Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1
Michael Greve, 55, in den Räumen seiner Risikokapitalfirma Kizoo

Foto: Patrick Junker für DIE ZEIT

Hauptsache, gesund


Mit web.de begründete Michael Greve den deutschen Internetboom. Inzwischen widmet sich der Millionär dem Kampf gegen das Altern VON CHRISTOPH KOCH


D


er Mann liebt die Pro vo ka­
tion: »Woran möchten Sie
persönlich denn gerne ster­
ben?«, fragt Michael Greve,
und seine grau­blauen Au­
gen werden plötzlich klein.
»An Krebs? Herzschwäche?
Immunversagen?« Der 55­Jährige hat auf Angriff
geschaltet. »Es wacht doch niemand morgens auf
und denkt sich, heute wäre ein guter Tag, einen
Herzinfarkt zu haben.«
Der Gründer des Internetportals web.de spricht
gerne über Methoden, mit denen sich alters­
bedingte Krankheiten in Schach halten oder Zel­
len erneuern lassen. Worüber er nicht gerne
spricht: Unsterblichkeit. »Das ist ein blödes Wort!
Darum geht es doch gar nicht«, sagt er und trinkt
leicht genervt einen Schluck Ingwertee. Greve sitzt
in einem kleinen Café nahe der Admiralbrücke in
Berlin­Kreuzberg. Es gibt vegane Suppen, Plüsch­
sessel und Barzahlung. Greves Wohnung liegt um
die Ecke. Wenn er nicht dort ist, verbringt er seine
Zeit in Karlsruhe und ab und zu im Silicon Valley.
In Karlsruhe hat er in den Neunzigern den Grund­
stein für sein Vermögen gelegt. In Kalifornien gibt
er einen Teil davon wieder aus, um den Kampf
gegen das Altern zu unterstützen.


Red Bull zum Frühstück, Rotwein zum
Runterkommen – das war einmal


Michael Greve, aufgewachsen in Frankfurt am
Main, war gerade 16, als sein Vater (»Mitarbeiter
Nummer 3 bei Hewlett­Packard Deutschland«)
ihm und dem zwei Jahre jüngeren Bruder Mat­
thias einen Apple II schenkte – solche frühen PCs
waren 1979 in deutschen Haushalten etwa so ver­
breitet wie Privatflugzeuge. Schon zwei Jahre spä­
ter gründeten die beiden Brüder ihre erste Soft­
warefirma. Als sie an der Uni Karlsruhe zum ersten
Mal mit dem Internet in Kontakt kamen, erkann­
ten sie schnell dessen Potenzial. »Wir stellten alle
Aktivitäten, die nicht mit Online zu tun hatten,
sofort ein«, erinnert sich Greve heute. Auf der
Cebit mieteten sie einen Ministand. Das Angebot:
Wir bringen Ihre Firma ins Internet. Resonanz:
null. »Neben uns am Stand versuchte ein Grieche,
Menschen für Reisebuchungen über ISDN zu be­
geistern. Auch das hat niemanden interessiert«,
sagt Greve.
Gemeinsam mit Emmanouil Lapidakis gründe­
ten die beiden Brüder schließlich lastminute.de –
und später mit flug.de das laut Greve erste deutsche
Online­Buchungssystem. »Für lastminute.de tipp­


ten drei Hausfrauen diese Zettel aus Reisebüro­
schaufenstern ab, und wir stellten die Angebote
online.« Auch die ursprüngliche Idee nahm endlich
Fahrt auf: »Als BASF merkte, dass sie eine Webseite
brauchen, präsentierten wir unser Konzept dort
neben 19 Werbeagenturen«, so Greve. »Einen Tag
später kam der Anruf, und wir hatten den Auftrag,
BASF plus 17 Tochtergesellschaften ins Netz zu
bringen.« Weitere Kunden folgten, doch eine Frage
hörte Greve immer wieder: »Wie wird man denn
gefunden in diesem Internet?« Ein Jahr lang ant­
wortete er, in den USA gäbe es so eine Seite: Yahoo


