Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1

Ina Karabasz Düsseldorf


C


hristoph Lütge hat einen
Plan: „Dass wir in
Deutschland im Bereich
Digitales Nachholbedarf
haben, steht außer Frage.
Da ist es gut, wenn wir uns mit unse-
rem ethischen Ansatz wieder als Vor-
reiter positionieren.“ Der Professor
für Wirtschaftsethik will die Bundes-
republik wieder zu einem wichtigen
Punkt auf der Landkarte für Digitales
machen. Das nicht trotz der viel dis-
kutierten deutschen Technologie -
skepsis, sondern genau deswegen.
An diesem Montag eröffnet Lütge
das Institute for Ethics in Artificial In-
telligence (IEAI) an der Technischen
Universität München. Das Vorhaben
war nach der ersten Ankündigung
Anfang des Jahres kritisiert worden.
Mit Facebook finanziere ausgerech-
net das Unternehmen die Gründung
eines Ethik-Instituts, das in den ver-
gangenen Jahren in Datenskandale
verwickelt war, wird moniert. 6,5 Mil-
lionen Euro zahlt Facebook, Kritiker
sprechen von einer teuren Marke-
ting-Aktion.
Doch Lütge kontert: „Alle wissen:
Wir haben einen speziellen Blick auf
das Thema Ethik und KI. Und wenn
wir uns damit beschäftigen, dann
muss es wichtig sein“, sagt er: „Auch
Facebook hat gezielt nach einer Insti-
tution in Deutschland gesucht, gera-
de weil wir so kritisch sind.“
Schon seit vielen Jahren beschäftigt
sich Lütge mit Wirtschafts- und Un-
ternehmensethik. Zuletzt forschte er
als Gastprofessor an der Universität
Harvard in den USA. Dort habe er ei-
ne andere Bewertung der Initiative
von Facebook kennen gelernt, er-
zählt er dem Handelsblatt: „Interna-

tional haben wir bisher nur positive
Resonanz erhalten. Die einhellige
Meinung war, dass es eine tolle Sache
ist, wenn Facebook Geld in die Ethik-
Forschung investiert.“
Viele Unternehmen unterstützen
Forschungsinstitute. BMW-Großaktio-
närin Susanne Klatten etwa gründete
2002 ein Gründerzentrum an der TU
München. Die Stiftung des Lidl-Grün-
ders Dieter Schwarz finanziert an der
Universität mehrere Professuren und
einen Ableger in Heilbronn. Die Deut-
sche Telekom betreibt in Leipzig eine
eigene Hochschule. Kritiker sehen
durch solche Kooperationen die Un-
abhängigkeit der Forschung bedroht.
So auch beim IEAI.
Zu Unrecht, glaubt Lütge. Es gebe
keine Einmischung seitens Facebook.
Es gebe vielmehr ein klares, wechsel-
seitiges Interesse an Forschung und
an konkreten Lösungen. „Das Institut
macht keine Auftragsforschung“, so
Lütge – auch nicht für andere. Der
Professor beobachtet beim Thema
Forschungsförderung durch die Wirt-
schaft allmählich ein grundsätzliches
Umdenken: „Es ist das Verständnis
gewachsen, dass es Mehrwert für alle
bringt, mit der Industrie und auch
mit Unternehmen wie Facebook zu-
sammenzuarbeiten.“
Das IEAI will diese Kooperationen
vorantreiben. „Künstliche Intelligenz
ist eine für Deutschland sehr wichti-
ge Technologie, und Ethik ist dabei
ein wesentlicher, untrennbarer Be-
standteil“, sagt der Professor. Das be-
stätigt eine internationale Studie der
Unternehmensberatung Capgemini
vom Juli. Danach vertrauen 62 Pro-
zent der befragten Bürger Unterneh-
men mehr, wenn auf Künstlicher In-

telligenz basierte Interaktionen als
ethisch wahrgenommen werden.
Gleichzeitig erklärten Führungskräfte
aus knapp neun von zehn Unterneh-
men, die Nutzung von KI habe inner-
halb der letzten zwei bis drei Jahre
ethische Fragen aufgeworfen.

Starkes Wachstum
Wollen die Unternehmen im Bereich
KI weiterhin stark wachsen, brau-
chen sie das Vertrauen der Nutzer. Ei-
ne Studie des Digitalverbandes Bit-
kom vom Januar dieses Jahres
kommt zu dem Schluss, dass der eu-
ropäische Markt für Künstliche Intel-
ligenz bis 2022 von derzeit rund drei
Milliarden Euro auf zehn Milliarden
Euro zulegen wird. Auch die EU-
Kommission sieht in einer „vertrau-
enswürdigen“ KI einen Wettbewerbs-
vorteil für Europa. Derzeit lässt sie ih-
re Ethikleitlinien für die Künstliche
Intelligenz von Forschung und Unter-
nehmen testen und will im Anschluss
den Rechtsrahmen anpassen.
„Das Interesse an unserer Arbeit
seitens der Wirtschaft ist hoch, so-
wohl national als auch international“,
berichtet Lütge. „Wir wollen auch
stärker mit Unternehmen sowie an-
deren gesellschaftlichen Akteuren zu-
sammenarbeiten, nicht nur in ge-
meinsamen Gremien oder derglei-
chen.“ Dafür werde das Institut
regelmäßig Veranstaltungen wie
Workshops anbieten, aber auch gro-
ße Kongresse, so etwa 2020 das erste
„Responsible AI Forum“.
Noch stehe die Forschung um
Ethik und KI am Anfang: „Bisher gibt
es noch nicht viele Forschungsergeb-
nisse. Das Thema Ethik in Verbin-
dung mit Künstlicher Intelligenz ist
relativ neu, und die meisten Projekte
beginnen erst oder laufen noch.“ Im
IEAI sind mittlerweile die ersten
sechs Forschungsgruppen ausge-
wählt. Die thematische Bandbreite
reicht von Politikwissenschaft bis Ma-
schinenbau. Ein Projekt etwa be-
schäftigt sich mit einem System zur
Beratung von Medizinern in „ethi-
schen Dilemmasituationen“.
„Die intensive Zusammenarbeit
mit den Partnern beginnt an diesem
Montag“, sagt Lütge und macht ein-
mal mehr deutlich: „Wir können uns
bei dem Thema als Nation und als EU
sehr gut positionieren. Aber das ist
kein Selbstläufer, es muss noch viel
passieren. Aber es gibt eine gute
Chance.“

Wirtschaftsethik


Regeln für die


Zukunftstechnologie


Das Institut für Ethik in Künstlicher Intelligenz sieht hohe


Standards als Wettbewerbsvorteil.


Intelligente Systeme: Vieles
ist technisch möglich, nicht
alles ethisch vertretbar.

mauritius images / sleepyfellow / Alamy

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Christoph Lütge
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MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192

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