Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1
Auf der Autobahn fühlte sich Christian
Ewers leicht unwohl als Beifahrer von
Achenbach. Der ließ häufig das Lenkrad
los, um mit den Händen zu erzählen

Arschloch habe das nicht geschafft. Ich hab


das einfach nicht gepackt. Ich dachte: Das


fliegt nie auf, und ab jetzt sind wir ehrlich


miteinander.“


Achenbach steigt aus dem VW und geht

auf den Hof. Er schiebt das Tor der Scheu-


ne auf, dort stehen Schnitzarbeiten eines


afrikanischen Künstlers. Riesige Holzfigu-


ren, schwarz angemalt, sie werden von der


Dunkelheit des Raumes fast geschluckt.


„Hier muss mehr Luft und Licht rein“,


sagt Achenbach, „es gibt auch schon Pläne.


Das hier wird alles eine große Begegnungs-


stätte. Ein Forum für Künstler in Not aus


aller Welt. Mein Freund David Chipperfield


kümmert sich drum.“


Sir David Chipperfield, Architekt


aus Großbritannien, der gerade den Süd-


westflügel des Metropolitan Museum


of Art in New York gestaltet, soll in Kaarst


übernehmen. „Ja, wieso denn nicht?“,


ruft Achenbach. „Ich habe David An-


fang der Neunziger nach Deutschland


geholt. Das hat er mir bis heute nicht


vergessen.“


Er geht zurück auf den Hof und klopft


an die Tür eines umgebauten Viehstalls.


Das ist das Atelier von Yahia Al-Selo aus


Syrien. „Yahia, mein Freund“, sagt Achen-


bach, „was macht die Kunst?“ Al-Selo hebt


gerade zu einer Erklärung an, was er da


formt mit gekräuseltem Papier, da klingelt


Achenbachs Handy.


„Markus, schön, dass du anrufst. Sag mal,

wie stehen die Chancen bei Mallorca? Sag


mal aus dem Bauch raus: 50 Prozent? – Nur


30? Hmm. – Okay, 40 sagst du. Das klingt


schon mal besser als 30. – Muss ich mich


gedulden, klar. – Ciao.“


„Ich male jetzt auch selbst“


Achenbach drängt zum Aufbruch. Schnell


schließt er noch eine weitere Scheune auf.


Dort lehnen großformatige Bilder an den


Wänden, meist in fließenden Gelb- und


Orangetönen. „Ich male jetzt auch selbst“,


sagt er, „meistens abends und nachts. Da


bin ich wie im Rausch. Für so eine Licht-


stimmung auf Lanzarote habe ich bloß


zwei Stunden gebraucht.“ Übrigens könne


man die Bilder auch kaufen. Das Insel-


Motiv „Distant Shores“ koste 12 000 Euro,


das Geld würde er der Stiftung spenden.


Einige Wochen später in Köln. Günter


Wallraff wartet auf Achenbach im Garten-


haus, das hinten im Hof steht. Man schaut


auf einen kleinen Anbau, wo Wallraff einst


Wolf Biermann und Nina Hagen unter-


brachte, als sie aus der DDR ausgebürgert


wurden. Wallraff sitzt an einem alten Holz-


tisch. Darauf liegen ein Reibstein aus Mali


und Kugeln aus Mauretanien. „Die wurden
den Toten als Wegzehrung in den Mund
gelegt“, sagt Wallraff.
„Lass uns nicht über den Tod reden, Gün-
ter“, sagt Achenbach und setzt sich dazu.
„Was bleibt uns am Ende?“, sagt Wallraff,
„ein paar Freundschaften?“
„Tja“, sagt Achenbach, „zu meinem 60.
Geburtstag waren 400 Gäste da. Jetzt
halten noch zehn Leute zu mir, vielleicht
zwanzig.“ Er erzählt, wie sehr es ihn
schmerze, dass sich viele Freunde und
Kollegen abgewendet hätten. Die Num-
mern hat Achenbach alle noch in sei-
nem Handy gespeichert. Oft nimmt
niemand ab. Oder das Gespräch ist schnell
beendet.
Vor allem Gerhard Richter ist ihm ein
Rätsel. Sie kennen sich seit Jahrzehnten,
der große Maler, der teuerste lebende
Künstler, dessen Leben unter dem Titel
„Werk ohne Autor“ verfilmt wurde. Achen-
bach und Richter sind gemeinsam durch
Japan gereist Anfang der Neunziger,
immer hatten sie einen guten Draht. Bis
zur Inhaftierung. „Der Gerhard ist irgend-
wie immer noch ein Freund“, sagt Achen-
bach, „ist halt etwas schwierig zurzeit.
Gibt sich wieder.“
„Wenn er wirklich ein Freund wäre,
hätte er sich doch längst bei dir gemeldet“,
sagt Wallraff.
„Ich ruf ihn mal an“, sagt Achenbach.
Er wählt Richters Nummer.
„Gerhard? Helge hier. Wie geht’s? –
Beschissen? – Hömma, ich gehe heute
Abend in deinen Film. – Taugt nichts?
Doch, ich muss mir das antun. – Sag mal,
mein Terminwunsch, dass wir uns mal
treffen ... wie sieht es aus? – Sag mal, ist es
eher, weil du nicht willst – oder weil du
nicht kannst? – Ja, klar, verstehe. Eher nicht
können. Das ist ja schon mal ... – Du ent-
scheidest das, und ich gehe dir nicht
auf den Sack. – Du meldest dich. – Halte
durch. – Ciao. Tschüss.“
Am Abend schaut sich Achenbach „Werk
ohne Autor“ an, den Gerhard-Richter-Film.
Nach einer Stunde sagt Achenbach: „Das
ist nicht der Gerhard, das ist Kitsch.“ Er holt
sein Smartphone hervor und checkt nun
alle paar Minuten seine E-Mails, SMS und
Whatsapp-Nachrichten. Nichts Neues aus
Mallorca.
„Okay“, sagt Achenbach, als der Abspann
läuft, „dann eben morgen.“ 2

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