Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1

10 leben FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. OKTOBER 2019, NR. 40


Ich habe Fotos von mir gemacht, um
mich ganz bewusst damit auseinanderzu-
setzen: Wie sehe ich jetzt mit 50 aus? Ich
habe tatsächlich auch Make-up gekauft.
Ich wollte das mal ausprobieren. Viel-
leicht komme ich jetzt in das Alter, wo
ich ein bisschen mehr Make-up tragen
sollte. Das ebnet alles. Mein Thema sind
Pigmentflecken, ich bereue jetzt, dass ich
mir über die Jahre nicht mehr Sonnen-
creme ins Gesicht geschmiert habe, aber
gut, das kann man nicht mehr rückgängig
machen. Aber man muss abwägen: Wie
natürlich möchte ich aussehen? Oder wie
sehr möchte ich mich hinter einer Maske
verstecken? Ich glaube, ich stehe lieber zu
meinem Alter. Zum Weggehen passt die-
ses Maskenhafte, wenn man sich ohnehin
stylt und schickere Schuhe anzieht. Aber
im Alltag möchte ich nicht so angemalt
sein. Man sieht das Alter ja trotzdem:
Dann ist man eben eine Frau, die viel
Make-up trägt.

Noch sechs Tage
Ich war schon lange nicht mehr so viel un-
terwegs, sowohl privat als auch beruflich.
Ich komme kaum zum Durchatmen.
Aber wenn weniger los wäre, würde man
mehr ins Grübeln kommen und sich fra-
gen: Oh Gott, kommt jetzt die Phase der
Langeweile?

Noch fünf Tage
Auf meinem Hochzeitsfoto habe ich den-
selben Haarschnitt wie jetzt, und dann
denke ich: Ist zwar ein jüngeres Gesicht,
aber nicht so anders. Als ich jetzt Bilder
für den Fünfzigsten meiner Freundin
rausgesucht habe, habe ich Fotos von
mir in den Zwanzigern gefunden. Da-

mals fand man sich ganz normal, und
man war auch normal im Vergleich zu
den Gleichaltrigen. Jetzt habe ich ge-
dacht: Wow. So gut sah ich dann doch
aus. Was ein Unterschied. Das war Ju-
gend. Jetzt ist man eine reife Frau.
Man hat ja viel erlebt, und es ist nicht
so, dass mein Leben langweilig war. Aber
an Schule und Uni-Zeit habe ich beson-
ders viele Erinnerungen, während mir zu
anderen Phasen weniger einfällt. Durch

den Geburtstag meiner Schulfreundin ist
mir klargeworden, wie lange das schon
her ist: 40 Jahre – Wahnsinn. Früher
habe ich immer gedacht, man könnte die
Leute von damals einfach anrufen, und
dann würde man sich treffen, und alles
wäre wieder gleich. Jetzt rückt diese Zeit
immer mehr in die Ferne. Das ist auch
ein trauriges Gefühl.
Ich glaube, man bleibt der gleiche
Mensch, auch wenn man sich verändert.
Kürzlich hat mal jemand zu mir gesagt,
ich wirke so aggressiv. Dabei halte ich

mich für so diplomatisch und höflich wie
eh und je. Aber Männer mögen es be-
kanntlich nicht, wenn Frauen zu selbstbe-
wusst auftreten. Ich habe das sofort the-
matisiert: Würdest du dasselbe über mich
sagen, wenn ich ein Mann wäre? Früher
hätte ich mich das nie getraut, sondern
mich im Stillen geärgert. Inzwischen gibt
es Dinge, die ich mir einfach nicht gefal-
len lasse. Das liebe ich an diesem Alter.

Noch vier Tage
Warschau, abends, im Hotel. Ich habe
meine Dienstreise um einen Tag verlän-
gert, um mir eine Stadt anzuschauen, in
der ich noch nie war: cool eigentlich.
Aber jetzt fühle ich mich müde und ein
bisschen alt. Wäre gern bei meiner Fami-
lie. Wir gehen noch essen, und dann
habe ich bestimmt wieder ein bisschen
Energie. Aber gerade bin ich erschöpft
und denke: Ist das irgendwie das Älterwer-
den?

