Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1
von fritz göttler

B

erlin greift weit, bis an die Nord-
seeküste, wo das Land ein En-
de hat. Auf dienstliche Anwei-
sungen aus Berlin beruft sich
bei seinen Auftritten Jens Ole
Jepsen, der Dorfpolizist. Auch, als er dem
Maler Max Ludwig Nansen das Schreiben
überbringt, mit dem diesem Malverbot er-
teilt wird. Die beiden Männer kennen sich
seit Langem, Nansen ist der Patenonkel
von Jepsens Sohn Siggi. Der Maler steht
am leeren, schlammigen Strand, an der
aufgebauten Staffelei. Der Polizist hält
ihm das offizielle Papier vor das Bild, mit
dem Stempel des Dritten Reichs.
Der Krieg ist nur hin und wieder zu spü-
ren in dieser Landschaft. Wenn der uner-
schütterliche Polizist Jepsen in offizieller
Mission unterwegs ist in seinem geschlos-
senen kleinen Bezirk, wirkt er wie aus
dem 19. Jahrhundert, mit Käppi und wei-
tem Umhang und rundlichem Gesicht,
mit kräftigen Pedalschüben das Fahrrad
in schneller Bewegung haltend. Ein reiten-
der Bote, romantisch, aus den Anfängen
der Bürokratie. Ein dynamisches Bild, in
dem aber schon die Traurigkeit eines Nie-
dergangs steckt. Die neue Autorität, der
brutale nationalsozialistische Zentralis-
mus, der alles unter Kontrolle bringen
will, bedient sich der alten Insignien und
Verkleidungen.

Ein halbes Jahrhundert nach seiner Ver-
öffentlichung ist „Deutschstunde“, der
Bestsellerroman von Siegfried Lenz, er-
neut verfilmt worden von Christian
Schwochow. Im Jahr 1971 hatte es eine Ver-
filmung fürs Fernsehen gegeben, von
Peter Beauvais, mit Wolfgang Büttner als
Maler Nansen und Arno Assmann als Poli-
zist Jepsen. Bei Schwochow werden diese
Rollen von Tobias Moretti und Ulrich Noe-
then gespielt.
Eine Neuverfilmung sei an der Zeit,
und in Interviews zum Film hat Christian
Schwochow angemerkt, wie stark heute
wieder Diskriminierung, Rassismus, Anti-
semitismus geworden sind, und eine
Sehnsucht nach autoritären Systemen.
Hat das Universelle, das Exemplarische
der Geschichte betont, die der Roman er-
zählt. Eine Frage der Moral? Das Kino frei-
lich ist keine moralische Anstalt, und der
Film, den er gemacht hat – und er wollte
ihn für die Leinwand machen, unbedingt
–, sprengt die Enge der Parabel. „Das Be-
sondere daran ist, dass die einzelnen Figu-
ren in solche Extremsituationen geraten,
in denen es schier unmöglich ist, das Rich-
tige zu tun“, hat Heide Schwochow erklärt,
die für ihren Sohn das Drehbuch schrieb.
Für den Maler Nansen hat sich Sieg-
fried Lenz an dem Maler Emil Nolde vage
orientiert, dessen Bilder von den Nazis als
„entartet“ eingestuft wurden. Seit Lan-
gem aber ist bekannt, dass Nolde Antise-

mit war und sich Führer und Volk durch-
aus verpflichtet fühlte, auch Kollegen als
jüdisch angegeben hat. Suspekter und ge-
fährlicher für totalitäre Regime sind aber
weniger die Künstler als ihre Kunst, die
Subversion, die zersetzende Sogkraft, die
von ihr ausgeht und das Prinzip jeder Ord-
nung ad absurdum führt. Die farbigen Bil-
der Nansens sind Leuchtpunkte in einer
grauen, feuchten, müden Welt – Siggi ver-
sucht, sie vor dem Zugriff der Behörden

zu retten, indem er sie in einem verlasse-
nen Haus unterbringt, einem heimlichen
Museum, einem Haus, das überstürzt ver-
lassen werden musste, das nicht mehr be-
wohnt und gebraucht wird. Gabriele Win-
zer hat Nansens Bilder malerisch erarbei-
tet – sie hat auch schon für Lars von Triers
„Antichrist“, Margarethe von Trottas
„Hannah Arendt“ oder „High Life“ von
Claire Denis gearbeitet, und auch bei „Bad
Banks“ war sie dabei, der erfolgreichen
Fernsehserie, die Christian Schwochow
vor „Deutschstunde“ machte.
Der Maler Nansen ist eine Provokati-
onsfigur, Tobias Moretti spielt ihn kantig
und obsessiv – schon in Oskar Roehlers
„Jud Süß – Film ohne Gewissen“ hat er

