Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1

Interview: Ulrike Posche


Klimaaktivistin, „Greenpeace“-Mitbe-
gründerin, Umweltministerin – Frau
Griefahn, kann man sagen, Sie waren die
Greta Thunberg der 80er Jahre?
Greta und ich haben vielleicht gemeinsam,
dass wir in der Klima- und Umweltpolitik
etwas angestoßen haben. Aber ich glaube,
dass wir es damals ein bisschen schwerer
hatten als Greta und dass unser Risiko grö-
ßer war. Wir haben auch keine Belobigung
vom Bundespräsidenten und Bundeskanz-
ler bekommen wie die „Fridays for Future“-
Bewegung heute. Und es war gefährlich,
nicht nur für uns als Greenpeace-Aktivis-
ten, wenn wir Schiffe „blockiert“ haben.
Sie meinen Ihre Aktionen auf dem
Greenpeace-Schiff „Sirius“, mit dem Sie
damals Tanker daran hinderten, die
Nordsee zu vergiften.
Ja. Aber es war auch später für mich als Um-
weltministerin risikoreich. Zum Beispiel,
als enorme Schadenersatzklagen von
Energiekonzernen auf mich zukamen,
nachdem ich mit der niedersächsischen
Landesregierung den Ausstieg aus der
Atomenergie auf Landesebene geplant
hatte. Das war schon noch was anderes als
ein Eintrag ins Klassenbuch.
Da haben wir jetzt schon Ihr ganzes poli-
tisches Leben im großen Bogen ...
Ich finde es trotzdem toll, dass die Jugend-
lichen aktiv sind und sich politisieren!
... gestreift.
Gerade wieder. Das war schon sehr beein-
druckend.
Sie sprechen den vergangenen Freitag an.
Da hat die Bundesregierung ein Klimapa-
ket über 54 Milliarden Euro beschlossen.
Zeitgleich organisierten sich weltweit

K


viele Millionen meist junger Aktivisten
zum Streik. Was denken Sie: Wer hat an
jenem Tag mehr für die Zukunft getan?
Für die Zukunft ist damit ja noch gar nichts
getan. Das sind ja bloß erste Absichts -
er klärungen der Regierung. Für konkrete
Maßnahmen braucht es ein dauerhaftes
Engagement in den Parlamenten und poli-
tischen Parteien.
Und was die Klimastreiker betrifft?
Da sage ich: Gestaltet unsere Demokratie
mit und tretet bei der nächsten Wahl an!
Wäre die Welt heute ein besserer Ort,
wenn es die sozialen Medien früher
schon gegeben hätte?
Instagram, Facebook, Twitter und Co.?
Glaube ich nicht. Die haben ja Donald
Trump und Boris Johnson erst möglich ge-
macht! Wir haben natürlich auch mit Bil-
dern gearbeitet. Greenpeace ist dadurch
bekannt geworden, dass Dinge sichtbar ge-
macht wurden: das Verklappen von Atom-
müllfässern im Atlantik beispielsweise
oder das „Robbenmetzeln“ in der Arktis.
Sie waren mit 26 eine der ersten Umwelt-
aktivistinnen in Deutschland. Die „Bild“
nannte Sie „Regenbogenkämpferin“ und
„die schöne Moni“. Wie wurden Sie zu
einer Galionsfigur?
Es gab eben nicht so viele Frauen und schon
gar nicht so viele junge Frauen mit Mei-
nung. Damit bin ich natürlich aufgefallen.
Sie waren oft die Einzige unter Männern.
Aber fast immer diejenige, die gespro-
chen hat. Wie haben Sie das geschafft?
Ich war einfach durch meine Amnesty-
Aktivitäten und Schülerinnenvertretung
daran eher gewöhnt, schwierige Sachver-
halte zu erklären. Heute lernen Jugendliche
das Präsentieren ja schon in der Schule.
Waren Sie auch die Kapitänin der „Si-
rius“?
Nein. Wir waren ein Team. Ich habe das nur
organisiert, weil ich gut im Organisieren
bin. Es gab aber immer einen ausgebilde-
ten Kapitän.
Wie kamen Sie überhaupt auf das Thema
Umwelt?
Ich bin in Mülheim an der Ruhr aufge-
wachsen mit Husten, mit Asthma, mit
Luftverschmutzung durch Kohlenstaub
und Schwefel. Und auch mit der Vision von
Willy Brandt: „Wir wollen den blauen Him-
mel über der Ruhr“.
Der Grund, weshalb Sie später in die SPD
eintraten.
Genau. Und bis heute aus tiefer Verbun-
denheit geblieben bin.
Die Leute von Greenpeace galten als
radikal. Wie radikal waren Sie?
Wir haben vielleicht mal ein Gesetz über-
treten – immer gewaltfrei –, aber nichts ge-
macht, was andere Menschen gefährdete.

Sie wurden damals sogar live von der „Si-
rius“ in die „Tagesschau“ geschaltet. Und
danach kannte jeder in Deutschland das
Wort Dünnsäureverklappung.
Es war für uns wie für Greta heute eine
Mission, zu sagen: Leute, die Meere sind
unsere Lebensgrundlage. Wir müssen die
Wirtschaft so gestalten, dass sowohl wir als
auch die nachfolgenden Generationen in
einer intakten Welt leben können.
Gretas Mission lautet kurz gesagt „CO^2 -
Reduzierung“. War das in den Achtzigern
auch schon ein Thema?
Bei uns hieß es: Schaut euch die Flüsse an,
schaut euch den Himmel an, überall ist es
grau oder gelb. Auf der Elbe roch es wie in
einer chemischen Reinigung. Es war ge-
fährlich, ins Wasser zu fallen. Man musste
sofort ins Hafenkrankenhaus, weil die Be-
lastung durch Chemikalien so hoch war.
Das ist natürlich heute viel besser gewor-
den. Das muss man auch mal erwähnen!
Trotzdem waren nicht alle damals von
Ihrer Mission begeistert.
Nein. Als wir mit der „Beluga“ den Rhein
runtergefahren sind und gegen die Einlei-
tung von chloriertem Kohlenwasserstoff
aus der Papier- und Zellstoffindustrie
protestiert haben, sind wir sogar von
Arbeitern angegriffen worden. Die hatten
Angst, dass ihre Arbeitsplätze vernichtet
würden.
Monika Griefahn, Petra Kelly, Carola
Rackete, Greta Thunberg – es braucht of-
fenbar immer eine charismatische Frau,
die uns daran erinnert, die Erde, das
Wasser, die Menschlichkeit zu erhalten.
Sind Frauen vielleicht die besseren
„Über lebens-Schützer“?

AUF DER


ELBE


ROCH ES


WIE IN


EINER CHEMISCHEN


REINIGUNG“


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