I
ENTDECKEN
»Apfel-Z befreit einen vom Druck,
die Dinge auf Anhieb richtig zu machen«
ch war schon ein bisschen beleidigt. Und
auch irgendwie verletzt. Das ist halt so,
wenn man verlassen wird. Wenn man was
Wichtiges verliert. Wie lautet diese Song-
zeile von Joni Mitchell, die jeder kennt:
»Don’t it always seem to go / that you don’t
know what you’ve got / ’til it’s gone«. So ging
es mir damals auch.
Dabei war gar nicht so viel weg. Eigent-
lich nur zwei Tasten: »Command« und »Z«.
Und zwar in Kombination. Die dazugehörige
Funktion heißt: rückgängig machen.
Ich will Sie nicht mit den technischen
Details dieses Verschwindens langweilen.
Am Anfang dachte ich, es wäre nur ein
nicht geladenes Up date gewesen, Krümel
im Key board. Oder ich hätte was falsch
gemacht, kommt auch gerne mal vor. Sie
wissen, wie das ist: Man sitzt heute so viel
am Computer, hat aber eigentlich keine
Ahnung von ihm. Also entwickelt man
eine fast zwischenmenschliche Beziehung
zu den Geräten, spricht mit ihnen, hofft,
dass sie auch Lust auf Arbeit haben. Man
lernt, irgendwie mit ihren Launen zu le-
ben. Manche Leute haben solche Gefühle
auch gegenüber ihren Autos, glaube ich.
Oder ihren Waschmaschinen.
Aber Apfel-Z kam vorerst nicht wieder,
und ich habe einige Zeit gebraucht, um mir
der Dimension dieses Verlustes bewusst zu
werden. Zunächst hab ich das gemacht, was
jeder Mensch tut, der viel Zeit am Computer
verbringt: Ich begann um das Problem he-
rumzuarbeiten. Work around sagt man dazu
auch. Das heißt, ich habe versucht, so zu ar-
beiten, dass ich Apfel-Z nicht brauche.
Um es kurz zu machen: Es hat nicht
funktioniert.
Jetzt muss man dazusagen, dass sich
viele den Arbeitsalltag von Journalisten
wahrscheinlich falsch vorstellen. Sie den-
ken, als Journalist recherchiert man im-
mer irgendwas, sitzt mit Politikern bei
Hintergrundgesprächen, durchblättert voll-
geschriebene Moleskine-Heftchen, denkt
extrem konzentriert über extrem wichtige
Themen nach – das Klima zum Beispiel –
oder trifft Informanten in Parkhäusern.
Stimmt schon. Gibt es alles. Aber die meis-
ten von uns starren einfach nur den ganzen
Tag in den Computer.
Und deswegen ist die Tas ten kom bi na-
tion cmd + Z (strg + Z unter Microsoft) –
oft auch »Apfel-Z« genannt, weil auf Mac-
Rechnern lange Zeit ein Apfel auf der
Command-Taste zu sehen war – halt schon
eine Funktion, die man relativ oft braucht.
Einen falschen Satz kopiert – Apfel-Z. Ver-
sehentlich einen Text gelöscht – Apfel-Z.
Sich beim Umschreiben verrannt – Apfel-Z,
Apfel-Z, Apfel-Z.
Kaum ein anderes Arbeitsgerät erlaubt
dem Menschen, den letzten Schritt zu-
rückzunehmen, als wäre er nie passiert. Ein
Messer, ein Hammer, ein Klavier sind im
Grunde nur Verlängerungen des mensch-
lichen Körpers. Die Genialität einer Person
wird durch sie übertragen. Seine Blödheit
aber auch. Ein Bildhauer, der falsch haut,
muss seine Skulptur eventuell wegschmei-
ßen, ein Chirurg, der falsch schneidet, sei-
nen Patienten im schlimmsten Fall begra-
ben. Ein Pianist, der sich verspielt, kann
den falschen Ton nicht mehr einfangen.
Aber wir, lieber Leser, wir arbeiten dank
Apfel-Z praktisch mit Magie!
