Fotos: Sebastian Wells/OSTKREUZ für DIE ZEIT
»Alle sind willkommen – so wie sie sind« heißt ein Prinzip der Gruppe Extinction Rebellion, so auch auf ihrer »Rebellion Wave« in Berlin
Muss Klimaprotest links sein?
Mit Straßenblockaden kämpft Extinction Rebellion für mehr Umweltschutz. Doch wie kaum eine Gruppe vor ihr
fordert sie das Selbstverständnis der Klimabewegung heraus VON LAURA CWIERTNIA UND SEBASTIAN WELLS (FOTOS)
O
ft wurde in den vergangenen
Monaten versucht, die Kli-
mabewegung in Worte zu
fassen. Immer neue Gedan-
ken, um die Menschen auf
der Straße in einen Rahmen
zu sortieren, der sie verbin-
det, zu Millionen, weltweit. Von einer wütenden
Generation war zu lesen, von Realisten oder Radi-
kalen. Nun allerdings könnte ausgerechnet ein
Moment, der die Bewegung trennt, mehr über sie
verraten als viele Augenblicke, die sie einten.
Dieser Moment ereignete sich am vergangenen
Sonntag nicht auf der Straße, sondern auf Twitter.
Einen Tag bevor in Berlin die Rebellion Wave be-
gann, eine Reihe von Straßenblockaden der Klima-
gruppe Extinction Rebellion (XR), riet Jutta Ditfurth
Menschen davon ab, bei der Protestaktion mitzuma-
chen. Ditfurth, ein Gründungsmitglied der Grünen,
war auch aus der Partei ausgetreten, weil ihr deren
Positionen zu angepasst schienen. In 15 Tweets mit
der Überschrift »Warnhinweis #ExtinctionRebellion«
kritisierte sie nun die Haltung und das Vorgehen der
Gruppe, die vor etwas mehr als einem Jahr in England
gegründet wurde und diese Woche auch in Berlin für
viel Aufmerksamkeit sorgt. »XR wird niemals ein
kritisches, rationales, linkes Projekt sein«, fasste sie
ihre Kritik im letzten Satz zusammen.
Jutta Ditfurth ist nicht die Erste, die XR Vor-
würfe macht. Bisher lauteten die vor allem, dass die
Gruppe radikaler vorgehe als etwa die »Fridays for
Future«- Ak ti vis ten. Statt auf angemeldete Demons-
trationen setzt sie auf illegale Protestaktionen und
Massenverhaftungen. Nun aber wachsen auch abseits
von Twitter, in den verschiedenen Klimabündnissen,
Zweifel an der politischen Einstellung der Gruppe.
Hinter dieser Debatte stecken Fragen, die weit über
XR hinausgehen. Wie ähnlich muss das Weltbild der
Menschen sein, die gemeinsam demonstrieren?
Müssen Umweltaktivisten konkrete politische Ziele
formulieren? Und welche sind das?
In den vergangenen Monaten ging es vor allem
darum, wie viele Menschen für die Klimabewegung
auf die Straße gehen. Auf einmal wird auch disku-
tiert, wer das tut.
Lange schien die Antwort auf diese Frage ziemlich
eindeutig zu sein: Im Hambacher Forst wehten neben
Klimabannern Fahnen mit Anarchie-Symbolen. Die
Gruppe Ende Gelände bezeichnet sich selbst auf
ihrer Website als »antikapitalistisch«. Die »Fridays for
Future«-Aktivisten äußerten sich zwar öffentlich
weniger ideologisch, aber Greta Thunberg trat bei
einer Rede mit einem Antifa-T-Shirt auf, und eine
Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsfor-
schung zeigte: In Deutschland ordneten sich die
meisten der Freitagsdemonstranten dem linken poli-
tischen Spektrum zu. Das spiegelt sich selbst in der
Sprache vieler Aktivisten wider. So sagen sie nicht
mehr »Klimaschutz«, sondern »Klimagerechtigkeit«.
Der Kampf um die Natur gilt ihnen als unabdingbar
verbunden mit anderen politischen Kämpfen: dem
gegen Rassismus oder soziale Ungleichheit, dem für
Feminismus und ein anderes Wirtschaftssystem.
Mit XR kommt ein neuer Ansatz in die Klima-
bewegung. Spricht man mit Mitgliedern, vertreten
viele von ihnen persönlich zwar ähnliche Meinungen
wie die progressiven Umweltaktivisten. Offiziell aber
sieht die Position von XR anders aus: Die Gruppe hat
es zum Ziel erklärt, so viele Menschen wie möglich
auf die Straße zu bringen – indem sie keinen aus-
schließt: Linke sind genauso willkommen wie Kon-
servative, Liberale oder AfD-Wähler, solange alle
Mitglieder respektvoll miteinander umgehen und
eines ihrer Kernprinzipien respektieren: »Wir ver-
meiden Schuldzuweisungen und Beleidigungen.«
Andere Aktivisten wollen sich nicht mit
Extinction Rebellion gemeinmachen
Diese Einstellung ist es, die manchen nun missfällt.
