Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1

Nach


Vereinbarung


beider Seiten


wird der


Prozess auf ein


Datum Anfang


2020 vertagt


werden.


Kenneth Feinberg
Moderator bei
den Klagen rund
um Glyphosat

Doch so einfach ist die Rechnung nicht. In Unter-


nehmenskreisen von Bayer heißt es, die schiere


Zahl der Klagen sei wenig aussagekräftig. Denn der


Fall Glyphosat unterscheide sich von anderen


Schadensersatzfällen in der US-Justizgeschichte.


Anders als bei Sammelklagen, wie sie etwa nach


Flugzeugabstürzen aufkommen, kommt es hier auf


die individuellen Fälle an – also die Schwere der Er-


krankung und der Bezug zum Glyphosat-Einsatz.


Im Glyphosat-Fall geht es zunächst um die Struktur


eines Vergleichs, also um die Einteilung der Kläger


nach dem Grad der Erkrankung, dem Einsatz des


Unkrautvernichters und anderen Umständen. Erst


auf dieser Basis wird eine gestaffelte Entschädi-


gungszahlung für die Kläger ermittelt.


All das klingt so, also wenn Bayer im Zuge eines


Vergleichs eine gesundheitsgefährdende Wirkung


von Glyphosat eingestehen müsste. Aber das ist


mitnichten der Fall: Außergerichtliche Vergleiche


in Produkthaftungsklagen werden in fast allen Fäl-
len ohne Schuldeingeständnis geschlossen. Es ist
für die beklagten Konzerne allein das Ziel, die be-
lastenden Verfahren aus der Welt zu schaffen –
selbst wenn dies Milliarden kostet.
Ein solches Paket zu schnüren ist nun die Aufga-
be von Mediator Feinberg. Bayer hat vor allem
zwei zentrale Interessen: Die Kosten müssen ak-
zeptabel sein, und der Vergleich muss so gestaltet
sein, dass die Belastung durch Glyphosat-Klagen
ein für alle Mal aus der Welt geschaffen wird.
Das ist aus Sicht von Rechtsexperten kein einfa-
ches Vorhaben. Die Anwälte von Bayer und von
den Klägern müssen sich auf einen auch in Zukunft
gültigen Verteilungsschlüssel für die Summe eini-
gen, die den Opfern und deren Anwälten zu-
kommt, erläutert Steve Tapia, Jura-Professor an
der Universität von Seattle.

Die Rolle der US-Umweltbehörde


Auch Dienstleistungen wie regelmäßige gesund-
heitliche Check-ups und Arztkosten können Teil
des Vergleichs sein. Die Kläger können dann ent-
scheiden, ob sie das Angebot annehmen oder ob
sie allein weiter klagen wollen. „Normalerweise
nehmen die Kläger das Angebot an, wenn es lukra-
tiv genug ist, auch weil es für sie zu teuer wäre, al-
lein weiter zu prozessieren“, erklärt Tapia.
Komplizierter ist für Bayer die Frage, wie künfti-
ge Klagen wegen Glyphosat verhindert werden
können. Der Konzern will das Produkt nicht vom
Markt nehmen, weil er es als sicher einstuft und
weil es aktuell ein wichtiger Geschäftstreiber der
Agrosparte von Bayer ist. Rund ein Fünftel von de-
ren Umsatz von 19 Milliarden Euro entfällt direkt
auf das Mittel.
Normalerweise werden US-Produkthaftungsver-
fahren so gelöst, dass die Beipackzettel mit Warn-
hinweisen versehen werden. Die Glyphosat-Prozes-
se hätte es nie gegeben, wenn Monsanto auf die
Gefahr einer Krebserkrankung im Produkt-Beiblatt
früher hingewiesen hätte, selbst wenn dies nicht
erwiesen ist. Doch dafür hätte der Konzern eine
Genehmigung gebraucht.
Auch Bayer kann nun Roundup nicht einfach mit
einem Warnhinweis versehen. Diesen Schritt muss
die zuständige US-Umweltbehörde EPA erlauben.
Sie sieht dazu aber keinen Anlass und lehnt dies
ab. Erst im Mai hat die EPA Glyphosat schließlich
erneut als gefahrlos für die öffentliche Gesundheit
eingestuft. Anfang August verbot die Behörde eine
staatliche Vorschrift in Kalifornien, wo Glyphosat-
Produktlabel mit dem Krebsverdacht-Hinweis ver-
sehen werden sollten. Die EPA stufte diesen Hin-
weis als „falsch und missverständlich“ ein.
Wie Bayer und die Klägeranwälte aus dieser
Zwickmühle herauskommen, ist selbst für Rechts-
experten schwer zu beantworten. Die Lösung
könnte eine geschickte juristische Formulierung
sein. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die EPA
gegen einen Warnhinweis klagen würde, weil er
dem eigenen Befund widerspricht“, meint Tapia.
Mediator Feinberg wird also seine ganze Erfahrung
brauchen.

