Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1

18 wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. OKTOBER 2019, NR. 40


I


n Vorlesungen zur Mikroökonomie,
also zum wirtschaftlichen Verhalten
einzelner typischer Akteure, ist stets
von „Gütern“ die Rede. Der Ver-
stand der Konsumenten wird dadurch il-
lustriert, dass man sie zwischen solchen
Gütern oder Güterbündeln wählen lässt.
Meistens finden sie mehr von einem Gut
besser als weniger davon; ansonsten wäre
es ja auch kein Gut, sondern ein
Schlecht. Meistens verzichten sie auf
eine bestimmte Menge von Gut X nur,
wenn sie dafür mehr von Gut Y bekom-
men. Meistens erleben sie Sättigung,
denn irgendwann ist der Punkt erreicht,
an dem mehr Brokkoli weniger Wein
nicht kompensiert.
Schon vor mehr als fünfzig Jahren hat
der australische Ökonom Kelvin Lancas-
ter darauf hingewiesen, dass diese Darstel-
lung des Konsumverhaltens weitgehend
von den Eigenschaften der jeweiligen Gü-
ter absieht. Weitgehend, denn in den Bei-
spielen der Lehrbücher geht es nicht zu-
fälligerweise um Entscheidungen zwi-
schen Gütern, die vergleichbar sind. Sel-
ten, so Lancaster in seinem wegweisen-
den Aufsatz, werde der Konsument vor
die Wahl zwischen Schuhen und Schiffen
gestellt. Sondern meistens vor die Ent-
scheidung zwischen Butter und Margari-
ne (die substitutiv sind) oder Autos und
Benzin (die komplementär sind). Mit an-
deren Worten: Nicht die Güter, sondern
die Gütereigenschaften sind es, die vergli-
chen werden. Konsumiert wird nicht ein
Objekt, sondern die Kombination von
Merkmalen, die es hat.
Das klingt trivial, verändert aber den
Blick auf die tatsächliche Warenwelt. Tele-
fone, die fotografieren können, konkurrie-
ren nicht nur mit solchen, die es nicht
können, sondern auch mit Fotoappara-
ten. Kommt hinzu, dass sie auch Landkar-
ten, Terminkalender und Nachrichten-
dienste sind sowie Radiogeräte und Ta-

schenlampen, wird deutlich, dass Telefo-
ne – wenn man sie dann überhaupt noch
so nennen will – mit ziemlich vielen Gü-
tern konkurrieren. Für Geld galt das
schon immer, denn was kann man mit
ihm nicht alles machen.
Lancasters Beispiel in den sechziger
Jahren war anspruchsloser: Mahlzeiten
hätten sowohl Ernährungseigenschaften
als auch ästhetische, und jede Mahlzeit
verwirkliche beides zu unterschiedlichen
Anteilen. Wer sich Vitamine zuführen
will, kann aus ansonsten sehr verschiede-
nen Dingen wählen, genauso wie jemand,
dem es um „Erfrischung“ oder den Ge-
schmack von Vanille geht.
Was sich Lancaster damals noch nicht
vorstellen konnte, war die Existenz ver-
steckter Produkteigenschaften und den
politischen Streit darüber, wie mit ihnen
umgegangen werden soll. Wir haben Tele-
fone, die fotografieren, aber auch Fertig-
pizzas und Joghurte, die zur Ungesund-
heit beitragen können. Soeben hat sich
die Bundesministerin für Ernährung und
Landwirtschaft, Julia Klöckner (CDU),
für ein System der Nährwertkennzeich-
nung von Lebensmitteln ausgesprochen.
Eine Farbskala nach Art einer Ampel von
grün bis rot soll als „Nutri-Score“ rasche
Orientierung erlauben, welche gesund-
heitlich günstigen und ungünstigen In-
haltsstoffe ein Produkt enthält. Kombina-

