Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

»Der einsame weiße Wolf


ist ein Albtraum«


Generalbundesanwalt Peter Frank über die zunehmende Vernetzung unter


Rechtsextremisten und das sinkende Vertrauen der Allgemeinheit in die deutsche Justiz


Frank: Ernst und Markus H. kannten sich aus frü-
heren Tagen aus der rechtsextremen Szene, verloren
sich aber aus dem Blick. Als sie sich wiedertrafen,
wurde das Verhältnis sehr eng. Wir gehen davon
aus, dass Markus H. den Kontakt zu einem Waffen-
verkäufer hergestellt hat. Ernst und H. haben ge-
meinsame Schießübungen durchgeführt, waren ge-
meinsam bei besagter Bürgerversammlung und ha-
ben sich in ihrem rechtsextremen Weltbild bestärkt.
Sie haben die Gedankenwelt geteilt und sich gegen-
seitig aufgestachelt. Wir werten das rechtlich als
psychische Beihilfe zum Mord, haben aber keine
Anhaltspunkte dafür, dass Markus H. an dem kon-
kreten Anschlag vor Ort beteiligt war.
ZEIT: Stephan Ernst hat den Mord erst gestanden
und dann das Geständnis widerrufen. Wie glaub-
haft ist dieser Widerruf?
Frank: Über die Beweggründe für den Widerruf
kann ich nur spekulieren. Ich habe jedenfalls kei-
nen Zweifel daran, dass das Geständnis verwertbar
ist. Es ist in der Welt und verschwindet nicht mehr.
Es gibt verschiedene Wege, ein einmal abgegebenes
Geständnis in eine Hauptverhandlung einzufüh-
ren. So können zum Beispiel die Beamten, die
Ernst vernommen haben, als Zeugen vor Gericht
gehört werden.
ZEIT: Hatte Ernst noch andere Helfer?
Frank: Wir ermitteln gegen Elmar J., der mehrere
Schusswaffen – darunter auch die Tatwaffe – an

Ernst verkauft haben soll. Und wir schauen uns ge-
nau an, ob es einen weiteren Ring von Unterstüt-
zern gibt. Ein Zeuge hat ausgesagt, er habe zwei
Autos beobachtet, die vom Tatort weggefahren sein
sollen. Und selbstverständlich treibt uns die Frage
um, ob sich eine rechtsterroristische Gruppe um
Ernst herum gebildet hatte.
ZEIT: Ist es denkbar, dass Ernst Verbindungen zum
Nationalsozialistischen Untergrund hatte?
Frank: Es gibt zumindest eine örtliche Nähe zu zwei
NSU-Morden in Kassel und Dortmund. Stephan
Ernst wohnt in Kassel und ist 2009 das letzte Mal
in Dortmund straffällig geworden. Und Markus H.
ist im Zuge der Ermittlungen zu einem NSU-Mord
schon einmal befragt worden. Wir dürfen nicht ver-
gessen, dass Walter Lübckes Name in Aufzeichnun-
gen des NSU auftaucht. Wir gehen jedem noch so
kleinen Hinweis nach.
ZEIT: Sie haben vor Kurzem eine andere rechts-
terroristische Gruppierung angeklagt, die unter
dem Namen »Re vo lu tion Chemnitz« auftrat. Das
Bemerkenswerte an dem Fall ist, dass die Gruppe
zwar in einer internen Chatgruppe über einen
Anschlag gesprochen hat, aber noch gar nicht
aktiv wurde.
Frank: Es gab immerhin eine Art Probelauf, als
Teile der Gruppe abends durch Chemnitz zogen
und auf der Schloss teich insel unter anderem eine
Jugendgruppe angriffen.