Bevor es Computer (und mit ihnen
Apfel-Z) gab, war das Leben schreibender
Menschen sehr viel mühsamer. Der Sozio-
loge Armin Nassehi erinnert sich im Vor-
wort seines Buches Muster: Theorie der di-
gitalen Gesellschaft an die analoge Herstel-
lung seiner Diplomarbeit. Zuerst verfasste
Irgendwie war die Überschrift vorher besser
VON FRANCESCO GIAMMARCO
er sie per Hand, dann schrieb er sie auf
einer Schreibmaschine ins Reine. Diesen
Text wiederum übergab er einem Schreib-
büro, das daraus eine Arbeit machte. Nassehi
erzählt, wie sich »jeder Fehler bei der Be-
nutzung der Tastatur auswirkte – und zwar
so gut wie nicht rückholbar«. Und wenn er
doch mit Tipp-Ex die Fehler selbst korri-
gierte, hatte das beschriebene Papier zwar
einen »geheilten Text, aber auch die Narben
konnte jeder sehen«.
Korrektur hatte also ihren Preis. Und
Neuanordnung war ohne die Zerstörung
des Geschaffenen nicht möglich. Wer weni-
ger linear mit Text arbeiten wollte, musste
kreativ werden, wie Leo Tolstoi oder
Honoré de Balzac, die ihre Manuskripte
angeblich zerschnitten, um Sätze zu löschen
und neu zu arrangieren – was heute mit
wenigen Tastengriffen möglich ist.
Ich würde Ihnen jetzt gerne erklären,
wem genau wir Apfel-Z zu verdanken ha-
ben. Aber einen klaren Erfinder dieser
Funktion scheint es nicht zu geben. Ver-
schiedene Programmierer kamen in den
frühen Jahren der Computerentwicklung
auf die Idee, einen solchen Befehl zu im-
plementieren. Es schien einfach nützlich
und vernünftig. Je mehr und je öfter Men-
schen an Computern arbeiteten, desto
mehr stieg die Wahrscheinlichkeit, dass
Fehler passieren. So suchte zum Beispiel der
Programmierer Andy van Dam Ende der
Sechzigerjahre für ein System an der ame-
rikanischen Brown-Universität nach einer
Funktion zum Schutz gegen die, wie er es
nannte, »Oh-Shit-Momente«. Und 1976
schrieben zwei Mitarbeiter der Firma IBM
in einem Aufsatz über das Nutzerverhalten
an Computern, dass es »ziemlich nützlich
wäre, wenn Nutzer zumindest den letzten
Befehl zurücknehmen könnten«.
Aus heutiger Sicht wirkt diese Formulie-
rung wie eine gigantische Untertreibung.
Nicht nur wir Journalisten, auch Filme-
macher und Fotografen würden dem sicher
zustimmen. Denn Apfel-Z ist mehr als das
Zurückholen von voreilig oder aus Verse-
hen Gelöschtem (auch wenn das die mit
Abstand befriedigendste Form der Anwen-
dung ist). Die Funktion Apfel-Z erlaubt es
dem Nutzer, verschiedene Realitäten aus-
zuprobieren, in denen man zum Beispiel
unfassbare, unsagbare Sätze schreibt (seien
wir ehrlich: auch unfassbar dumme) – und
nach einem Knopfdruck ist es, als hätten
sie nie existiert. Apfel-Z ist ein Mittel, um
die Zeit zurückzudrehen und Geschehenes
ungeschehen zu machen. Theoretisch kann
man stundenlang in eine Richtung schrei-
ben, die Szenen eines Films arrangieren,
ein digitales Foto bearbeiten – und dann
innerhalb weniger Sekunden Schritt für
Schritt zum ursprünglichen Zustand zu-
rückkehren. Apfel-Z ist ein Sicherheits-
netz. Mit ihm lässt es sich risikofrei experi-
mentieren und ausprobieren, um die beste
Variante zu finden. Ist es das jetzt? Oder
war es vorher besser?
Kurz gesagt: Apfel-Z befreit einen vom
Druck, die Dinge auf Anhieb richtig zu
machen.
Das ist nicht nur bequem für den Nutzer.
Lustigerweise entsteht durch diese etwas er-
ratische Art zu arbeiten am Ende der genau
gegenteilige Eindruck. Diese Zeitung ist ein
gutes Beispiel. Jede Woche stehen in der ZEIT
sehr lange, sehr stringente Texte, die wirken,
als wären sie im Kopf sehr lange bewegt und
schließlich in einem Guss geschrieben wor-
den. Dabei wurde wahrscheinlich sehr viel am
Bildschirm bewegt und unterdessen sehr oft
Apfel-Z gedrückt.
Ich habe dann aber auch darüber nach-
gedacht, was schlecht sein könnte an
Apfel-Z. So ist das, wenn man einer Sache
hinterhertrauert. Irgendwann fängt man
an, nach Dingen zu suchen, die daran nicht
so toll waren.