tionen aus Zucker, Fett, Salz, aber auch
Ballaststoffen werden zu einem einzigen
Wert auf einer Skala von „A“ (grün) bis
„E“ (rot) zusammengezogen. Einzelne
Zahlenwerte, etwa zum Salzgehalt, weist
die Farbmarkierung nicht aus; diese Anga-
ben hat die Kundschaft nach wie vor im
zwangsläufig Kleingedruckten auf der
Rückseite der Produkte zu suchen.
Vorangegangen ist eine jahrelange,
sehr kontroverse Diskussion darüber, was
„der Konsument“ will, braucht und ver-
steht. Wie taktisch sie geführt worden ist,
zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Julia
Klöckner selbst bis vor kurzem die Kenn-
zeichnung heftig ablehnte, die sie jetzt
vorschlägt. Tatsächlich unterstreicht die
Debatte um Produktbeschreibungen auf
Verpackungen die widersprüchlichen
Aspekte der mikroökonomischen Kon-
sumtheorie. Einerseits wollen die Konsu-
menten, wenn man sie fragt, über das Pro-
dukt informiert sein. Andererseits nützen
ihnen wissenschaftliche Nährwertanga-
ben nicht viel, wenn ein Studium der Er-
nährungsphysiologie nötig ist, um sie deu-
ten zu können. Salz und Fett, heißt es in
der ausschlaggebenden Studie des Max-
Rubner-Instituts, sind „ungünstige“ In-
haltsstoffe, aber sie seien nicht „per se un-
günstig“. Ob sie ungünstig sind, hängt
also vom Gesamtkonsum ab, zu dem das
einzelne Objekt nur beiträgt.
Ziehen Forscher wiederum in Form ei-
ner einzigen grün-gelb-roten Wertung
die Bilanz dessen, was sie alles an Zucker,
bösen Fettsäuren, Proteinen und Ballast-
stoffen in der Schokolade oder im Oran-
gensaft gefunden haben, geben die befrag-
ten Verbraucher zu Protokoll, sie verstün-
den nicht, wie die Farbwertung zustande
gekommen sei. Natürlich nicht. Aber die
Zeit aufzubringen, sich in die entspre-
chenden Abwägungen einzuarbeiten,
wäre den meisten von uns wohl auch zu
viel. Einerseits also konsumieren wir Ei-
genschaften, andererseits doch eben auch

ein Gut, über das wir gern ein kompaktes
Urteil hätten, vergleichbar seiner Menge
und seinem Preis.
Andere Eigenheiten kommen hinzu.
Ausweislich von Umfragen ziehen deut-
sche Käufer Kalorienangaben je 100
Gramm vor, britische hingegen je Porti-
on. Doch was ist eine Portion, und wie
viele Portionen werden konsumiert? Sol-
len, wie in vielen Ländern, nur ungünsti-
ge Nährstoffe ausgewiesen werden oder
auch günstige? Das jetzt vom Ministeri-
um befürwortete System bewertet nach
Gewicht und bezieht gesundheitlich er-
freuliche Substanzen mit ein.
Bei alldem ist es die staatliche Absicht,
mittels einer Nährwertkennzeichnung
das Verhalten der Verbraucher und damit
mittelbar ihre Anfälligkeit für Krankhei-
ten zu ändern. Die Befunde entsprechen-
der Studien aus Frankreich, Norwegen,
Großbritannien und den Niederlanden
sind vieldeutig. Mal wurde ein Einfluss
festgestellt, mal nicht. Eine Studie aus
Australien, das ein vergleichsweise diffe-
renziertes Informationslabel hat, berich-
tet sogar von einem negativen Einfluss
auf das Kaufverhalten. Ähnlich unklar ist
bislang, ob die Kennzeichnung bei den
Lebensmittelproduzenten Effekte hin zu
salz- oder fettärmerer Herstellung aus-
löst. Womöglich sind die stärksten Effek-
te einerseits dort gegeben, wo Produkte
sich in fast nichts unterscheiden als dem
Gesundheitswert. Und andererseits dort,
wo Hersteller, die sich an freiwilligen
Kennzeichnungssystemen nicht beteili-
gen, in Verdacht geraten, dafür gute –
also schlechte – Gründe zu haben. Aller-
dings wachsen auch hier die Bäume nicht
in den Himmel. In Frankreich, das den
Nutri-Score seit zwei Jahren praktiziert,
trägt bislang nur ein Viertel aller Produk-
te das entsprechende Kennzeichen.
Kelvin J. Lancaster: A New Approach to Consumer Theory,
Journal of Political Economy 74 (1966). Die Studie des
Max-Rubner-Instituts über internationale Kennzeichnungs-
systeme ist unter http://www.mri.bund.de abrufbar.