Zwar hat die Bewegung auch prominente Unter-
stützer wie die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete,
den Sänger Bela B. oder den Schauspieler Christian
Ulmen. Zur Rebellion Wave nach Berlin reisten
diese Woche Tausende Menschen aus dem ganzen
Land. Hörte man sich allerdings vorher unter Klima-
aktivisten um, überlegten nicht wenige, in diesen
Tagen zu Hause zu bleiben. Anders als bei Aufrufen
von »Fridays for Future« oder Ende Gelände, bei
denen sich die verschiedenen Gruppen oft verbün-
deten, schreckten manche nun davor zurück, sich mit
der Aktion gemeinzumachen.
Schon vor einigen Wochen war die Skepsis zu
erkennen, nach einer Blockade des Bündnisses »Sitzen
bleiben« in Hamburg. XR-Aktivisten hatten den Platz
offenbar vorzeitig verlassen, weil jemand aus einer
anderen Gruppe »fuck cops« gerufen haben soll, als
die Polizei zu räumen begann, auch mit Handgriffen,
die schmerzhaft waren. Unsolidarisch hätten sich die
Aktivisten verhalten, hieß es später in den sozialen
Netzwerken, zu freundlich zu denen, die es den
Klimagruppen schwermachten. Eine Kolumnistin
der taz kommentierte daraufhin, es brauche eine
linke Massenbewegung. Eine Rebellion der Mitte
verspreche »Düsteres«.
Ganz anders sieht es Roger Hallam, der sich die
Strategie der Bewegung maßgeblich ausgedacht hat
und auch bei einigen seiner Aktivisten umstritten ist.
Im Gespräch mit der ZEIT hatte Hallam gesagt, er
wolle auch Konservative für die Bewegung gewinnen,
und auch jemand, der »ein bisschen sexistisch oder
rassistisch denkt«, könnte bei ihnen mitmachen.
Dieser Kommentar sorgte für Aufregung, selbst bei
den deutschen Mitgliedern von XR. Die Gruppe
betonte in einer Stellungnahme, diskriminierendes
Verhalten werde selbstverständlich bei ihnen nicht
akzeptiert, blieb aber dabei: Alle sind willkommen.
Derzeit sitzt Hallam in London im Gefängnis, da
er gemeinsam mit anderen mit Drohnen den Flug-
hafen von Heathrow lahmlegen wollte. Hallam sagt
über sich selbst, er stamme aus der linken Szene, viel
zu spüren ist davon nicht mehr, wenn man ihm zu-
hört. Bei einem Gespräch Ende August in seinem
Büro wurde er mehr als deutlich: »Das größte Pro-
blem, das dazu führt, dass wir aussterben werden, ist,
dass die Linke die Klimakatastrophe kolonisiert.«
Andere XR-Aktivisten formulieren vorsichtiger. So
sagt der deutsche Sprecher Tino Pfaff: »Es geht nicht
darum, dass die linke Szene ein Problem ist. Aber es
ist ein Problem, wenn der Klimakampf nur links ist.«
Roger Hallam umwirbt Konservative mit Sätzen
wie diesem: »Der schnellste Weg, eine stabile Öko-
nomie zu zerstören, ist die Klimakatastrophe. Der
Kapitalismus funktioniert nicht im Chaos.« Er ist
überzeugt, dass Klimaprotest erfolglos bleibt, wenn
er nur das Projekt einer linken Minderheit ist. Zu
wenig hätten linke Bewegungen aus seiner Sicht in
den vergangenen Jahrzehnten erreicht, indem sie
unter sich blieben. »Es muss ein universeller Kampf
werden«, sagte er.
Wer hat recht? Muss Protest sich entlang der poli-
tischen Achse einsortieren, wenn er etwas bewirken
will? Oder kann eine Klimabewegung erfolgreich
sein, die sich weder links noch rechts positioniert?
Tatsächlich spricht vor allem ein Argument für
Roger Hallams Strategie: die Massentauglichkeit.
So selbstverständlich miteinander verknüpft, wie
grün und links oftmals scheinen, sind sie nämlich
nicht. Teile der Naturschutzbewegung waren immer
konservativ geprägt, wie der Bund Naturschutz in
Bayern oder der Bund für Vogelschutz, aus dem
später der Nabu wurde. Erst in den 1970er-Jahren,
mit der Gründung von Greenpeace, wandelte sich
das Image der Umweltorganisationen. Doch selbst
in der Anti-Atomkraft-Bewegung gab es noch Unter-
stützer rechts der Mitte, manche von ihnen galten
gar als rechtsextrem.
Das Mobilisierungspotenzial beim Klima ist
größer als bei den meisten anderen Themen
Anders als ein Arbeiterstreik oder der Konflikt um
Abtreibung ist der Umweltschutz ein Ziel, das so
ziemlich jeden in der Gesellschaft bewegen kann.
