Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Pharmaforschung: Bei den
Generikaherstellern zählt
vor allem Geschwindigkeit.

mauritius images / Image Source

Maike Telgheder Frankfurt

V

on null auf fast 50 Pro-
zent Marktanteil in
weniger als einem Jahr:
Günstige Nachahmer
haben dem weltgröß-
ten Medikament Humira in Deutsch-
land kräftig Konkurrenz gemacht.
Die insgesamt fünf Biosimilars, wie
die Nachahmerprodukte heißen,
vereinten im August 47 Prozent der
Verordnungen auf sich.
Das Originalprodukt Humira
kommt also derzeit auf knapp 53
Prozent, nachdem es vor einem Jahr
das Feld noch für sich allein hatte.
Das zeigen dem Handelsblatt vorab
vorliegende Zahlen des Marktfor-
schungsinstituts Insight Health.
„Das ist der Durchbruch für die
Biosimilars“, sagt Stephan Eder,
Deutschlandchef der Novartis-Toch-
ter Sandoz, die eine der Humira-
K opien herstellt. „So schnell und so
gut sind Nachfolgeprodukte eines
Originalmedikaments noch nie in
der Versorgung der Patienten ange-
kommen“, so Eder.
Humira mit seinem Wirkstoff Ada-
limumab wird gegen Rheuma und
verschiedene andere entzündliche
Immunerkrankungen wie Morbus
Crohn und Schuppenflechte einge-
setzt. Das Mittel ist das mit Abstand
wertvollste Medikament der Welt,
der US-Pharmakonzern Abbvie setz-
te damit im vergangenen Jahr welt-

weit rund 20 Milliarden Dollar um.
Die deutschen Krankenkassen gaben
zuletzt mehr als eine Milliarde Euro
pro Jahr für das Mittel aus, die Jah-
restherapiekosten pro Patient liegen
im Schnitt bei mehr als 21 000 Euro.
Die Umsatzgröße machte Humira
für Nachahmer besonders interes-
sant. Rund 30 Generika-, aber auch
Originalhersteller arbeiteten in den
vergangenen Jahren an eigenen Ko-
pien. Einige Firmen gaben unter-
wegs aber auf, als absehbar wurde,
dass sie es nicht rechtzeitig zum Pa-
tentablauf in Europa am 16. Oktober
2018 schaffen würden. Denn im Ge-
nerikageschäft zählt Geschwindig-
keit: Wer zuerst am Markt ist, kann
die Pioniergewinne einstreichen.
Am Tag nach dem Patentablauf
waren in Deutschland gleich drei
Anbieter mit eigenen Medikamenten
präsent – ein Novum in der Branche.
Diese drei Firmen, Biogen, Amgen
und Sandoz/Hexal, haben aktuell
auch die höchsten Marktanteile bei
den Biosimilars. Laut Branchenanga-
ben kommt das Biogen-Produkt im
Monat August auf knapp 16 Prozent
der Adalimumab-Verordnungen in
Deutschland. Amgen erreicht etwas
über 13 Prozent und das Produkt
von Hexal/Sandoz knapp elf Pro-
zent.
Ein zweites Novum war, dass ei-
ner der Anbieter, nämlich Biogen,

statt der üblichen 20 Prozent Rabatt
mit einem satten Preisnachlass von
40 Prozent im Markt startete und
damit die anderen Anbieter zwang,
in kurzer Zeit nachzuziehen. Die
Preisstrategie von Biogen wird denn
auch im Markt als wichtiger Grund
dafür gesehen, dass das Unterneh-
men bei der Verordnung der Biosi-
milars weiterhin in Führung liegt.

Fünf Humira-Kopien in
Deutschland am Markt
Biogen selbst sieht das auch so: „Das
war natürlich ein starkes Signal“,
sagt Biogen-Manager Walter Röhrer.
Aber auch das langjährige Know-
how des Unternehmens bei der Her-
stellung von Biotechmedikamenten
spielt seiner Ansicht nach eine Rolle.
Ebenso die gewachsenen Beziehun-
gen zu den Ärzten, da Biogen bereits
zwei andere Biosimilars im Markt
hatte, die zu derselben Arzneimittel-
gruppe wie Adalimumab gehören.
Mittlerweile sind fünf Humira-Ko-
pien in Deutschland verfügbar. Alle
liegen auf dem Preisniveau, das Bio-
gen vorgegeben hatte. Der Generika-
konzern Mylan lancierte sein Pro-
dukt vergangenen November, und
der Gesundheitskonzern Fresenius
schließlich führte sein Mittel Idacio
ab Mai dieses Jahres ein.
Während Mylan im August rund
sieben Prozent Marktanteil erreicht,

liegt das Fresenius-Produkt Idacio
drei Monate nach Marktstart mit 0,2
Prozent Marktanteil noch weit zu-
rück. Fresenius gibt an, dass der
Start mit seinen Biosimilars im Som-
mer gelungen sei. „Die Umsatzent-
wicklung zeigt nach oben. Wir sehen
uns auf einem guten Weg zu unse-
rem Ziel, ein wichtiger Anbieter von
Biosimilars zu werden“, heißt es.
Tatsächlich haben sich die Verord-
nungen von Idacio bisher von Monat
zu Monat mehr als verdoppelt, aber
eben auf deutlich niedrigerem Ni-
veau als die Präparate der Wettbe-
werber.
Für Fresenius, die im Gesund-
heitsmarkt mit Dialysedienstleistun-
gen, Kliniken und injizierbaren Me-
dikamenten breit aufgestellt sind, ist
der Start im Markt der Biosimilars
eine Premiere. Das Unternehmen
hatte vor zwei Jahren die vollständi-
ge Biosimilars-Produktpipeline des
Darmstädter Merck-Konzerns ge-
kauft, die einen Schwerpunkt auf
Krebs- und Autoimmunerkrankun-
gen hat.
Merck erhielt eine Vorauszahlung
in Höhe von 156 Millionen Euro, zu-
dem gibt es Meilensteinzahlungen
von bis zu 500 Millionen Euro sowie
Lizenzzahlungen auf potenzielle Pro-
duktumsätze. Zur Vereinbarung ge-
hört auch, dass Merck die Biosimi-
lars für Fresenius produziert.

Pharmaindustrie

Angriff auf Topmedikament Humira


Ein Jahr nach dem Patentablauf des – gemessen am Umsatz – weltgrößten Medikaments Humira


haben günstigere Nachahmerprodukte rund die Hälfte des Marktes in Deutschland erobert.


20


MILLIARDEN
Dollar hat der
US-Pharmakonzern
Abbvie allein im ver-
gangenen Jahr in
etwa mit dem Medika-
ment Humira erlöst.

Quelle: Unternehmen

Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
24
Free download pdf