Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1

  1. OKTOBER 2019 NR. 40 SEITE 41 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG


Technik&motor


D

a mag Microsoft in dieser
Woche nette neue Hard-
ware vorgestellt haben, um
sich als sympathischer Hersteller in-
novativer Notebooks zu profilieren.
Doch hoffentlich kranken die nicht
an den Qualitätsproblemen der bis-
herigen Surface-Modelle. Vor eini-
gen Jahren hatten die amerikani-
schen Verbraucherschützer nach ei-
ner Umfrage unter 90 000 Note-
book- und Tablet-Besitzern aus
dem Hause Microsoft ermittelt,
dass jedes vierte Gerät ausfällt. Mi-
crosoft schludert also nicht nur bei
der Software, wie geplagte Win-
dows-, Onedrive- und Office-Nut-
zer wissen. Wer demnächst einen
neuen Rechner mit Windows 10
kauft, darf sich gleich auf die nächs-
te Überraschung einstellen: Es ist
nicht mehr möglich, ein lokales
Nutzerkonto zur Windows-Anmel-
dung zu verwenden. Ohne ein Mi-
crosoft-Konto mitsamt Registrie-
rung und Angabe persönlicher Da-
ten gibt es keine Nutzung von
Windows 10, heißt es zur jüngsten
Windows-10-Version. Das ist recht-
lich fragwürdig, vermutlich ein Ver-
stoß gegen das Kopplungsverbot
der Datenschutzgrundverordnung
und ein Beispiel dafür, wie aggressiv
und übergriffig das Unternehmen
mittlerweile seine Ziele verfolgt.

M

ilitärparaden haben immer
so was Bedrohliches. Ha-
ben Sie diese Woche den
Aufmarsch auf dem Platz des Himm-
lischen Friedens gesehen? Die vielen
Panzer. Lauter Rußwolken, Diesel,
vermutlich nicht mal mit Partikelfil-
ter. Dem Chinesen muss doch klar
sein, dass er damit nie durch
Deutschland kommt. Spätestens am
Stuttgarter Neckartor wird ihn die
Deutsche Umwelthilfe mit einer
einstweiligen Verfügung stoppen.
Trotzdem besteht Handlungsbedarf.
Wir fragen uns, warum das Bundes-
verkehrsministerium noch immer
keine Hardwarenachrüstung für Die-
sel-Panzer freigegeben hat. So ein
Kat aus zweiter Hand für eine olle
E-Klasse vom Daimler oder einen
VW Passat ist kein Akt. Aber vor
den großen Paketen des Klimaschut-
zes knickt der benzinblütige Andreas
Scheuer natürlich wieder ein.
* * *
Die Sache darf man nicht auf die
leichte Schulter nehmen. Die Fol-
gen der Erderwärmung sind allge-
genwärtig. Jetzt hat schon der
Scheich Halluzinationen. Qatars
Oberorganisator sieht ausverkaufte
Ränge während der Leichtathletik-
WM, wo die Fernsehbilder nur lee-
re Sitze zeigen. Fake News von der
Lügenpresse, logisch. Wenigstens
schafft der Wüstenstaat angenehme
Temperaturen für die Athleten und
kühlt die Stadien herunter. Der
CO 2 -Fußabdruck der Aktion ist im
Vergleich zu deutschen oder franzö-
sischen Dreckschleudern bestimmt
zu vernachlässigen, sonst hätte Gre-
ta nicht Merkel und Macron ange-
griffen, sondern wäre in Doha auf-
gelaufen und hätte den Emir ange-
faucht: Wie könnt ihr es wagen?
Doch halt, man muss mit Seikos
Zeit gehen, also rennen, weshalb
das Organisationskomitee auf die ge-
nitale Idee verfiel, Kameras in die
Startblöcke einzubauen. Die eröff-
nen scharfe Perspektiven.