ZEIT: Wird man als Rechtsterrorist schon dann an-
geklagt, wenn man als Maulheld in einer internen
Chatgruppe auftritt?
Frank: In dem Urteil gegen die Old School Society ...
ZEIT: ... eine Gruppe von sächsischen Neo nazis, die
Anschläge geplant, aber nicht durchgeführt hatten ...
Frank: ... spricht das Oberlandesgericht München
davon, dass es ausreicht, wenn der feste Wille zur
Begehung von Straftaten klar ausgesprochen wurde
und es erste Bemühungen für dessen Umsetzung
gegeben hat. Wegen Mitgliedschaft in einer terro-
ristischen Vereinigung kann man also schon ver-
urteilt werden, wenn es einen verbalen Austausch
gibt. Im Fall der Old School Society ist kein einziger
Anschlag passiert, und Gruppenmitglieder wurden
trotzdem zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Dieses Urteil ist sehr wichtig für uns. Damit kön-
nen wir deutlich früher als bisher eine terroristische
Vereinigung verfolgen.
ZEIT: Man muss keine Sympathie für Neo nazis
haben, um das für eine harte Gangart zu halten.
Frank: Das Terrorismus-Strafrecht ist heute dazu da,
den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden weit
vor einem Anschlag die Möglichkeit eines Zugriffs
zu geben. Wir wenden das konsequent an. Wir wol-
len damit auch ein Si gnal senden: Der Rechtsstaat
ist wehrhaft, die Demokratie verteidigt sich.

Die Fragen stellte Holger Stark

DIE ZEIT: Herr Frank, wir würden mit Ihnen
gerne über den Rechtsstaat reden. Steckt unser
Rechtssystem in der Krise?
Peter Frank: Rechtsstaat und Demokratie sind
untrennbar mit ein an der verbunden und bedin-
gen sich gegenseitig. Daher sehe ich mit großer
Sorge, dass die Angriffe auf unseren Rechtsstaat
zunehmen. Es spielt dabei keine Rolle, ob die
Angriffe von rechts, links oder aus einer religiö-
sen Motivation heraus erfolgen. In gewissen
Kreisen wird der Rechtsstaat nicht als das ge-
sehen, was er ist, nämlich eine große Errungen-
schaft, die sich unter vielen Mühen in den ver-
gangenen 200 Jahren entwickelt hat. Für man-
che stellt der Rechtsstaat vielmehr ein Hindernis
dar, wenn es darum geht, die eigenen Ziele unter
Berufung auf einen angeblichen »Volkswillen«
oder das »Volksempfinden« durchzusetzen. Dies
zeigt sich etwa in der abnehmenden Akzeptanz
von Entscheidungen staatlicher Institutionen,
von Parlamenten, Behörden und Gerichten, die
nur dann als bindend betrachtet werden, wenn
sie die eigene Linie bestätigen. Damit es nicht so
weit kommt, müssen wir den Rechtsstaat kon-
sequent verteidigen.
ZEIT: Seit wann beobachten Sie diese Ent-
wicklung?
Frank: Ich beobachte diesen schleichenden Pro-
zess seit mindestens zehn Jahren.
ZEIT: Bei einer Umfrage des Meinungsfor-
schungsinstituts Civey vom Januar 2019 gaben
