Deutsche Bahn
Fonds statt
Eigenkapital
N
icht nur in Sachen Pünkt-
lichkeit könnte die Schwei-
zer Bahn den Deutschen ein
Vorbild sein. Auch bei einem ihrer
Finanzierungsmodelle.
Das sieht offenbar auch die deut-
sche Eisenbahnergewerkschaft EVG
so. Ihr Vorschlag: Die elf Milliarden
Euro Eigenkapital, die der Bund
nach den Beschlüssen des Klimaka-
binetts bis 2030 zusätzlich in die
Bahn stecken will, gehen stattdes-
sen in einen Schienenfonds, um da-
raus die Sanierung des maroden Ei-
senbahnnetzes mitzufinanzieren.
Der Reiz läge darin, dass damit
auch gleichzeitig den Kritikern die-
ser Rekapitalisierung Wind aus den
Segeln genommen würde. Konkur-
renten fürchten, die Bahn könnte
mit dem Geld Wettbewerb aushe-
beln oder die Mittel gar unkontrol-
liert verschwenden.
Ohnehin steht die Bahn vor ei-
nem Luxusproblem – gemessen an
früheren Jahren. Der Staat schüttet
angesichts der Klimadebatte den
Konzern mit Geld zu. Mehr als 62
Milliarden Euro will der Bund in
zehn Jahren zur Instandsetzung der
Gleisanlagen überweisen. Dazu
kommen Mittel für Neubauinvesti-
tionen, Digitalisierung und Lärm-
schutz, Subventionen für den Gü-
terverkehr und Milliarden für den
Schienenpersonennahverkehr. Und
eben elf Milliarden Eigenkapital.
Kein Wunder, dass der ohnehin
stets kritische Bundesrechnungshof
sich umgehend zu Wort meldet und
schärfere Kontrollen für die Ausga-
be der Steuermilliarden anmahnt.
Die Haushälter des Bundestags se-
hen ohnehin mit Missvergnügen,
dass die Bahn das Geld nicht ausge-
ben kann. Rund eine halbe Milliar-
de Euro wartet ständig auf Abruf.
Ein Schienenfonds hätte den
Charme großer Transparenz, weil
die Bahn immer nur dann Geld ab-
rufen könnte, wenn es notwendig
ist, und zugleich klare Auszahlungs-
konditionen definiert werden könn-
ten. Und: So ein gut gefüllter Fonds
würde die Investitionen in die Ei-
senbahn verstetigen.
Ein wichtiger Punkt für die Bahn-
industrie, die ihre Kapazitäten nicht
nach Kassenlage des Bundes auf-
und abrüsten kann.
Die elf Milliarden Euro frisches
Kapital für den Staatskonzern
sollten in einen Schienenfonds
fließen, findet Dieter Fockenbrock.
Worte des Tages
„Im Dialog mit Osram wollen wir auf unserer Stellung als
größter Aktionär aufbauen, um weiter den vollen
Erwerb von Osram zu verfolgen und so eine solide
Zukunft für das Unternehmen zu sichern.“
Alexander Everke, Chef des Bieters AMS, nach dem gescheiterten
Übernahmeangebot für Osram
Der Autor ist Chefreporter im
Ressort Unternehmen und Märkte.
Sie erreichen ihn unter:
W
er das Internet nutzt, sollte in
diesen Tagen nach Luxemburg
schauen. Denn unter großem Zu-
tun des Europäischen Gerichts-
hofs bricht im Netz gerade die
Zeit einer neuen Rechtsordnung an. Zwar war das
Internet nie ein „rechtsfreier Raum“, wie gern be-
hauptet wird. Für Unternehmen wie Nutzer galten
die Regeln ihrer Nationalstaaten. Aber das reicht
nicht aus, wenn Daten, Güter und Meinungen global
ausgetauscht werden sollen. Dass es mehr Regulie-
rung im Netz braucht, darüber sind sich vom Inter-
netnutzer über Regierungen bis hin zu den Tech-
Konzernen viele einig.
Doch sind die großen Fragen bisher offengeblie-
ben: Wessen Regeln sollten im Netz gelten? Wer
kann sie durchsetzen? Und wie müssen sie umge-
setzt werden? Das Ringen darum hat jetzt begonnen.
In zwei wegweisenden Urteilen haben die obers-
ten EU-Richter ihren Standpunkt deutlich gemacht.
Seitdem herrscht Schnappatmung im Netz. Die erste
Entscheidung wurde noch als Sieg für die Tech-Kon-
zerne verbucht. Demnach muss Google Inhalte, die
gegen das Europäische Datenschutzgesetz verstoßen
und etwa sensible Daten zur Religion, Herkunft oder
Sexualität eines Menschen enthalten, auf dessen An-
trag EU-weit in Suchergebnissen verbergen. Verein-
facht gesagt heißt das: Der EU-Binnenmarkt spiegelt
sich im Internet. Das sogenannte Recht auf Verges-
senwerden besteht nicht nur im Heimatland. Zumin-
dest in der Union gelten die EU-Richtlinien – und In-
ternetkonzerne müssen helfen, sie technisch durch-
zusetzen. Aber was etwa in den USA verbreitet und
gesehen werden darf, bleibt davon unberührt.