Sorgen um das Klima treiben heimatverbundene
Landbewohner genauso um wie kosmopolitische
Städter, gläubige Christen ebenso wie atheistische
Wissenschaftler. Das führt zu einem enormen Mo-
bilisierungspotenzial, größer vielleicht als bei jedem
anderen Thema. Und während so mancher Konser-
vative oder Liberale mit Gruppen wie Ende Gelände
oder den Besetzern des Hambacher Forsts fremdelt,
könnte eine Gruppe, die sich ideologisch nicht posi-
tionieren will, dieses Potenzial abrufen.
Bislang steht sich XR dabei selbst im Weg. Die
Selbstdefinition als »Rebellen«, die Straßenblockaden,
mit denen sie gegen Gesetze verstoßen, vermitteln in
der Öffentlichkeit nicht das Bild einer Bewegung der
Mitte. Die Gruppe bemüht sich aber um ein anderes
Image. Videos zeigen Aktivisten in London, die Poli-
zisten »Wir lieben euch« zurufen. Damit scheinen sie
Erfolg zu haben: Erst kürzlich wurde bekannt, dass
Ex-Polizisten sich in England der Gruppe angeschlos-
sen haben. Ein ehemaliger Gesetzeshüter soll sogar
schon für XR ins Gefängnis gegangen sein.
Für Roger Hallams Strategie spricht auch ein
anderes Argument: Gegner der Klimabewegung be-
haupten schon länger, den Aktivisten gehe es nicht
allein um die Umwelt, sondern darum, sozialistische
Reformen durch die Hintertür einzuführen. Für XR
kann das kaum gelten.
Trotzdem hat die Strategie der Gruppe einen
Haken. Und der zeigt sich an dem Punkt, an dem die
Klimabewegung gerade steht. Wenn die Masse auf
der Straße angekommen ist. Wenn es nicht mehr
darum geht, Menschen für eine Sache zu gewinnen,
sondern zu sagen, was diese Sache genau ist.
Während andere Klimaaktivisten über eine CO₂-
Steuer und den Kohleausstieg sprechen, formuliert
die Gruppe nur drei Forderungen – die unkonkreter
kaum sein könnten. Die erste heißt: »Sagt die Wahr-
heit« und fordert die Regierung auf, den Klimanot-
stand auszurufen, eine vor allem symbolische Geste.
Die zweite heißt »Handelt jetzt« und verlangt, dass
die Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf null redu-
ziert werden. Und die dritte, »Politik neu leben«, soll
dazu führen, dass die Menschen in Bürgerversamm-
lungen über die Klimapolitik mitentscheiden sollen.
Der Grund für das vage Programm ist gerade, dass
die Bewegung offen für alle Positionen sein will. Und
hier liegt das Problem: So groß das Mobilisierungs-
potenzial sein mag, so klein wird die Chance, sich
später auf gemeinsame Ziele zu einigen. Gerade weil
sich so viele Menschen vom Umweltthema angespro-
chen fühlen, ist ein Konsens schwer zu finden. Denn
sobald es nicht mehr nur um ein allgemeines Ziel
geht, sondern um konkrete Maßnahmen, wird deut-
lich: Die unterschiedlichen Wege zum Klimaschutz
sind kaum miteinander vereinbar.
Während die eine Seite dem Markt vertraut und
das Problem mit grünem Wachstum lösen will, gibt
die andere dem Wachstum die Schuld an der Krise
und sieht den Staat in der Pflicht, es zu begrenzen.
Einige fordern mehr Anreize, andere wollen eher Ver-
bote. Und während manche sich um Klimaflücht-
linge sorgen, haben andere Angst vor ihnen.
Das könnte dazu führen, dass die Strategie von
XR, mag sie noch so viele Menschen erreichen, am
Ende wirkungslos bleibt. Betrachtet man die Bewe-
gungen der vergangenen Jahrzehnte, waren immer
jene erfolgreich, die eine klare Forderung formulier-
ten: Atomausstieg jetzt, Weg mit FCKW, Bürger-
rechte für alle. Ohne konkrete Ziele wird es schwer,
etwas zu erreichen. Einen Kessel zum Kochen zu
bringen nützt wenig, wenn man keine Idee hat, was
man mit dem heißen Wasser anfangen soll.
In Berlin verbuchte Extinction Rebellion ihre
Protestaktion schon nach dem ersten Tag als Erfolg:
Die Polizei musste eine Räumung unterbrechen, so
viele Menschen stellten sich ihr entgegen. Auch auf
Twitter bewegte die Rebellion Wave die Menschen
weiter. So positionierte sich die Gruppe Ende Ge-
lände schließlich doch noch und schrieb: »Wir finden
nicht alles was Extinction Rebellion macht gut, aber
dieser Start in die Woche war beeindruckend. Mon-
tage sind mit großen Blockaden gleich viel schöner.«
Auf der Straße scheint genug Platz für alle. Spä-
testens wenn es in die Politik geht, wird es eng.
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24 WIRTSCHAFT 10. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42