N

un wird es gefährlich.
Europa hat den Flug-
zeugbauer Airbus unge-
recht bezuschusst, hat
die Welthandelsorganisation ent-
schieden, und Amerikas Präsident
Donald Trump kündigt gleich wie-
der neue Zölle an – nicht nur auf
Flugzeuge, sondern auch auf Käse
aus Frankreich und Werkzeuge aus
Deutschland. So weit, so schlecht.
Richtig gefährlich wird es aber,
wenn EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker kurz vor dem
Ende seiner Amtszeit auch noch ei-
nen harten Kurs einschlägt. Man
vergilt Gleiches mit Gleichem;
wenn Amerika Zölle auf Flugzeu-
ge erhebt, dann wird das Europa
auch tun – so tönte er.
Europa könnte das natürlich
tun, womöglich sogar auf recht-
lich sicherem Boden. Vielleicht,
weil aus einem alten Verfahren
noch ein paar Zollrechte unge-
nutzt sind. Vielleicht, weil gegen
die Vereinigten Staaten ein ähnli-
ches Verfahren läuft, dessen Ende
in ein paar Monaten erwartet
wird. Doch wenn Europa tatsäch-
lich „Auge um Auge“ spielt, scha-
det es sich selbst. Denn die Han-
delswelt funktioniert anders als
das biblische Sprichwort. Handel
gibt es dann, wenn beide Seiten
profitieren. Umgekehrt kann man
nicht anderen schaden, ohne sich
selbst weh zu tun.
Am greifbarsten ist der Schaden
dadurch, dass importierte Güter
auch im eigenen Land teurer wer-
den. Dabei ist nicht der Zollbe-
trag an sich das größte Problem.
Der landet wenigstens noch als zu-
sätzliche Einnahme auf dem Kon-
to des Staates. Aber was, wenn die
Bürger vor lauter Zöllen ganz auf
Produkte verzichten? Oder wenn
sie auf konkurrierende Waren min-
derer Qualität ausweichen, die wo-
möglich nicht einmal im Inland,
sondern in einem dritten Land
hergestellt werden? Dann hat der
Staat kein Geld eingenommen,
der Verbraucher aber hat den
Schaden.
Das ist noch längst nicht alles:
Handelsbeschränkungen schaden
den eigenen Unternehmen ganz di-
rekt – auch das zeigen Trumps Ak-
tionen deutlich. Google darf sein
Handy-System „Android“ nicht
mehr dem chinesischen Konzern