* * *
Uns ist derlei zu sexistisch, wir
schauen da nicht hin und sind froh,
dass Deutschland wieder voran-
schreitet. Die Automesse IAA hat
Hostessen abgeschafft, und der Bas-
ketballclub Alba Berlin schickt seine
Cheerleader für immer vom Feld.
Was soll uns jetzt noch passieren?

Ein Teil der in Technik & Motor besprochenen
Produktewurde der Redaktion von den Unternehmen zu
Testzwecken zur Verfügung gestellt oder auf Reisen,
zu denen Journalisten eingeladen wurden, präsentiert.

IN


KETTEN
VON HOLGER APPEL

VON GOOGLE


GELERNT
VON MICHAEL SPEHR

MHINWEIS DER REDAKTION

TECH-TALK


E


ine Revolution steht vor der
Tür. Nur hat sie noch nicht wirk-
lich begonnen. Aber sie ist ange-
kündigt. Von Volkswagen zum
Beispiel. Schon in naher Zukunft sollen
wir alle elektrisch fahren, das Modellan-
gebot wird entsprechend um- und ausge-
baut, der Kunde wird weniger gefragt.
Dass nicht alles so schnell gehen wird
mit der Ausbreitung der Elektromobili-
tät, wie es manche Autohersteller sich
vorstellen, scheint sicher. Noch hapert es
an zu vielem: der Reichweite, den Prei-
sen, dem Laden unterwegs, dem Laden
in den Städten.
Nichtsdestotrotz geht jetzt auch Audi
voran, beziehungsweise folgt der Mutter
auf dem Fuß. Audi starte jetzt in das elek-
trische Zeitalter, ließ der Autohersteller
in dieser Woche die Medien in München
wissen. Bis 2025 sollen 30 neue, elektrifi-
zierte Modelle vorgestellt werden, davon
wiederum – und das ist die wichtigere
Zahl – sind 20 rein elektrisch. Wobei es
sich nicht wirklich um 20 verschiedene
Audis handeln wird, sondern um 20 Ver-
sionen von vielleicht fünf oder sechs Mo-
dellen. Gleichzeitig werden alle konven-
tionellen Fahrzeuge im Angebot (Benzi-
ner und Diesel) als Mild-Hybride ausge-
staltet, mit 12- oder 48-Volt-Bordnetz.
Das heißt, das jeweilige Verbrenner-
Triebwerk bekommt einen elektrischen
Helfer nebst kleiner Batterie zur Seite ge-
stellt, der unterstützen soll und kann.
Rein elektrisch gefahren wird damit aber
nicht.
Begonnen hat die Zukunft ja schon.
Der erste rein elektrische Audi, das gro-
ße SUV E-Tron, läuft seit geraumer
Zeit in Brüssel vom Band, als eines der
nächsten Elektroautos wird der GT fol-
gen, der sich seine Plattform mit dem
eben vorgestellten Porsche Taycan teilt,
sie wird gemeinsam in Ingolstadt und
Zuffenhausen entwickelt. Also wird
auch der GT ein hochpreisiges Auto
sein, das sich nur wenige leisten können
oder wollen.
Weitere neue Modelle für 2020 sind
zunächst die Coupé-Variante des E-Tron,
die sogar noch in diesem Jahr kommen
soll, und dann der Audi Q4 E-Tron, der
im neuen VW-Werk in Zwickau zusam-
men mit den elektrischen Pendants von
VW und Seat gebaut werden wird. Der
Akku-Q4 steht auf der MEB-Plattform
(Modularer Elektrifizierungs-Baukas-
ten), von dem sich der VW-Konzern
eine effiziente Fertigung in hohen Stück-
zahlen verspricht. Die wichtigsten Teile
der MEB-Modelle kommen aus den
Werken in Kassel (Antrieb), Salzgitter
(Teile für Elektromotoren) und Braun-
schweig (Batterien sowie Fahrwerk).
Ende 2020 soll dann das schon er-
wähnte Pendant zum Porsche Taycan,