45 Prozent der befragten Bürger an, ihr Vertrauen
in die Justiz sei »gering« oder »sehr gering«. Das
sind besorgniserregende Zahlen.
Frank: Dieses Ergebnis hat mich selbst sehr
überrascht. Wir müssen uns
die Frage stellen, warum sich
die befragten Personen in die-
ser Weise geäußert haben, was
die Gründe sind, und Vertrau-
en zurückgewinnen. Allerdings
wird häufig übersehen, dass die
Bürger in vielen Lebenslagen
mit der Justiz zu tun haben und
dies reibungslos verläuft – den-
ken Sie etwa an den Erwerb ei-
ner Immobilie oder eine Erb-
schaft. Es sind meist spektaku-
läre Einzelfälle, durch die die
gesamte Justiz in ein falsches
Licht gerückt wird. Auch ich
persönlich teile nicht jede Ent-
scheidung bis ins letzte Detail.
Dafür gibt es aber in der Regel
eine höhere Instanz, die eine
unrichtige Entscheidung korri-
gieren kann.
ZEIT: Einer der Fälle, die dazu
beigetragen haben, das Vertrau-
en in die Justiz zu unterspülen,
ist der Mord an dem Mädchen
Susanna in Wiesbaden. Das
Asylverfahren des Mörders blieb
beim Verwaltungsgericht eineinhalb Jahre lang
unbearbeitet liegen. Was empfinden Sie, wenn
Sie so etwas hören?
Frank: Es steht mir nicht an, mich zu Fällen der
Landesjustiz zu äußern. Wenn aber Gerichtsver-
fahren nicht zeitnah bearbeitet werden können,
muss man der Ursache auf den Grund gehen.
Eine hohe Belastung der Justiz ist vielfach eine
Konsequenz von immer komplexer werdenden
rechtlichen Regelungen. Personell muss die Jus-
tiz so ausgestattet sein, dass sie diesen Entwick-
lungen nicht hinterherläuft.
ZEIT: Der Vizepräsident des Wiesbadener Ver-
waltungsgerichts Ralph Göbel-Zimmermann
hat eingeräumt, sein Gericht sei »völlig überlas-
tet« gewesen.
Frank: Dann leidet der Rechtsstaat, weil die Be-
völkerung fragt: Wofür haben wir denn Gerich-
te, wenn sie ihrem gesetzlichen Auftrag nicht
nachkommen können? Rechtsstaat heißt auch:
Gerichte und Behörden müssen in der Lage sein,
in einer angemessenen Zeit ein Ergebnis zu fin-
den, eine Entscheidung zu treffen.
ZEIT: Der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph
Knispel sagt ganz unverblümt: »Die Berliner
Justiz ist den aktuellen Anforderungen nicht ge-
wachsen.«
Frank: Es ist Aufgabe der Landesparlamente,
Gerichte und Staatsanwaltschaften bedarfsge-
recht auszustatten. Vor einigen Jahren ist die
Justiz zuweilen nur unter dem Aspekt ihrer Be-
deutung für den Wirtschaftsstandort gesehen
worden. Heute ist das große Ganze viel wichti-
ger: ihre Notwendigkeit für unseren demokrati-
schen Rechtsstaat und das Vertrauen der Men-
schen in ihn. Deshalb bin ich sehr froh, dass die
Koa li tions frak tio nen nach der Bundestagswahl
einen Pakt für den Rechtsstaat geschlossen ha-
ben, der deutschlandweit 2000 neue Stellen für
die Justiz vorsieht.