Getty Images News/Getty Images

Pflanzenschutz


Herbizide
5,0 2,6 1,3 4,9 2,4 0,7 2,
Fungizide

Insektizide


Maissaatgut


Sojabohnen


Gemüse


Weltmarktführer aus Leverkusen


Umsatz* der Bayer-Sparte Crop Science inklusive Monsanto 2018 in Mrd. Euro


19,


HANDELSBLATT • *Pro formaQuelle: Unternehmen

19,


14,


12,


7,


Deutschland


China


USA


Deutschland


Bayer


Chemchina


Corteva


BASF


1


2


3


4


Saatgut Sonstiges


Die größten Agrarchemieunternehmen


der Welt nach Umsatz 2018 in Mrd. Euro


Weltmarkt
für Agrar-
chemie 2018
90 Mrd. €

44 %
Saatgut und
Pflanzen-
eigen-
schaften

27 %
Herbizide

16 %
Fungizide

13 %
Insektizide

imago/ZUMA Press

Produkthaftung in USA


Unternehmen


vor Gericht


M


ega-Klagen auf Schadensersatz gegen
Unternehmen haben derzeit wieder
Hochkonjunktur in den USA. Nicht nur
Bayer kämpft mit Tausenden Forderungen wegen
Produkthaftung. Auch andere Unternehmen
müssen sich vor Gericht verteidigen oder einen
Vergleich anstreben. Das reicht von den Klagen
gegen Pharmafirmen rund um opioidhaltige Me-
dikamente über den Datengau bei der Hotelkette
Marriott bis hin zu den möglichen Opfern von
E-Zigaretten.
„Wenn Sie oder Ihr Kind Juul benutzt haben,
kontaktieren Sie einen Anwalt“, ruft etwa die
Kanzlei Robinson Calcagnie die Nutzer der elek-
tronischen Zigaretten auf, sich zu melden. „Sie
könnten Anrecht auf Kompensation für Arztrech-
nungen, Schmerzen und Leiden haben.“ Der
E-Zigaretten-Anbieter aus San Francisco steht in
der Kritik, vor allem junge Menschen mit seinen
nikotinhaltigen Dämpfen abhängig zu machen
und auch für mysteriöse Lungenkrankheiten ver-
antwortlich zu sein. Fast täglich kündigen US-
Kanzleien neue Sammelklagen an.
Sammelklagen sind Verfahren, in denen eine
Person stellvertretend für andere klagt. Andere
können sich anschließen und auf einen Anteil im
Fall einer Strafe oder eines Vergleichs hoffen. Bei
konkreten Krankheitsfällen sind Sammelklagen
meist nicht zulässig, weil wegen der Ursache und
Wirkung von Fall zu Fall entschieden werden
muss. Aber wenn es wie etwa bei den Juul-Ziga-
retten darum geht, dass das Unternehmen mit
aggressiver Werbung und seinen fruchtigen Ge-
schmackssorten Jugendliche zum „Vapen“ verlei-
tet hat, dann ist eine Sammelklage möglich.

Erfolgshonorar für Anwälte


Die meisten US-Kanzleien arbeiten in diesen Fäl-
len auf Basis eines Erfolgshonorars. Für die Man-
danten entstehen keine Kosten. Aber im Falle ei-
ner Entschädigung müssen sie 20 bis 30 Prozent
der Summe an die Anwälte abgeben.
Eine enorme Prozesswelle haben aktuell die
Opioide – stark abhängig machende Schmerzmit-
tel – ausgelöst. Dort gelten die Pharmaunterneh-
men, allen voran Purdue mit dem Mittel Oxycon-
tin, als Hauptverursacher der Opioid-Epidemie in
den USA. Ihnen wird vorgeworfen, die Abhängig-
keit der Schmerzmittel heruntergespielt und da-
mit viele Menschen in die Sucht getrieben zu ha-
ben. Im vergangenen Jahr sind allein in den USA
68 000 Menschen an einer Überdosis gestorben.
Nicht nur die Familien der Opfer klagen gegen
Purdue und andere, auch die 50 US-Bundesstaa-
ten, mehrere Tausend Städte, Gemeinden, India-
nerstämme und Krankenhäuser. Sie wollen für
die Kosten entschädigt werden, die ihnen durch
die Drogenepidemie entstanden sind. Purdue hat
bereits die Insolvenz beantragt und will die Opfer
aus einem Milliardenfonds aus zukünftigen Ein-
nahmen durch Oxycontin entschädigen.
Auch der US-Konzern Johnson & Johnson hat
mit Opioid-Klagen zu kämpfen, die er zum Teil
bereits mit Vergleichen beigelegt hat. Außerdem
laufen noch immer viele Klagen wegen Asbest im
Babypuder. In Missouri hatte eine Jury 22 Frauen
eine Entschädigung von insgesamt 4,7 Milliarden
Dollar zugesprochen, weil sie durch den Puder
Eierstockkrebs bekommen haben sollen. Der
Konzern ist in Berufung gegangen.
Ganz andere Probleme hat Marriott Internatio-
nal. Bei der Hotelkette, zu der auch Starwood
Hotels & Resorts Worldwide gehören, war es zu
einem Datengau gekommen. Die Daten von ins-
gesamt 383 Millionen Gästen – inklusive Passda-
ten – wurden offengelegt. Marriott argumentiert
zwar, dass den Gästen dadurch kein Schaden ent-
standen sei. Das stört die Klägeranwälte aller-
dings wenig. Sie sind weiter fleißig auf der Suche
nach Mandanten. Katharina Kort

Unternehmen & Märkte


MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192


17

Free download pdf