der E-Tron GT, in den Böllinger Höfen
bei Neckarsulm gemeinsam mit dem R8
vom Band laufen. Während der nicht-
elektrische Sportwagen R8 weitgehend
in Handarbeit produziert wird, ist für
den GT ein höherer Automatisierungs-
grad geplant. Beide Fahrzeuge durchlau-
fen dennoch dieselbe Montage, wobei
für den GT einige Baugruppen wie das
Batteriesystem oder der Antrieb an der
Linie als fertiges Modul eingebaut wer-
den. Der GT ist wie der Taycan ein
Viertürer, besonders stolz sind die Inge-
nieure dabei auf die „Fußgaragen“ für
die Passagiere im Fond. Das sind Aus-
sparungen in der Batterie im Unterbo-
den, um hinten vernünftig sitzen zu kön-
nen. Der GT wird nur 1,38 Meter hoch
sein, das ist vier Zentimeter niedriger
als der A7. Die Akkus werden eine
Kapazität um 100 kWh haben, knapp
600 PS sollen auf beide Achsen aus zwei
Elektromotoren wirken. Dazu gibt es
auch eine Allradlenkung und eine Hin-
terachs-Quersperre.

Dagegen bleibt der Q4 E-Tron näher
an der automobilen Wirklichkeit. Das
kompakte SUV, das aufgrund des geringe-
ren Platzbedarfes der Elektrotechnik in-
nen so viel Raum bietet wie ein Q5, wird
um 300 PS haben und zunächst nur mit ei-
nem Motor an der Hinterachse ausgestat-
tet. Somit feiert dann der Heckantrieb
bei Audi sein Comeback. Gegen Aufpreis
wird es aber auch einen zweiten Motor
für vorn und damit Allradantrieb geben.
Während der GT mit 800 Volt arbeitet,
sind die Autos der MEB-Plattform noch
auf 400 Volt ausgelegt. Für 2021 oder 2022
arbeitet Audi zudem an einem Elektrowa-
gen der Luxus- und Oberklasse.
Etwas näher am Durchschnittskunden
sind fünf neue Plug-in-Hybride, die noch
in diesem Jahr in den Handel kommen
werden. Sie haben einen Elektro- und ei-
nen Verbrennungsmotor an Bord, kön-
nen aber rein elektrisch fahren und an
der Steckdose aufgeladen werden. Min-
destens 41 elektrische, genormte Kilome-
ter sind Pflicht. Sonst gibt es erstens kei-

ne Hilfe vom Staat und zweitens nicht die
Steuerreduzierung um 50 Prozent für
Dienstwagenfahrer. Alle neuen Plug-in-
Audi erfüllen diese Maßgabe, seien es
Q5, Q7, A7 oder A8. Der elektrifizierte
A6 kommt etwas später, gegen Ende des
Jahres. Für das kommende Jahr, wenn der
kompakte A3 neu aufgelegt wird, ist der
nächste Hybrid angekündigt. Der A3
wird somit auch mit Kabel zu haben sein.
Eine kurze Probefahrt über Land im Q5
zeigte uns, dass die „40-plus-Kilometer“,
die Audi verspricht, realistisch sind. Ge-
startet mit 33 Kilometer Reichweite, zeig-
te der Computer nach 37 rein elektrisch
zurückgelegter Strecke immer noch 12 Ki-
lometer Rest an. Das liege unter anderem
an PBS, der prädektiven (vorausschauen-
den) Betriebsstrategie, sagt Audi. Die
Elektronik kennt die Strecke und soll den
Elektromotor optimal einsetzen. Alle
Plug-in haben Batterien mit einem Ener-
giegehalt von 14,1 kWh, die im Q7 hat
3,2 kWh mehr. Dass es keine Diesel-Hy-
bride mehr gibt, begründet Audi mit dem

