früher Februarmorgen in New York
im Jahr 1999. In Umfragen war die Zustimmung
für Giuliani um 21 Prozent gefallen, auf den tiefs-
ten Wert in seinen fünf Jahren als Bürgermeister
von New York. All die Bürgerrechtskämpfer, die
schwarzen Politiker aus Harlem, die linken Jour-
nalisten, die er immer wieder besänftigt hatte,
hatten sich nun gegen Rudy Giuliani vereint. Die
Straßenhändler in New York verkauften T-Shirts
mit der Aufschrift »Impeach Rudy« (»Enthebt Rudy
des Amtes«). Die Stadt, seine Stadt, hatte sich ge-
gen ihn gewendet. So beschrieb es der New Yorker
Lokaljournalist Andrew Kirtzman damals in einem
Buch über Giuliani.

O


b Giuliani sich in diesen Wochen
daran erinnert hat? Könnte sein,
die Antwort auf seine Feinde ist
jedenfalls die gleiche geblieben.
Damals wurden vier weiße Polizis-
ten angeklagt, weil sie den jungen afrikanischen
Einwanderer Amadou Diallo mit 41 Schüssen in
der Bronx getötet hatten. Mit diesem unglaublichen
Fall brach die aufgestaute Empörung über die zu-
nehmende Polizeigewalt, die Erniedrigung der
Minderheiten und das racial profiling, die Risiko-
bewertung nach ethnischen Merkmalen los. Auf
den Straßen New Yorks gab es jeden Tag Demons-
trationen gegen Giuliani. Am Tag der Anklage
hätte Giuliani nun die Chance gehabt, den Graben
zwischen der Polizei und der Stadt zu überbrücken.
Er hätte vor einem großen Publikum beweisen
können, dass er noch mehr ist als der Mann, der in
New York aufgeräumt hat. Seine Verdienste waren
und sind unbestritten: Rudy Giuliani hat die Stadt
aus einem Sumpf von Korruption, Kriminalität
und wirtschaftlicher Erfolgslosigkeit gezogen. Er
hat dafür gesorgt, dass die New Yorker morgens in
eine U-Bahn steigen konnten, die nicht mit Graf-
fiti vollgesprüht war und in der Obdachlose nicht
ihre Notdurft verrichtet hatten. Er hatte die Krimi-
nalitätsrate und die Zahl der Sozialhilfeabhängigen
drastisch reduziert. Er hatte eine Politik beendet,
die seiner Meinung nach aus Angst, Minderheiten
unrecht zu tun, lieber eine Stadt in schwerer Krimi-
nalität versinken sah, als dagegen etwas zu tun.
Jetzt hätte er beweisen können, dass er auch ein
Gefühl für Opfer hat.
Aber das wollte er nicht. Kompromisse waren
noch nie Rudy Giulianis Ding. Er trat vor die TV-

Kameras und sagte: »Wir haben das Recht, mehr
Respekt von den Bürgern für unsere Polizei zu
verlangen.« Kein Mitgefühl mit dem Opfer. Giu-
liani, der Enkel von italienischen Einwanderern
aus einem weißen Arbeiterbezirk in Brooklyn,
hatte sich entschieden. Da die Afroamerikaner,
die ihn doch ohnehin als Feind sahen, da die Lin-
ken und die liberalen Zeitungen, die ihn einen
Faschisten oder herzlosen Bastard schimpften.
Sollen sie doch. Die Polizei hatte Diallo fälschli-
cherweise für einen Vergewaltiger gehalten. Sie
hatte sich nur verteidigt, das war ihr gutes Recht,
sagte der Bürgermeister. Giuliani setzte in einem
aufgeheizten Moment nicht auf Versöhnung, son-
dern auf Spaltung. Es sollte das Prinzip sein, das
Donald Trump später an die Macht führte, und es
ist das Prinzip, das Trump jetzt einsetzt, um an der
Macht zu bleiben.
Der Biograf Andrew Kirtzman beschreibt Giu-
liani als einen extrem polarisierenden Politiker:
Sein Misstrauen gegenüber Menschen, sein Kon-
trollwahn und das Bedürfnis, all diejenigen zu zer-
stören, die er als Feinde ausgemacht hatte. Gegen
seine Gegner ging er mit allen Mitteln vor, auch
vor der öffentlichen Zerstörung ihrer Reputation
scheute Rudy Giuliani, der früher einmal katho-
lischer Priester werden wollte, nicht zurück. Jedes
Mal, wenn ihn seine Feinde öffentlich herausfor-
derten, wuchs sein Zorn auf die weltfremden lin-
ken Snobs.
Steve Bannon, Trumps ehemaliger Wahlkampf-
manager, hatte früh erkannt, dass Giulianis Wut
und seine Unerschrockenheit wunderbar zur