ZEIT: Was ist seitdem geschehen?
Frank: Wir als Bundesanwaltschaft haben seit
2016 über 50 neue Stellen für Staatsanwältinnen
und Staatsanwälte bekommen; das stärkt unsere
Arbeit. Mit dem zusätzlichen Personal konnte
ich unter anderem drei neue Ermittlungsreferate
schaffen: je ein zweites Referat für die Verfolgung
von rechtsterroristischen Vereinigungen und von
Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch sowie
ein weiteres im Bereich des islamistischen Terro-
rismus, das sich mit Gefährdern befasst.
ZEIT: Teilen Sie die Einschätzung von Bundes-
innenminister Horst Seehofer, dass Islamismus
und Rechtsextremismus die beiden großen Ge-
fahren für die innere Sicherheit ausmachen?
Frank: Ja, das ist so.
ZEIT: Mit dem Mord an dem Kasseler Regie-
rungspräsidenten Walter Lübcke ist erstmals seit
dem Ende der Roten Armee Frak tion wieder ein
Politiker in Deutschland ermordet worden. Ist
das eine Zäsur?
Frank: Der Mord ist ein tiefer Einschnitt. Die
RAF hatte hochrangige Politiker und wichtige
Vertreter der Wirtschaft ins Visier genommen,
aber keine kommunalen Volksvertreter. Dass ein
Regierungspräsident wie Walter Lübcke zum Ziel
von terroristischen Anschlägen geworden ist, wie
übrigens bereits die heutige Kölner Oberbürger-
meisterin Henriette Reker im Kommunalwahl-
kampf 2015, verändert einiges. Wenn Personen,
die bereit sind, Verantwortung in unserer Demo-
kratie zu übernehmen, mit dem Tod bedroht
werden, ist das brandgefährlich. Wir sehen das
vielfach auch, wenn Bürgermeister bedroht oder
angegriffen werden oder Mitglieder von Kreis-
tagen und Gemeinderäten.
Deshalb ist es so wichtig, ent-
schieden dagegen vorzugehen.
ZEIT: Fürchten Sie Nach ahmer?
Frank: Ich befürchte, dass es
Nachahmungstäter geben könn-
te. Die Gefahr ist groß, dass
sich andere Rechtsextremisten
ähnlich radikalisieren und zur
Tat schreiten könnten.
ZEIT: Können Sie uns erklären,
was im Kopf von Stephan Ernst,
dem mutmaßlichen Mörder,
vorgegangen ist?
Frank: In seinem Geständnis
hat sich Ernst auch ausführlich
zu seiner Motivlage geäußert.
Wir gehen davon aus, dass er
ein Zeichen gegen die Mi gra-
tions po li tik und die Aufnahme
von Flüchtlingen setzen wollte.
Es ging ihm darum, mit Walter
Lübcke gezielt einen Verant-
wortlichen zu treffen. Auf ihn
wurde Ernst erstmals bei dem
Besuch einer Bürgerversamm-
lung in Lohfelden im Jahr
2015 aufmerksam.
ZEIT: Ernst sagt, er sei da völlig »ausgetickt« aus
Empörung, dass Lübcke die Flüchtlingspolitik
verteidigt habe.
Frank: Ja, so schildert er das. Aber zu Details des
Geständnisses möchte ich mich nicht äußern.
Wir haben jedenfalls einen Gutachter zur Klä-
rung der Frage beauftragt, ob und inwieweit bei
Ernst psychische Beeinträchtigungen vorgelegen
haben könnten.
ZEIT: Wie der Mörder im neuseeländischen
Christ church fühlte sich Ernst berufen, im Na-
men einer vermeintlichen »weißen Rasse« zu tö-
ten. Wie gehen Sie mit diesem Phänomen um?
Frank: Im Internet sind in den vergangenen Jah-
ren viele Foren entstanden, in denen Rechtsextre-
misten ihre Gedankenwelt teilen. Sie eint ihre
Vorstellung, die »weiße Rasse« müsse vor »Ein-
dringlingen« geschützt werden, zum Teil ver-
knüpft mit der religiösen Vorstellung, das christ-
liche Abendland führe einen Überlebenskampf
gegen Muslime. Das ist der ideologische Nähr-
boden für Taten wie in Christ church oder Kassel.
Es ist eine virtuelle Gemeinschaft entstanden, die
bei den Teilnehmenden den Eindruck erwecken
möchte, Teil eines großen Ganzen zu sein.
ZEIT: Der einsame weiße Wolf, der sich im In-
ternet radikalisiert, muss doch ein Albtraum für
Sie sein.
Frank: Der einsame weiße Wolf ist ein Alb-
traum, ja. Oft sind einsame Wölfe aber gar nicht
so einsam, weil sie über Foren mit anderen in
Kontakt treten und dort stimuliert werden. In
diesen Foren finden Mörder wie in Neuseeland
Claqueure, die Beifall spenden. Auf dieses Zu-
sammenspiel müssen die Behörden ganz beson-
ders achten und schon weit vor möglichen Taten
schauen, was sich online zusammenbraut.
ZEIT: Stephan Ernst hatte offenbar mindestens
einen Neo nazi an seiner Seite, seinen alten
Freund Markus H. Welche Rolle spielte der?

Er arbeitete ab 1995 für
das bayerische Justiz-
ministerium und später als
Generalstaatsanwalt am
Oberlandesgericht
in München. 2015 wurde
er mit 47 Jahren zum
jüngsten Generalbundes-
anwalt der bundesdeut-
schen Geschichte ernannt

Peter Fra n k


Foto: Anne-Sophie Stolz für DIE ZEIT



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42 POLITIK 5


ANZEIGE
Free download pdf