KULTUR KINO
Fotos: Koch Films, dpa, ddp images
106 FOCUS 41/2019
preis, die Goldene Palme,
an ein Werk, das sich dem
Auseinanderklaffen von
Gesellschaften, der zuneh-
menden Aufspaltung zwi-
schen Arm und Reich wid-
met. In „Parasite“ erzählt
der koreanische Regisseur
Bong Joon-ho seine Para-
bel über oben und unten in
sarkastischem Tonfall.
„Ich brauche schon auch
Humor, ohne ihn kann ich
eine Geschichte nicht ent-
wickeln“, sagt Bong, der seine letzten
beiden Filme „Snowpiercer“ und „Okja“
für Hollywood drehte. „Dahinter verber-
gen sich aber durchaus Trauer, Angst,
Bitterkeit und Einsamkeit. In dieser Kom-
bination ist Humor am besten.“
Der Film handelt von einer bettel armen
Familie, die sich mit Chuzpe, List und
Tücke wie ein Parasit des Lebens einer
neureichen Sippe bemächtigt und nach
und nach die Führung in deren edler
Designer-Villa übernimmt. Dank einer
gefälschten Empfehlung wurde der Sohn
der Habenichtse, die in einem engen Sou-
terrain vor sich hin vegetieren, zunächst
zum Nachhilfelehrer der Tochter des
hohen Hauses.
Natürlich treibt das Szenario auf die
Eskalation zu. Die Fronten verhärten sich,
die Täuschung droht aufzufliegen. Die
Sache kann eigentlich nur in einem Alb-
traum von Hass und Gewalt enden.
Radikal und polarisierend
Das Kritikerlob war hier einhellig, auch in
Amerika. Der Film wurde als universelle
Parabel auf Gesellschaften gesehen, die
auf die Selbstzerstörung zusteuern.
„Überraschend fand ich, dass ich in
Cannes von vielen Seiten gehört habe,
dass es im jeweiligen Land der Leute
genauso aussieht“, erzählt auch Bong.
„Dass man eigentlich ein Remake
davon überall drehen könnte, weil diese
gesellschaftliche Spaltung dort genauso
akut ist.“
Während bei „Parasite“ der gesell-
schaftskritische Impuls außer Zweifel
steht und der schwarze Humor die bitter-
bösen Wendungen vielleicht akzeptabler
macht, muss sich „Joker“ auch gegen
die Vorwürfe wappnen, er verherrliche
Gewalt, würde sogar potenzielle Amok-
läufer zu entsprechenden Taten verleiten.
So gab es bereits ein Warnschreiben
von Eltern, die 2012 bei dem Aurora-
Massaker Kinder verloren haben, als
ein Amokschütze während eines „Bat-
man“-Films im Kino um sich schoss und
zwölf Menschen tötete.
Es sind vor allem Kritikerinnen in den
USA, die diese vermeintliche Männer-
gewaltfantasie ablehnen. Sie werfen
„Joker“ „kaltherzigen Zynismus“ („Us“)
vor, nur ein Beispiel für die „Leere unse-
rer Kultur“ zu sein, die er zu themati-
sieren vorgibt („Time“), und dass er „zu
diffus und zu schockierend ist, um sich
von ähnlichen Gewalttaten, die junge
Männer fast jeden Tag in Amerika ver-
üben, zu unterscheiden“ („EW“).
Die Stimmen doku-
mentieren, wie stark sich
hier und heute eine Art
von Political Correctness
ausgebreitet hat, mit der
etwa ein Martin Scorse-
se bei seinem bahnbre-
chenden und durchaus
ähnlich angelegten Werk
„Taxi Driver“ kaum zu
kämpfen hatte. Dabei ist
die gesellschaftspolitische
Dimension beim „Joker“
offensichtlich, und auch
die persönliche Deformation des (Anti-)
Helden durch Kindheitstrauma, Psych-
iatrie und fehlende Therapie ist sehr
viel deutlicher als beim gewaltfantasie-
renden Taxifahrer Robert De Niro. Der
ist übrigens, quasi als Hommage, auch
hier mit von der Partie – und zwar als
berühmter Talkshow-Star, den der Joker
verehrt und bei dem er zu Gast ist.
Dass „Joker“ radikaler anmutet als
„Parasite“ und daher auch stärker pola-
risiert, hat wohl damit zu tun, dass es sich
im Gegensatz zu den beiden Familien
im Clinch hier um ein Einzelschicksal
handelt. Es geht um einen dominanten
Charakter, der letztlich für alles verant-
wortlich scheint.
Ein Großteil dieser Wirkung verdankt
das Werk dem genialischen Joaquin
Phoenix in der Rolle des Joker. Man kann
ihm dabei zusehen, wie er ganz real in
den Wahnsinn abrutscht. Für die Rolle hat
der Schauspieler in kurzer Zeit 26 Kilo
abgenommen, um besser in die geschun-
dene, ausgemergelte Figur zu finden: „Es
war klar, dass sich das auf deine Psyche
auswirkt. Du beginnst, verrückt zu wer-
den“, sagt Phoenix.
Eine irrwitzige Tour de force, die ihn
auch gleich zum Oscar-Favoriten gemacht
hat. Gleiches gilt auch für Regisseur Todd
Philipps, bisher vor allem bekannt als
Macher der „Hangover“-Trilogie. Er
hat diese Psycho-Studie einer kranken
Gesellschaft grandios inszeniert.
Große Kunst muss an Grenzen gehen.
Irritierend ist allerdings, wie sehr sich die-
se mittlerweile schon verschoben haben –
unter dem Druck von Normen und der
gesellschaftlichen Forderung nach einer
vermeintlich richtigen Perspektive. „Para-
site“ und „Joker“ sind jedenfalls zwei
Meisterwerke, in denen Ost und West
einen rigorosen Blick auf die Wunden der
modernen Menschheit werfen – durchaus
mit der Option, sie zu heilen.n
Bettelarmes Leben im Souterrain Familie Kim wird sich wie ein
Parasit in eine neureiche Sippe einschleichen
Sieger aus Ost und West
Der koreanische Regisseur Bong Joon-ho mit der
Goldenen Palme für „Parasite“, US-Regisseur
Todd Phillips mit dem Goldenen Löwen für „Joker“
„Ich habe von vielen
Leuten gehört,
dass die gesellschaft-
liche Spaltung
überall so akut ist“
Bong Joon-ho, Regisseur von „Parasite“
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