  • ein Verzeichnis aller existierenden Webseiten.
    Das käme bestimmt auch bald nach Deutschland.
    Nach einem Jahr luden die Greves ein paar Freunde
    für ein Wochenende ein, katalogisierten zusammen
    die rund 2500 Webseiten, aus denen das deutsche
    Netz damals bestand – und gründeten 1995 das
    Portal web.de. Das Timing war perfekt: Die Deut­
    schen entdeckten millionenfach das Netz, web.de
    lieferte Gratismailadresse, Nachrichten und Online­
    Spiele. Es wuchs exponentiell.
    Michael Greve wuchs auch und hatte am Ende
    20 Kilo Übergewicht. »Red Bull zum Frühstück,
    dann den ganzen Tag Kaffee und drei Packungen
    Zigaretten. Abends Rotwein und Pizza zum
    Runterkommen.«
    Greve ist Anfang 40, als er das Thema Gesund­
    heit für sich entdeckt. Er hört mit dem Rauchen
    auf, stellt seine Ernährung um, nimmt massiv ab.
    Inzwischen verzichtet er komplett auf Milch­
    produkte und Getreide, generell auf industriell
    verarbeitete Nahrung. Paleo­Diät ist der Trend­
    begriff für diese Art von Ernährung. Greve meidet
    ihn fast so sehr wie das Wort Unsterblichkeit.
    Nach dem Verkauf von flug.de (2003 an
    Otto), lastminute.de (2004 an lastminute.com)
    und web.de (2005 an United Internet) ist Greve
    zwar dreistelliger Millionär, doch das unternehme­
    rische Glück verlässt ihn: Die Combots AG, mit
    der er Mail, SMS und Telefonie in einer supersim­
    plen Anwendung verschmelzen will, wird zum
    teuren Fiasko. Er will es noch mal allen beweisen,
    doch er verrennt sich. Etwa zur gleichen Zeit ver­
    öffentlicht der britische Bioinformatiker Aubrey
    de Grey sein viel beachtetes Buch Ending Aging.
    Der Alterungsprozess sei eine Krankheit, die man
    heilen könne, schreibt er darin. Zum Beispiel, in­
    dem man sogenannte seneszente Zellen elimi­
    niert: Diese Zellen teilen sich nicht mehr, sterben
    aber im Gegensatz zu normalen Zellen auch nicht
    ab. Statt dessen sammeln sie sich gewissermaßen
    als Zellmüll an, sorgen für Entzündungen und
    Krankheiten und behindern die Bildung neuer


WAS BEWEGT MICHAEL GREVE?


Zellen. »Mir als Ingenieur hat de Greys Reparatur­
ansatz auf molekularer und zellulärer Ebene sofort
eingeleuchtet«, sagt Greve, der das Buch einige
Jahre später liest. Seine Mutter ist inzwischen an
Krebs gestorben, die Großmutter litt vor dem Tod
jahrelang an Alzheimer. 2014 gründet Greve die
Stiftung Forever Healthy, um seine mühsam zu­
sammengetragenen Erkenntnisse über ein längeres
Leben mit der Welt zu teilen. Er nimmt Kontakt
zu Aubrey de Grey auf, der inzwischen ins kalifor­
nische Mountain View gezogen ist und dort die
Sens Foundation gegründet hat: eine Stiftung, die
wissenschaftlich erforscht, wie sich das Altern
bremsen lässt. Das Geld dafür stammt vorwiegend
aus Aubrey de Greys stattlichem Erbe und von
Paypal­Gründer Peter Thiel. Greve verdrängt ihn
bei einem Besuch im Silicon Valley 2016 als Top­
Spender: 10 Millionen Dollar gibt er de Grey. Eine
Hälfte für Forschungsförderung, eine Hälfte als
Kapital für Start­ups, die diese Forschung umset­
zen sollen. Wie lange soll das Geld reichen? Will er
irgendwann nachschießen? »Das ist eine Passion
für mich. Da will ich einen Beitrag leisten. Dafür
setzte ich mein Vermögen gerne ein«, sagt Greve.
Konkreter wird er nicht.
Aubrey de Grey ist mit seinem Rasputinbart
und grauen Pferdeschwanz nicht nur optisch das
Gegenteil von Michael Greve: Bei einem Abend­
essen im Vorfeld der »Undoing Aging«­Konfe­
renz, die er und der asketische Greve 2019 zum
zweiten Mal in Berlin organisieren, spült der Brite
seinen Pastaberg mit einem großen Bier und ei­
nem doppelten Jack Daniels hinunter. Greve hin­
gegen (an diesem Abend nicht anwesend) medi­
tiert täglich, meidet Alkohol, Zucker und ge­
sättigte Fettsäuren.
Gibt es etwas Eitleres als einen schwerreichen In­
ternetgründer, der den eigenen Tod wenn schon nicht
abschaffen, dann wenigstens so lange wie möglich
hinauszögern will? Oder ist es begrüßenswert, wenn
ein erfolgreicher Geschäftsmann sein Geld in Ge­
sundheitsforschung investiert statt in die hundertste
Flirt­App oder ein weiteres E­Scooter­Start­up?
Seine Risikokapital­Firma Kizoo – deren erstes In­
vestment eine Beteiligung an der erfolgreichen
Fremdsprachen­App Babbel war – hat Greve inzwi­
schen komplett auf Biotech­Investitionen im Bereich
Rejuvenation umgestellt – es dreht sich alles um Ver­
jüngung. Mit der Online­Plattform Rejuvenation
Now will er bereits verfügbare Anti­Aging­Therapien
vorstellen und Nutzen­Risiko­Analysen liefern. Er
selbst nimmt beispielsweise (ohne an der Krankheit
zu leiden) das Diabetes­Medikament Metformin, das
als Altersbremse gilt.