Noch zwei Tage
Nachdem mein Lampenfieber in eine
Nervosität umgeschlagen war, die kaum
noch auszuhalten schien, kommt jetzt
wirklich dieses: Ach, ich freue mich so auf
meine Feier! Es wird bestimmt toll!
Noch einen Tag
Schöner letzter Abend. Fischessen, mein
Mann hat gekocht, und wir haben noch
lange geredet über unsere Familien und
wie es so ist, älter zu werden.

Noch anderthalb Stunden
Hotelzimmer, siebter Stock, traumhafter
Blick. Es kommt mir tatsächlich so vor,
als ob ich verreist wäre. 50. Und jetzt...
Protokolliert von Julia Schaaf.

FORTSETZUNG VON SEITE 9


P


opprinzessin Britney Spears hät-
te es nicht besser sagen können,
damals, kurz vor der Zwangsein-
weisung in die Psychiatrie. „Ich
will Frieden und Liebe für alle“, twitter-
te Aaron Carter jetzt, nach einigen Wo-
chen auf Kollisionskurs. Bei einem Auf-
tritt in der Talkshow „The Doctors“ hat-
te der frühere Kinderstar Anfang Septem-
ber verraten, unter Schizophrenie, Angst-
attacken, Depressionen und einer multi-
plen Persönlichkeitsstörung zu leiden.
Es folgten Beschimpfungen gegen seinen
Bruder, „Backstreet Boy“ Nick Carter,
und Missbrauchsvorwürfe gegen seine
verstorbene Schwester Leslie Carter.
Als der „I Want Candy“-Sänger be-
gann, seine vom Vater geerbte Waffen-
sammlung aufzustocken, wurden Nick
Carter und Angel Carter, eine weitere
Schwester, aktiv. Nach angeblichen Mord-
drohungen des angeschlagenen Einund-
dreißigjährigen erwirkten sie vor zwei Wo-
chen eine einstweilige Verfügung. „Vor
dem Hintergrund von Aarons zuneh-
mend alarmierendem Verhalten bleibt uns
keine andere Wahl. Wir müssen uns und
unsere Familien schützen. Wir hoffen,
dass er sich behandeln lässt, bevor er sich
oder anderen etwas antut“, schrieb Nick
Carter den Fans.
Sein jüngerer Bruder, medikamentenab-
hängig und auf 55 Kilogramm abgema-
gert, revanchierte sich mit Tiraden in so-
zialen Medien. Das Gesichtstattoo mit
Medusa, das er sich am vergangenen Wo-

chenende stechen ließ, erinnerte viele an
Spears’ Glatze von 2007. Nach der Tren-
nung der Eltern, zwei Kurzehen, zwei Kin-
desgeburten und einer Entziehungskur
hatte Hollywoods erschöpftes Tanzmarie-
chen damals in „Esther’s Haircutting Stu-
dio“ im kalifornischen Tarzana zum Rasie-
rer gegriffen, um sich vor den Kameras
der Paparazzi den Kopf zu scheren.
Dass die Unterhaltungsbranche kein
ideales Pflaster für das Erwachsenwer-
den bietet, ist kein Geheimnis. Spears
und Carter, The Jackson 5, Macaulay
„Kevin – Allein zu Haus“ Culkin, Aman-

da Bynes, Lindsay Lohan, Demi Lovato,
Justin Bieber und Miley Cyrus – die Lis-
te zeitweilig implodierender Nachwuchs-
stars wird täglich länger. „Man ist ein
Kind, das arbeitet“, fasste die Schauspie-
lerin Tia Mowry das Aufwachsen am Set
der Sitcom „Sister, Sister“ in einem Inter-
view zusammen: „Jeder meint, das Le-
ben eines Kinderstars sei glamourös. Da-
bei ist dir andauernd bewusst, dass eine
ganze Show an dir hängt und Leute mit
dir Geld verdienen. Zusätzlich geht man
zur Schule und muss auf vieles verzich-
ten. Es herrscht unglaublicher Druck.“