Huawei zur Verfügung stellen.
Der entwickelt jetzt ein eigenes –
und schon wächst die Gefahr, dass
es eines Tages Android den Rang
abläuft. Apple hat es mit einigem
Aufwand gerade noch geschafft,
Ausnahmen für ein paar Vorpro-
dukte zu bekommen – für alle an-
deren steigen jetzt die Kosten.
Selbst die Strafzölle auf Airbus är-
gern Amerikas Fluggesellschaften,
denn die haben jetzt höhere Ausga-
ben für ihre Flugzeuge.
Dass Amerikas Wirtschaft trotz
alldem noch ganz gut in Schwung
ist, liegt vor allem daran, dass inter-
nationaler Handel für Amerika
nicht so wichtig ist. In Europa ist
das anders, vor allem in Deutsch-
land. Deutschland exportiert ja
nicht nur viele Waren, sondern ist
auch mit Importen gut dabei: Je-
der dritte Euro wird für ein Pro-
dukt aus dem Ausland ausgegeben,
nicht zuletzt aus Amerika. Wenn
diese Produkte teurer würden, hät-
te Deutschland ganz neue Sorgen.
Dabei ist Europa heute schon
nicht der größte Hort des freien
Handels: Durchschnittlich ver-
langt die Europäische Union
5,2 Prozent Zoll auf Einfuhren aus
Amerika. Auf dem umgekehrten
Weg verlangt der amerikanische
Fiskus nur 3,5 Prozent.
Das muss nicht bedeuten, dass
Donald Trump gar keinen Gegen-
wind bekommen sollte. Doch lei-
der kann man sich nicht darauf ver-
lassen, dass Amerikas Wähler-
schaft die Folgen der Zölle im gro-
ßen Maßstab spürt – zumindest
nicht, bevor die Wiederwahl von
Donald Trump ansteht. Die euro-
päische Gegenwehr muss deshalb
durchdachter sein, als Juncker sie
sich vorstellt.
Bisher haben Amerikas Handels-
partner ihre Vergeltungszölle recht
gezielt eingesetzt. Eine Analyse, an
der die Weltbank-Chefökonomin
beteiligt war, hat gezeigt, dass Euro-
pa Zölle vor allem auf die Produkte
erhoben hat, die in Trumps Hoch-
burgen hergestellt werden – und
seine Wähler am ehesten treffen.
Vielleicht lassen sich jetzt Zölle vor-
bereiten, die besonders umkämpfte
Wahlbezirke treffen. Auf diese Wei-
se ließe sich vielleichtauch Drohpo-
tential für die Verhandlungen auf-
bauen – aber mit weniger Schaden
für Europa selbst.

P


aris bereitet sich auf Leonardo da
Vinci vor. Vom 24. Oktober an
wird im Louvre eine Gesamtschau
des „genialen Künstlers mit den vielen
Talenten“ zu sehen sein, wie es in der
Werbung dafür heißt. Doch der teuerste
Leonardo wird in der Ausstellung nicht
zu bewundern sein. Nein, es handelt sich
nicht um die Mona Lisa – die ist ja schon
im Louvre. Es dreht sich um ein Gemäl-
de mit dem Titel „Salvator mundi“, wel-
ches Jesus mit verklärtem Blick als Erlö-
ser der Welt und Herrscher über den
Kosmos zeigt. „Salvator mundi“ ist nicht
nur der teuerste Leonardo, es ist sogar
das weltweit teuerste Gemälde über-
haupt, für das zuletzt im November 2017
der schwindelerregende Preis von
450 Millionen Dollar gezahlt wurde – ob-
wohl die Gelehrten streiten, ob es über-
haupt von Leonardo stammt. Niemand
weiß genau, wo sich das Gemälde derzeit
aufhält. Kann ein einziges Gemälde 450
Millionen Dollar wert sein, dessen Prove-
nienz noch dazu zweifelhaft ist? Auf dem
Kunstmarkt herrschen eben eigene Ge-
setze, heißt es gerne. Ich will hier eine
entgegengesetzte These vertreten: Der
Kunstmarkt ist quasi die Urform der
Marktwirtschaft.
Für alle, die die Geschichte von „Salva-
tor mundi“ nicht mitbekommen haben –
eine Geschichte, die das Zeug zum gro-
ßen Thriller oder zum Märchen aus Tau-
sendundeiner Nacht hat –, hier eine Zu-
sammenfassung: Sie beginnt am 5. März
2008, als dem Oxford-Kunsthistoriker
und Leonardo-Spezialisten Martin
Kemp das Gemälde eines bislang unbe-
deutenden alten Meisters gezeigt wird.
Kemp ist elektrisiert, sagt später, er habe