Es gibt im Grunde nichts mehr in seinem Le­
ben, was er nicht dem Thema Jungbleiben unter­
geordnet hat. Beim Poker würde man sagen: Er ist
All­In. Ein Testament gemacht hat er trotzdem.
»Natürlich!«, ruft er und lacht.

Greve träumt von Menschen ohne
Alzheimer, Krebs und Diabetes

Einen Tag nach dem Treffen im Kreuzberger Café
steht Greve am Rednerpult des Hauptstadtkon­
gresses Medizin und Gesundheit. Gesundheitsminis­
ter Jens Spahn (CDU) hat die Eröffnungsrede ge­
halten, Greve kommt erst unmittelbar vor seinem
eigenen Programmpunkt »Altern therapieren: Zu­
kunftsmusik oder bald Realität?«. Es ist die letzte
Veranstaltung am dritten Tag. Draußen rollen schon
die ersten Rollkoffer zum Taxistand, drinnen stellt
Greve seine Stiftung und Projekte vor. Bei der an­
schließenden Diskussion mit Professoren von der
Newcastle University oder der Universität Köln wird
Greve respektiert, auch wenn er mit Abstand der
optimistischste ist. »Ich bin absolut überzeugt, dass
das die größte Industrie aller Zeiten wird.« Der Rest
der Runde ist vorsichtiger: Man müsse abwarten,
alles nicht so einfach, weitere Untersuchungen not­
wendig. Start­up­Welt gegen das Alte Europa. Als
Greve über Fotos von Labormäusen spricht, auf
denen man sehen könne, wie nach der Entfernung
seneszenter Zellen junges, glänzendes Fell nach­
wachse, widerspricht einer der Forscher. Es handele
sich bei den Fotos keineswegs um zweimal dieselbe
Maus, die verjüngt wurde. Sondern gewissermaßen
um zwei gleich alte Mäuse, eine unbehandelt, eine
behandelt. Die Uhr lasse sich eben nicht zurück­
drehen, allenfalls aufhalten. Und das bislang eben
auch nur bei Mäusen.
Michael Greve geht es eher um das große Bild
als um ein paar kleine Labortiere. »Diese Thera­
pieansätze sind ja nicht schützbar, es wird also
viele konkurrierende Anbieter geben«, sagt er.
»Und in einem Markt mit Anbieterkonkurrenz
und vielen lukrativen Kunden wird die Qualität
immer steigen und die Preise werden sinken.« Fi­
nanzierbarkeit sei sowieso nicht die Frage. »Sobald
das wirklich funktioniert und die Menschen 10,
20 oder 50 Jahre länger gesund bleiben können,
werden diese Therapien doch niemandem ver­
wehrt bleiben«, ist sich Greve sicher. »Unser Ge­
sundheitssystem ist doch sowieso schon am An­
schlag, und wenn die Leute kein Alzheimer, keinen
Krebs und keinen Diabetes bekommen und mit
60 noch so leistungsfähig sind wie mit 30, dann
rechnet sich das doch von selbst.«

flug.de
1998 wird flug.de von
Matthias und Michael Greve
als eines der ersten deutschen
Online­Buchungssysteme
gegründet, 2003 an die
Otto­Tochter Travelocity
Europe verkauft.

web.de
Vom E­Mail­Dienst über
Gratislotto bis zum Online­
News­Angebot »Seite Eins«
vereinte das Portal Ende der
Neunziger fast alles.
Der Börsengang im Februar
2000 erfolgte gerade noch
rechtzeitig, bevor der
Neue Markt zusammenbrach,
Konkurrent Lycos war
einen Monat danach schon
zu spät dran.

Combots
Nach dem Verkauf von
web.de gründete Michael
Greve im Herbst 2005 die
Combots AG. Die Mischung
aus Instant Messenger,
Internet­Telefonie, Comic­
Avataren und Transferdienst
für große Dateien strebte die
weltweite Marktführerschaft
für persönliche
Online­Kommunikation an,
entpuppte sich nach
mehrjähriger Entwicklungszeit
jedoch als Flop.

Der Internetpionier


und seine


Unternehmen


34 WIRTSCHAFT 10. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42

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