Trump-Kampagne passte. Bannon hätte Giuliani
gern als Außenminister gesehen.
Giuliani und Trump fanden Ende der
Achtzigerjahre zusammen. Nach fünf Jahren als
New Yorker Staatsanwalt bewarb sich Giuliani
um das Amt des Bürgermeisters. Donald Trump
organisierte eine der ersten Spendenveranstal-
tungen für Giuliani im Waldorf Astoria. Der ver-
storbene legendäre Village Voice-Reporter Wayne
Barrett, der mehrere Bücher über Trump und
Giuliani geschrieben hat, glaubte, dass diese
Partnerschaft mit einem Deal besiegelt wurde,
den Giuliani als Staatsanwalt gemacht hatte. Das
FBI ermittelte Ende der Achtziger wegen eines
Mafia-Geldwäsche-Verdachts gegen Trump und
hatte sogar einen Kronzeugen, der anbot, Trumps
Gespräche heimlich aufzuzeichnen. Giuliani aber
entschied, die Ermittlungen zu beenden. Kurz da-
rauf sammelte Trump Geld für Giulianis Bürger-
meisterwahl.
Trump ist 73, Giuliani zwei Jahre älter. Beide
waren dreimal verheiratet. Giulianis erst Frau er-
fuhr ähnlich wie Trumps erste Frau von der Tren-
nung durch die Medien.
Als Staatsanwalt von New York verhandelte
Giuliani einige der spektakulärsten Fälle. Er hat
die Köpfe von fünf großen Mafia-Familien in
New York genauso angeklagt wie den berühmten
Finanzbetrüger Michael Milken und die Frau des
philippinischen Präsidenten, Imelda Marcos. Be-
rühmt haben ihn aber vor allem seine öffentlich-
keitswirksamen Festnahmen gemacht. Er ließ
weinende Banker auf dem Handelsparkett vor
laufender Kamera verhaften oder mit großem
Polizeiaufgebot vor dem eigenen Haus in Hand-
schellen abführen. Giuliani wurde einer der be-
kanntesten Staatsanwälte Amerikas. Eine eigene
Fernsehsendung wie Trump hatte er nicht. Er
wurde aber das Vorbild für den Staatsanwalt Mi-
chael Hayes in der gleichnamigen en TV-Serie.
Als jedoch viele seiner Verfahren nach der pompö-
sen Verhaftung aus Mangel an Beweisen einge-
stellt werden mussten, begannen die ersten Zwei-
fel zu wachsen.
Es gibt eine weitere Parallele im Leben von
Trump und Giuliani. Trump übernahm das Weiße
Haus von Amerikas erstem schwarzen Präsidenten.
Giuliani übernahm New York 1993 von seinem
ersten schwarzen Bürgermeister. Nachdem er we-
nig Hemmungen gezeigt hatte, die Ressentiments
der Polizei gegen den schwarzen Bürgermeister
David Dinkins auszunutzen. Obama hinterließ
Trump eine stabile, wachsende Wirtschaft. David
Dinkins hinterließ Giuliani einen gigantischen
Deal mit Disney. Und Rudy Giuliani nahm die
Lorbeeren dafür ganz für sich in Anspruch. So wie
Trump. Disney wollte ein altes Kino am herunter-
gekommenen Times Square kaufen und renovie-
ren. Es war der Beginn der Wiederbelebung des
Times Square. In einer großen Pressekonferenz