einen Künstler im Zwielicht des National-
sozialismus verkörpert, den Schauspieler
Ferdinand Marian, der gezwungen wurde,
für Veit Harlans „Jud Süß“ zu spielen. Nan-
sen ist eine zweite Vaterfigur für Siggi, zwi-
schen ihm und dem Polizistenvater, der
ihn verpflichtet, bei der Überwachung des
Malers mitzumachen, reibt der Junge sich
auf. „Die Freuden der Pflicht“ soll er in
einem Aufsatz beschreiben, als man ihn
nach dem Krieg in eine Besserungsanstalt
steckt, vor dieser Frage nach der Perversi-
tät der Macht versagt er.
Es sind die Körper, über die politische
Macht ihre Herrschaft ausübt. Die Hand
des Jungen auf eine glühende Herdplatte
gedrückt, eine unerbittliche Leibesvisitati-
on, nackt, in der Anstalt. Die reglementier-
ten, verletzlichen Körper der Söhne, die
verwesenden Körper toter Vögel.
Und der Maler Nansen weiß, wo er an-
setzen muss, um die Ordnung in der Fami-
lie Jepsen nachhaltig zu zertrümmern. Er
macht Siggis Schwester zu seinem Mo-
dell, lässt sie sich entblößen vor ihm.

Deutschstunde, D 2019 – Regie: Christian Schwo-
chow. Buch: Heide Schwochow. Nach dem Roman
vonSiegfried Lenz. Kamera: Frank Lamm. Schnitt:
Jens Klüber. Musik: Lorenz Dangel. Mit: Ulrich
Noethen, Tobias Moretti, Levi Eisenblätter, Johan-
na Wokalek, Sonja Richter, Maria Dragus, Tom Gro-
nau, Louis Hofmann. Wild Bunch, 125 Minuten.

Byron Widner sitzt im Bad, nackt und nass
und mit kahlrasiertem Schädel, auf dem
geschlossenen Toilettendeckel. Als hätte
er nirgends einen anderen Platz gefunden,
an dem er für einen Moment Ruhe hat von
diesem Leben zwischen Hass und Gewalt,
in das er hineingewachsen ist, und an dem
er – bis jetzt – nie gezweifelt hat. Manifes-
tiert hat sich dieses Leben auch auf seiner
Haut. Gesicht und Körper sind über und
über bedeckt mit Runen, Hakenkreuzen
und anderen kruden Codes, die in seiner
rechtsterroristischen Splittergang als Or-
den für Gewalttaten verteilt werden. Auf
seiner Brust prangt in martialischen Let-
tern: „Blood & Honour“.
Sein Ziehvater hat ihn gerade von der
Polizei abgeholt. Die hatte ihn verhaftet,
weil er nach einem Naziaufmarsch einen
jungen afroamerikanischen Gegende-
monstranten fast zu Tode geprügelt hatte.
Jamie Bell spielt diesen Moment der Rück-
kehr in seine Skinhead-Ersatzfamilie mit
beeindruckender physischer Präsenz,
Selbsthass und der Angespanntheit eines
zweifelnden jungen Mannes, die man dem
einstige Kinderstar gar nicht zugetraut
hätte.
Die Figur des Byron Widner basiert auf
einer wahren Geschichte, die Guy Nattiv
bereits in einem dokumentarischen Kurz-
film festgehalten hat. Dramaturgisch bis-
weilen etwas holprig, aber – vor allem
dank Bells Auftritt – auch elektrisierend,
erzählt der israelische Regisseur nun in sei-

nem ersten englischsprachigen Spielfilm
die Geschichte dieses schwierigen Entrin-
nens noch einmal ausführlicher. Für By-
ron Widner bedeutete sie nicht nur den Ab-
schied aus dem rechten Milieu, sondern
aus dem einzigen Dasein, das er je gekannt
hatte. Der „Vinländer’s Social Club“, in den
ihn sein demagogischer Ziehvater Fred un-
ter Zuhilfenahme von viel Alkohol, Dro-
gen, kaltschnäuziger Gewalt und ideologi-
scher Hetze einst eingeführt hat, haust auf
einem heruntergekommenen Bauernhof
in Amerikas Herzland. Von hier aus plant
Fred mit seinen befehlshörigen Anhän-
gern kleine und große Aktionen. Einmal
fahren sie stundenlang durch die Nacht,
um am anderen Ende von Ohio eine Mo-
schee abzufackeln. Aussteigen ist eine Op-
tion, die in den Statuten des „Social Club“
alles andere als vorgesehen ist.