Weltmarkt. Viele Länder können mit Die-
selmotoren in Personenwagen generell
nichts anfangen. Und den im Vergleich
deutlich höheren Kosten.
Mit diesen Neuheiten, und anderen,
über die Audi noch nicht spricht, will
das Unternehmen erreichen, dass 2025
fast die Hälfte aller verkauften Audi
elektrisch sind. Dass dabei das gesamte
Unternehmen umgestellt werden muss,
liegt auf der Hand. Allein bis 2023 sollen
für nachhaltige Mobilität und Anver-
wandtes rund 14 Milliarden Euro ausge-
geben werden. Das Geld fließt nicht
nur in die neuen Modelle und deren
Produktion, sondern auch in den Ver-
trieb und die Qualifizierung der Mitar-
beiter. Unter anderem werden und wur-
den neue Berufsbilder geschaffen, so
gibt es seit 2014 zum Beispiel eine drei-
jährige Ausbildung zur „Elektrofach-
kraft mit Schwerpunkt für System- und
Hochvolttechnik“. 700 junge Frauen
und Männer haben diese Ausbildung in
Ingolstadt und Neckarsulm schon
durchlaufen oder sind noch dabei. Ganz
neu ist die Qualifizierung zur „Elektro-
fachkraft für Batterietechnik“. Hier
liegt der Schwerpunkt auf der Fertigung
und der Qualitätssicherung der Hoch-
volt-Akkus. Das Budget für die Weiter-
bildung wurde dementsprechend von
60 Millionen Euro jährlich auf 80 Mil-
lionen jährlich aufgestockt. Leitwerk für
alles ist Brüssel, von 14 Audi-Werken in
der Welt sind acht schon „fit“ für die
neue Elektrowelt. Im chinesischen Fos-
han baut Audi schon jetzt einen elektrifi-
zierten Q2 in Langversion und den A6
L als Plug-in-Hybrid. Die anderen
Plug-in werden außer in den Stammwer-
ken Ingolstadt und Neckarsulm im me-
xikanischen San José Chiapa (Q5) und
in Bratislava (Q7) produziert. Alle Wer-
ke sollen bis 2025 mit Blick auf die
CO 2 -Belastung neutral sein, Brüssel ist
es jetzt schon – auch dank der Solaranla-
ge auf dem Dach, sie ist die größte in
Belgien. Langfristig soll bis 2050 die ge-
samte Produktionskette klimaneutral
sein, hier will und muss Audi die Zulie-
ferer in die Pflicht nehmen. Zunächst
sei es Ziel, die Belastung im Vergleich
mit 2015 bis 2025 um 30 Prozent zu redu-
zieren. Generell sei dieses Vorhaben ein
schwieriges, derzeit sei die CO 2 -Belas-
tung in der Lieferkette zehnmal höher
als in der Produktion, heißt es.
Letztlich hat die Elektro-Offensive
auch Auswirkungen auf das Marketing,
50 Prozent des Budgets laufen in Zu-
kunft dorthin. Mit neuen Formaten wie
Probefahrten am Münchner Flughafen,
die nach Angeben von Audi 20 000 neue
Kontakte ergeben haben, soll der Kunde
auf das elektrische Pferd gesetzt werden.
Wenn er es denn reiten will.

SCHLUSSLICHT


Audi folgt dem Vorbild von VW und setzt seine Autos unter


Strom. In den nächsten sechs Jahren sollen 20 Modelle kommen.


Und neue Berufsfelder entstehen zudem.Von Boris Schmidt


Vorsprung durch Elektrofachkräfte


Pack dich: Aus einzelnen Lithium-Ionen-Zellen wird eine Batterie. Das Zusammenstellen erfordert spezielle Fähigkeiten, so entstehen neue Berufe. Foto Audi

Elektrischerquattro Antriebsstrang

Elektromotor vorn mit
Leistungselektronik

Flüssigkeitsgekühlte
Lithium-Ionen-Batterie

Elektromotor
hinten mit
Leistungselektronik

BERUF & CHANCE

AB SEITE 43

Ladeanschluss
Audi MEB Plattform
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