sich gefühlt „wie in der Gegenwart der
Mona Lisa“, und ist sich alsbald sicher,
dass es sich um ein Original von Leonar-
do handelt.
Die „Entdeckung“ eines Leonardos
wirkte als Ausweitung des Angebots auf ei-
nem starren Markt. Das Geld der Rei-
chen brauchte sozusagen Frischfleisch.
Postwendend ging der Preis durch die De-
cke. Im Jahr 1956 war „Salvator mundi“
noch für 45 britische Pfund zu haben.
Doch schon im Jahr 2013 musste ein schil-
lernder Kunstberater und Händler in
Genf dafür 80 Millionen Dollar auf den
Tisch legen, was freilich nicht zu seinem
Schaden war, denn er drehte es alsbald ei-
nem russischen Oligarchen und Sammler
für 127,5 Millionen Dollar an. Nicht
schlecht: Ein Gewinn von 50 Millionen
Dollar mit einem einzigen Produkt und
ohne allzu große Mühe. Seit der Olig-
arch von dieser märchenhaften Marge sei-

nes Beraters Wind bekommen hat, sind
die Herren nicht mehr so gut befreundet.
Doch auch der Oligarch brauchte sich
nicht zu beklagen, als er vier Jahre später
beschloss, das Werk bei Christie’s verstei-
gern zu lassen. Ein saudischer Prinz war
bereit, die schon genannte Summe von
450 Millionen Dollar zu bezahlen. Da-
nach verwischen sich die Spuren: Heute
soll das Gemälde im Besitz des Kronprin-
zen von Abu Dhabi sein, der es im vergan-
genen Herbst feierlich in seinem dorti-
gen Louvre-Ableger präsentieren wollte.
Dazu ist es nicht gekommen.
Gesehen hat das Bild schon lange nie-
mand mehr. Es soll sich in einem soge-
nannten Freihafen in Genf befinden. Die-
se Zollfreilager sind aufregende Paläste
des globalen Kunst-Kapitalismus, für
den gemeinen Mann unzugängliche Mu-
seen der Superreichen. Ursprünglich wa-
ren sie für den Transithandel gedacht.

Heute sind es Lagerhäuser, in denen Gü-
ter aufbewahrt werden, ohne dass Zollge-
bühren oder Mehrwertsteuern bezahlt
werden müssen. Oft werden Kunstwerke
dort jahrelang eingelagert, wobei sie
mehrmals den Besitzer wechseln. Wie
viele Hunderte Millionen Dollar an
Wert sich da summieren, weiß niemand.
Das Kunstwerk hat sich heute zu einer
Art Immobilie gewandelt. Es kann im La-
ger bleiben, mehrfach den Besitzer wech-
seln, ohne dass Zölle oder Steuern anfal-
len. Das Geschäft ist anonym und in-
transparent. Es genügt, wenn die Abge-
sandten von Käufer und Verkäufer, meist
Anwälte, sich einigen. Es gibt ernste
Überlegungen, den Kunstmarkt wie den
Aktienmarkt zu organisieren: Dann könn-
te man Leonardos „Salvator mundi“ so-
gar in tausend virtuelle Teile – sogenann-
te Token – stückeln, und man wäre
schon mit 450 000 Dollar ein kleiner Mit-