Wie sich der Druck entlädt, scheint
eine Frage des Typs. Cyrus, die als Elf-
jährige für die Kinderserie „Hannah
Montana“ entdeckt wurde, setzt auf Dro-
gen und Sex. Auf eine kurze Ehe mit
dem Australier Liam Hemsworth, die
die Sängerin und Schauspielerin vor
zwei Monaten abrupt beendete, folgte
eine Romanze mit Brody Jenners Noch-
Ehefrau Kaitlynn Carter. Nach der un-
erwarteten Trennung von der Reality-
darstellerin und einem Cannabis-unter-
fütterten Urlaub in der Wüste bestätigte
die Sechsundzwanzigjährige am Freitag
eine Liaison mit dem Sänger Cody
Simpson von „New Problems“.
Justin Bieber, mit 13 Jahren aus der ka-
nadischen Provinz für die Musikkarriere
in die Vereinigten Staaten gezogen, ver-
sucht derweil, sich durch Religion und
Ehe zu stabilisieren. Vor der kirchlichen
Trauung mit dem Model Hailey Baldwin
in der vergangenen Woche hatte der Mäd-
chenschwarm jahrelang mit Alkoholfahr-
ten, Drogenexzessen und Handgreiflich-
keiten für Schlagzeilen gesorgt. „Ich wur-
de über Nacht von einem Dreizehnjähri-
gen aus einer Kleinstadt zu jemandem,
der von allen Seiten gelobt wurde. Millio-
nen erklärten mir ihre Liebe und sagten,
ich sei großartig. Wenn man das als Jun-
ge oft genug hört, beginnt man irgend-
wann, es zu glauben“, bat der 25 Jahre alte
Grammy-Preisträger seine Anhänger
jetzt um Entschuldigung.
Besonders heftig scheint der frühe
Ruhm die Jungstars des Disney Channel
mitzunehmen. Lovato, deren Karriere

im Alter von 15 Jahren mit der Serie „As
the Bell Rings“ begann, musste im ver-
gangenen Jahr nach einer Überdosis
Opioid angeblich im Krankenhaus wie-
derbelebt werden. Wie ihre Disney-Kol-
legin Selena Gomez, bekannt als Star
der Kinderserie „Wizards of Waverly
Place“, litt sie jahrelang unter Depressio-
nen und Drogensucht. Auch der „High
School Musical“-Teenie-Schwarm Zac
Efron, lange als Saubermann des Kinder-
senders gefeiert, überraschte vor einigen
Jahren mit einer Alkoholbeichte.
Selbst die Grammy-Gewinnerin
Christina Aguilera blieb von dem soge-
nannten Disney-Fluch nicht verschont.
Auf ihren Part in der Unterhaltungssen-
dung „Mickey Mouse Club“ folgten