verkündete Giuliani Disneys Vorhaben. Als die
New York Times Jahre später in einem Artikel er-
wähnte, dass Dinkins den Deal mit Disney noch
in den letzten Tagen seiner Amtszeit eingefädelt
hatte, leugnete Giuliani diese Tatsache. Den Deal
habe er gemacht, erklärte Giuliani. Dass die Times
die Tatsachen falsch berichtete, habe entweder
etwas mit Inkompetenz zu tun oder sei als ein
politisch-ideologischer Angriff gegen ihn zu sehen.
Der Begriff Fake-News hätte auch von Giuliani
stammen können.
Als sein erfolgreicher Polizeichef zu viel Lob
abbekam, weil er die unkontrollierbar scheinende
Kriminalität in der Stadt reduziert hatte und 1996
auf der Titelseite des Time-Magazins erschien, da
ersetzte Giuliani ihn. 1997 wurde Giuliani mit
einer hauchdünnen Mehrheit als Bürgermeister
wiedergewählt. Er erklärte dies dennoch zu einem
Erdrutschsieg.

D


as New York Magazine machte sich
Giulianis unstillbaren Geltungs-
drang für eine Werbung zunutze.
Es schaltete an den städtischen
Bussen einen Spruch, mit dem sich
das Magazin selbst beschrieb: »Möglicherweise das
einzig Gute in New York, für das Rudy sich noch
nicht selbst verantwortlich gemacht hat.« Bürger-
meister Giuliani tobte und zwang die städtische
Transit Authority dazu, die Werbung abzunehmen,
und verklagte das Magazin. Das Blatt gewann den
Prozess, und Giuliani ging in Berufung. Das Ma-
gazin gewann wieder, und Giuliani reichte Klage
beim Verfassungsgericht ein. Dort wurde die Klage
abgewiesen. Die Kosten des Egotrips übernahm
die Staatskasse.
Rudy Giuliani steht noch immer bedingungs-
los an der Seite von Donald Trump. In den ver-
gangenen Monaten konzentrierte er all seine Ener-
gie darauf, zu belegen, dass die Ukraine die Demo-
kraten in der amerikanischen Präsidentschaftswahl
unterstützt habe und dass Trumps politischer Ri-
vale Joe Biden einen ukrainischen Korruptions-
ermittler aus dem Amt gedrängt hat, um die an-
geblich korrupten Geschäfte seines Sohnes Hunter
Biden zu decken.
Verstehen kann man das nur, wenn man sich
das Ende von Giulianis politischer Karriere in Er-
innerung ruft. Als vergleichsweise linker Republi-
kaner, der das Recht auf Abtreibung verteidigt,
ging der ehemalige New Yorker Bürgermeister mit
einem erniedrigend schlechten Ergebnis in den
Vorwahlen zur Präsidentschaft unter. Er gewann
gerade mal einen Delegierten. Präsident wurde am
Ende der bis dahin unbekannte schwarze Senator
Barack Obama.
Zurück blieb Giulianis Wut auf das linke
Establishment. Der Kampf für Donald Trump ist
sein Kampf um die eigene Bedeutung in der ame-
rikanischen Geschichtsschreibung.

22 RECHT & UNRECHT 10. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42


Donald Trump und Rudy Giuliani
gleichen sich nicht nur in ihren
Gesten, sondern auch in der
politischen Methode
„Spalten statt versöhnen“

Trumps Zwilling


Rudolph Guiliani wurde in der Ukraine-Affäre zum härtesten Mitstreiter des Präsidenten.


Der Grund dafür liegt in den Jahren, als der Jurist New Yorker Bürgermeister war VON KERSTIN KOHLENBERG


Fotos: Polaris/laif (l.); Chris Kleponis/Polaris/ddp (r.)

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Illustration: Lea Dohle

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