besitzer. All das beweist: Das Kunstwerk
ist inzwischen ein reinrassiges kapitalisti-
sches Handelsgut.
Gibt es neben dem Marktwert nicht
auch noch einen immateriellen Wert ei-
nes Bildes? So argumentieren jene Kunst-
richter, deren normatives Wertungsmo-
nopol der schnöde Tauschwert konterka-
riert. Daran ist zumindest richtig, dass
das Kunstwerk ein Janusgesicht hat, ver-
gleichbar einer teuren Flasche Wein, ei-
nem Unternehmen, einem Batzen Gold
oder eben einer Immobilie. All diese Gü-
terklassen dienen neben der Geldanlage
einem weiteren Zweck: Wein kann man
„liquidieren“, wonach freilich der ganze
schöne Bordeaux nichts mehr wert ist.
Gold lässt sich als Diadem tragen. In
einer Immobilie kann man wohnen, in
einer Fabrik arbeiten. Überall gibt es
Shareholder,die Eigentümer, und dane-
ben Stakeholder, die mit den Wertgegen-
ständen noch anderes im Sinn haben, was
Raum für vielfältige Konflikte eröffnet.
Mehr noch: Dass aus dem Kunstwerk
ein erzkapitalistisches Handelsgut gewor-
den ist, heißt nicht, dass sein künstleri-
scher Wert keine Rolle spielen würde.
Im Gegenteil: Das Immaterielle, die
Aura und der anhaltende Ruhm Leonar-
dos begründen ja gerade den stolzen
Preis. Eine einfache Holzplatte aus der
Renaissance, bemalt mit bunten Farben,
wäre uninteressant. Niemand würde ein
schwer bewachtes Lager dafür bauen.
Kein Oligarch, kein Scheich würde sich
je dafür interessieren. Als Handelsgut ist
das Kunstwerk freilich säkularisiert: Man
darf vermuten, dass dem Kronprinzen
von Abu Dhabi der religiöse Sinn der
Christus-Ikone gleichgültig ist. Er hätte
auch einen indischen Buddha erstanden,

würden der Markt und er danach gerade
gieren.
Inzwischen sollte meine These plausi-
bel geworden sein, dass der Kunstmarkt
die Urform der Marktwirtschaft darstellt,
einen „unregulierten Dschungel“ (Mar-
tin Kemp) eben. Käufer und Verkäufer
auf einem Marktplatz sind niemandem
Rechenschaft darüber schuldig, warum
sie handeln. Sie müssen dies auch nieman-
dem „ad hoc“ annoncieren. Zölle und
Steuern sind Übergriffe des Staates auf
die Werte der Eigentümer, die sich die-
sen Übergriffen zu entziehen suchen.
Preise sind das, was jemand zu zahlen be-
reit ist, unabhängig davon, wie hoch oder
niedrig irgendwelche Experten den Wert
bemessen. Renditen ergeben sich aus der
Differenz zwischen Ankauf und Verkauf:
Wenn es jemandem glückt, mit einem
Produkt an einem Tag 50 Millionen Dol-
lar zu machen, hat er eben Glück gehabt.
Märkte per se sind weder moralisch noch
unmoralisch. Gerade deshalb muss man
sie zuweilen regulieren.
Am Ende verflüchtigt sich übrigens
auch noch der Gegensatz zwischen
Kunst und Wirtschaft. Fiktiv und real
sind nämlich keine hilfreichen Unter-
scheidungskategorien. Der Münsteraner
Ökonom Holger Bonus hat 1990 ein
schönes Buch über „das Unwirkliche in
der Ökonomie“ geschrieben. „Was für ei-
nen Rembrandt oder einen Picasso gilt,
trifft auch für erstklassige Immobilien
und sogar für so handfeste Träger von
Wert wie Geld, Gold und Wertpapiere
zu. Der verkörperte Wert kann sich jäh
daraus verflüchtigen, ohne dass sich phy-
sisch irgendetwas verändert hätte.“
Kunst wäre dann nicht der Spezialfall
des Marktes, sondern das Modell dafür.

Verbraucher sollen
schneller erkennen,
ob Lebensmittel
gesund sind. Wenn
das mal gutgeht.

Von Jürgen Kaube


DER SONNTAGSÖKONOM


HANKS WELT


Lasst euch von


Trump nicht


kirre machen


Von Patrick Bernau


Da Vinci und


der Kapitalismus


Warum ein Gemälde 450 Millionen Dollar kosten darf.


Von Rainer Hank

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