Rauschgift, Entzugsversuche und eine
Verhaftung wegen Alkoholkonsums in
der Öffentlichkeit.
Der „Disney Curse“ hat Tradition.
Schon der Kinderstar Bobby Driscoll,
Jahrgang 1937, wurde durch Hollywoods
Erwartungen aus der Bahn geworfen.
Nach seinem Kurzauftritt in dem Famili-
endrama „Lost Angel“ hatte Disney bei
den Eltern des Fünfjährigen angerufen.
Auf die Hauptrolle in „Onkel Remus’
Wunderland“ folgten „Die Schatzinsel“,
ein Oscar und der Absturz. Im Frühjahr
1968, wenige Wochen nach dem 31. Ge-
burtstag, starb Disneys früheres Wun-
derkind mit einigen leeren Bierflaschen
an der Seite in einem verlassenen Haus
in New Yorks East Village.
„Nicht viele Kinderstars schaffen es,
Hollywood lebend oder gesund zu über-
stehen“, fasste die Schauspielerin Mara
Wilson ihre Erfahrungen für die Web-
site „Cracked“ zusammen. Ihr Rezept
für einen erfolgreichen Ausflug nach
Tinseltown? Unterstützung der Eltern,
Freiwilligkeit und nicht das Gefühl, für
den Lebensunterhalt der Familie sorgen
zu müssen. Wilson, die im Alter von
fünf Jahren mit Robin Williams und Sal-
ly Field „Mrs. Doubtfire“ drehte, ver-
weist auf das Coogan-Gesetz. Die nach
Jackie Coogan, einem der bekanntesten
Kinderstars der Dreißiger, benannte Re-
gelung soll junge Darsteller vor finan-
ziellen Übergriffen schützen.
Dass Erziehungsberechtigte und Stu-
dios aber nur 15 Prozent der Gagen zu-
rücklegen müssen, sorgt weiter für Miss-
töne. Organisationen wie die BizParentz
Foundation warnen zudem vor dunklen
Kanälen, durch die Manager immer wie-
der Honorare abzweigten. Noch schwe-
rer wiegen die Vorwürfe über sexuellen
Missbrauch von Nachwuchsstars. Vor ei-
nigen Jahren kam es zum Eklat, als der
frühere Schauspieler Michael Egan den
„X-Men“-Regisseur Bryan Singer be-
schuldigte, ihn als Jugendlichen bei
Pool-Partys vergewaltigt und als Sex-
spielzeug an Freunde verliehen zu ha-
ben. Der Missbrauch, so Egan, werde
als Türöffner zu Castings verstanden.
Singer wies alle Vorwürfe zurück. „Wir
lernten, dass sexuelle Beziehungen zwi-
schen älteren Männern und Jungen in
der Branche ganz normal sind“, be-
schreibt auch der frühere Kinderstar Co-
rey Feldman („Gremlins“) zahllose
Übergriffe in Toiletten.
Wilson ist sexueller Missbrauch er-
spart geblieben. Dennoch zog sich die
heute 32 Jahre alte Kalifornierin nach
den Dreharbeiten zu „Thomas, die fan-
tastische Lokomotive“ im Jahr 2000 aus
dem Filmgeschäft zurück und lebt heute
als Autorin an der Ostküste: „Die Kin-
derstars, denen es als Erwachsenen am
besten geht, sind typischerweise die, die
ein oder zwei Filme gemacht haben, be-
vor sie Hollywood zumindest für ein
paar Jahre den Rücken kehren. Sie stu-
dieren an Harvard, Yale oder meiner
Alma Mater, der New York University.
Sie wird auch ,Der Platz, an dem Kinder-
stars sterben‘ genannt. Dort lernt man,
etwas anderes mit seinem Leben anzu-
fangen.“

Vielleicht gewöhnt man sich daran


Wahrscheinlicher als


dauerhafter Ruhm ist


für Kinderstars in


Amerika der Absturz



  • aktuell zu sehen


bei Aaron Carter.


Von Christiane Heil


Foto mauritius images / Zoonar GmbH

Willst du dich retten, dann geh zur Uni


Kein ganz gewöhnlicher Zeitvertreib für einen Zehnjährigen: Aaron Carter 1998 in Los Angeles beim Dreh eines Musikvideos Fotos Action Press, Instagram/Aaron Carter/Screenshot F.A.S.

Ganz schön verändert: Aaron Carter, wie er
sich heute, mit 31, auf Instagram zeigt
Samstag,


  1. Oktober,
    in der F.A.Z.


Psychologie:Der Mann ist vielfältiger, als manche Wissenschaftler nahelegen.
Literatur:Wolf Wondratschek sagt, warum er bei Preisen oft übergangen wird.
Zeitgeschichte:Hans Baumans inszenierte eine abenteuerliche Flucht aus der DDR.
Fotogra5e:Martin Pudenz setzt die Gletscher in Patagonien ins Bild.
Mode:Martin Suter liebt guten Stil – nicht nur beim Schreiben.

Mehrunterfaz.net/stiloderaufInstagramunter@fazmagazin

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