Im zweiten Urteil gehen die Richter noch weiter.
Und das bringt viele aus der Fassung: Demnach dür-
fen nationale Gerichte Facebook zwingen, ehrverlet-
zende Beleidigungen in dem sozialen Netzwerk welt-
weit zu löschen. Sie ermächtigen Europäer, auch
über Inhalte anderswo zu bestimmen. Das World
Wide Web sei in Gefahr, behaupten die Kritiker und
schlagen Alarm. Sie sehen ein Einfallstor für Zensur.
Die Wahrheit ist: Das vermeintlich bedrohte ein-
heitliche weltweite Netz gibt es schon lange nicht
mehr. Von vielen Nutzern weitgehend unbemerkt,
hat sich das Internet wegentwickelt von der hehren
Idee, dass jeder alle Informationen verbreiten und
finden kann. Heute sieht das Netz von überall auf
der Welt anders aus.
Autokraten schotten ihre Bürger ab von der Netz -
außenwelt. Internetunternehmen haben für ihre
Nutzer aus verschiedenen Ländern unterschiedliche
Regeln aufgestellt. Manche Internetunternehmen
zensieren in bestimmten Regionen sogar politische
Beiträge. Längst ziehen sich unsichtbare Grenzen
durch das Netz.
Das Urteil kann sogar eine Chance auf echte Mei-
nungsfreiheit sein: Internetnutzer dürfen ihre Mei-
nung frei äußern. Dieses Recht schließt ein, dass sie
für ihre Äußerungen nicht beschimpft und beleidigt
werden. Und es schließt ein, dass Ehrverletzungen
gegen sie verfolgt und unterbunden werden. Nicht
nur in ihrem Heimatland. Sondern überall. Es wäre
der schlimmstmögliche Zustand, wenn sich Internet-
nutzer aus Angst selbst zensieren müssten.
Doch Schutz und Überwachung liegen oft so nah
beieinander, dass man genau hinschauen muss. Die
Freiheit der einen ist immer die Grenze der Freiheit
anderer. Deshalb ist die Aufregung über die Ent-
scheidung gerechtfertigt und sogar zu begrüßen. Das
Urteil ist heikel, weil Beleidigungen und Verunglimp-
fungen überall anders definiert werden. Richter in
verschiedenen Ländern werden daher unterschied-
lich urteilen, was gesagt werden darf und was nicht.
Und es ist verständlich, dass sich etwa Amerikaner
nicht die Werte und das Rechtsempfinden der Euro-
päer aufzwingen lassen wollen.
Viele aufgezeichnete Drohszenarien entbehren aber
jeder Wahrscheinlichkeit. Repressive Regierungen
könnten auf der Grundlage einer solchen Rechtspre-
chung Kritik an ihrer Arbeit als beleidigend hinstellen
und einfach wegradieren lassen, behaupten manche.
Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Denn in jedem Fall
bräuchten diese Gruppierungen ja Gerichtsbeschlüs-
se, die Netzwerke wie Facebook zum Löschen von In-
halten zwängen. Und damit würde der Welt offenbar,
wie sehr sie die Meinung ihrer Bürger unterdrücken
müssen, um ihre Macht zu sichern. Das kann nicht im
Interesse autokratischer Herrscher sein.
Die Diskussion um die Urteile zeigt am Ende, dass
ein weltweites Netz weltweite Standards braucht.
Nationale Gesetze mit nationaler Geltung sind nicht
zielführend. Facebook selbst hat ein internationales
Team, das Gemeinschaftsstandards festlegt, damit
globaler Austausch möglich wird.
Neue Regeln dürfen aber weder von einzelnen
Weltregionen noch von Unternehmen festgelegt und
mehr oder minder im Netz durchgesetzt werden. Es
braucht eine offene Debatte, wie Menschen im Netz
kommunizieren wollen. Das Internetrecht in der EU
anzugleichen ist erst der Anfang. Staatsgrenzen im
Internet sind absurd.
Leitartikel
Globale Standards
für das Netz
Mit neuen
Regulierungen
werden Macht
und Ohnmacht im
Netz neu verteilt.
Das ist eine
Chance für das
Internet, meint
Larissa Holzki.
Neue Regeln
dürfen weder
von einzelnen
Weltregionen
noch von
U nternehmen
festgelegt und
im Netz durch-
gesetzt werden.
Die Autorin ist Redakteurin im Ressort
Unternehmen & Märkte. Sie erreichen sie unter:
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Meinung
& Analyse
MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192
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