Natürlich ist es so, dass Leute, die stän-
dig zwischen verschiedenen Varianten swit-
chen, die sich nicht festlegen können, total
und aufs Übelste nerven. Auch das ist et-
was, das man als Büroangestellter sehr
schnell lernt. Insofern ist Apfel-Z die tas-
tengewordene Unverbindlichkeit. Denn
Apfel-Z raubt uns eine eigentlich sehr sym-
pathische Fähigkeit: Entschlossenheit. Bö-
ser gesagt, Apfel-Z ist die Krücke der Ängst-
lichen, von Leuten, die unsicher sind, die
keine Fehler machen wollen und Schwie-
rigkeiten haben, sich zu entscheiden. Die
einen Schritt machen und dann wieder
rückwärtskrebsen.
Speziell jungen Menschen wird heute
oft vorgeworfen, sie könnten sich nicht
festlegen. Für meinen Teil kann ich sagen,
dass das nur zur Hälfte stimmt, weil ich
mich eigentlich ganz gut festlegen kann,
vielleicht weil ich nur noch halbjung bin.
Aber es ist korrekt, dass Soft ware mittler-
weile alle Bereiche unseres Alltags durch-
dringt, nicht nur die Arbeit. Menschen
verabreden sich über Soft ware, sprechen
mit ein an der über Soft ware, buchen Reisen
über Soft ware, schauen Filme über Soft-
ware. Und jede Soft ware kennt eine Va-
rian te von Apfel-Z. Taxis können ebenso
schnell bestellt wie storniert werden.
Freundschaften können auf Face book ge-
schlossen und wieder aufgelöst, Herzchen
auf Instagram verteilt und wieder zurück-
genommen werden.
Da ist es nur konsequent, dass viele
Menschen sich diese Funktion auch für
das echte Leben wünschen. »Cmd + Z for
Real Life« ist im Netz ein weitverbreitetes
Meme, ein Code für Situationen, in de-
nen man die Zeit zurückdrehen will. Es
gibt kleine Zeichnungen, in denen die
Tasten »cmd« und »Z« angezogen sind wie
die Figuren aus dem Film Zurück in die
Zukunft, der Text dazu lautet: »Zurück in
die Vergangenheit«. Man kann T-Shirts
kaufen, auf denen steht: I wish cmd + z
worked in real life. Eine jüngere Kollegin
hat mir mal glaubhaft versichert, dass es
sie jedes Mal in den beiden Fingern juckt,
mit denen sie normalerweise die Tasten
bedient, wenn ihr etwas runterfällt oder
sonst ein Ungeschick passiert. Eine andere
hat neulich beim Bügeln ein Loch in ihr
neues Kleid gebrannt und als Erstes
»Apfel-Z gedacht«.
Natürlich ist es verlockend, sich der
Vorstellung hinzugeben, auch im echten
Leben die Zeit zurückdrehen zu können.
Vor allem wenn man sich besonders doof
angestellt hat. Aber es sind gerade die
schweren, unveränderbaren Dinge, die ei-
nem nachhaltig Erfahrung bringen. Ich
habe einmal einer Frau, in die ich verknallt
war, gesagt, dass ich sie für ihre Schwächen
mag, nicht für ihre Stärken. Ich sag mal:
Apfel-Z wäre da echt hilfreich gewesen.
Wir hätten bestimmt doch noch ge-
knutscht. Aber dann hätte ich nie gelernt,
dass man so dummes Zeug nicht sagt.
Inzwischen funktioniert Apfel-Z übri-
gens wieder, wenn auch nur manchmal, so
ganz habe ich meinen Computer noch im-
mer nicht verstanden. Egal, wahrscheinlich
ist in ein paar Wochen wieder alles beim
Alten. Man muss da einfach auf Gott ver-
trauen. Oder auf die IT, die kommt meiner
Meinung nach gleich als Nächstes. Ich
glaube allerdings, dass die Zeit ohne Apfel-Z
ganz heilsam war. Nicht nur weil man ge-
merkt hat, wie sehr es einem fehlt, die Zeit
zurückdrehen zu können. Sondern auch weil
man besser versteht, was verloren geht, wenn
man es kann.
Illustration: Shutterstock (S. 71); Canstock
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72 10. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42
Illu stration:Xaviera Altena
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100tage
Wie gelingt de rStart in ein e rfol greichesBerufsleben?
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TechnikerKrankenkasse un dVertret ernw eitererrenommierter
Unternehmen über »Die erst en 100TageimJob«. Bes uche
einender beidenWorkshop szu Or ientierung »Sofinde ich
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