„Skin“ passt erschreckend gut in unse-
re Zeit und die gegenwärtige Stimmung
Amerikas, wo die noch vor ein paar Jahren
erstaunlich unsichtbare Masse der White
Supremacists, der Wütenden und gewalt-
bereiten Ewiggestrigen, immer deutlicher
hervortritt, wie etwa bei den Ereignissen
von Charlottesville 2017. Ein tätowierter
Neonazi auf der Leinwand ist längst nicht

mehr das fremdartige Schreckgespenst,
das Edward Norton vor gut zwanzig Jah-
ren in „American History X“ spielte, son-
dern ein Ausdruck bizarrer Normalität.
Man muss es Nattiv hoch anrechnen, dass
er auch davon erzählen will, wie diese Dy-
namiken funktionieren, mit denen junge
Leute ideologisch verführt werden. Leider
ist gerade die Inszenierung dieses Hand-

lungsstrangs, die in Gestalt des Neueinstei-
gers Gavin abgehandelt wird, dramatur-
gisch eher unelegant. Etwas ungelenk mu-
tet bisweilen auch die Liebesgeschichte
mit der alleinerziehenden Mutter Julie an,
die Byron endgültig zum Ausstieg bewegt
und den Film in der zweiten Hälfte etwas
zu sehr in Richtung eines konventionellen
Melodramas gleiten lässt. Mehr hätte man

sich dagegen von dem afroamerikani-
schen Aktivisten Daryle Jenkins ge-
wünscht, der Bryon ebenfalls hilft.
Stark ist der Film in den Momenten, in
denen er sich auf den langwierigen und
schmerzvollen Prozess der Transformati-
on konzentriert. Byrons tätowierte Haut
ist hier eine Metapher für seine innere Ver-
wandlung, aber auch ganz konkret der
Schauplatz einer äußeren: Nattiv gliedert
seinen Film, indem er die Handlung im-
mer wieder mit Szenen unterbricht, in de-
nen in einer qualvollen Prozedur ein Tat-
too entfernt wird. Die Kamera folgt dem
stöhnenden Byron auf die Operations-
tische seiner zahllosen Behandlungen,
und sie folgt den knallenden Schüssen des
Lasergeräts, das die Zeichen seines alten
Lebens aus der geröteten Haut brennt. Der
Takt der Laserschüsse und das Zischen
der versehrten Haut hallen so schmerz-
haft in den Ohren nach, dass diese Szenen
zu den intensivsten gehören, die „Skin“ zu
bieten hat – trotz aller Gewaltorgien, die
man sonst noch sieht. Es sind Szenen, die
zum Kern der Geschichte weisen: Die Ab-
nabelung von einem alten Leben tut mehr
weh als alle Schläge der Welt.
annett scheffel

Skin, USA 2018 – Regie und Buch: Guy Nattiv. Ka-
mera: Arnaud Potier. Schnitt: Lee Percy, Michael
Taylor. Mit: Jamie Bell, Danielle Macdonald, Bill
Camp, Kylie Rogers, Mike Colter. 24 Bilder, 117 Min.

Die Starts ab 3. Oktober auf einen Blick,
bewertet von den SZ-Kritikern. Rezensio-
nen ausgewählter Filme folgen.


Ama-San
martina knoben:Die japanischen
Ama-San sind Taucherinnen, die Abalo-
nen und anderes Meeresgetier aus dem
Pazifik holen. Die portugiesische Regis-
seurinCláudia Varejãobeobachtet drei
von ihnen, in schönen, fast meditativ ru-
higen Bildern. Kühl, still und geheimnis-
voll ist die Welt unter Wasser; routiniert
und grazil bewegen sich die Frauen dar-
in, ohne Sauerstoffgerät, minutenlang
halten sie die Luft an bei ihrer Jagd. Es
wird nichts erklärt in dieser Doku, keine
Dringlichkeit behauptet. Aber was könn-
te aktueller sein als dieses Bild von Weib-
lichkeit, von heiterer Souveränität in ei-
nem wirklich harten Job?


Barstow, California
philipp stadelmaier:Eine kaliforni-
sche Kleinstadt in der Mojave-Wüste.
Rainer Komersfilmt die Menschen, die
Landschaft, die Züge. Dazu erzählt der
schwarze Schriftsteller Spoon Jackson,
der hier aufwuchs und seit 1978 eine le-
benslange Haftstrafe verbüßt, von ei-
nem Leben voller Gewalt und Gemein-
schaftsgeist. Großartiges, vielschichti-
ges Porträt eines ewigen Ortes, einer ver-
gangenen Zeit und einer verlorenen,
aber zähen Gesellschaft.


Datsche
anna steinbauer:Welch illustres Pu-
blikum den Sommer in einem Branden-
burger Schrebergartenidyll verbringt! In
Lara Hewittsetwas ungelenkem Ver-
such, einer Cultureclash-Komödie politi-
sche Brisanz einzuhauchen, treffen ein
paar internationale Couchsurfer auf
stramme Heimatverehrer, skurrile Spie-
ßer auf einen untergetauchten Asylbe-
werber. Mit dem Sommer endet der
Film, dessen Figuren undurchschaubar
bleiben und dessen Aussage sich irgend-
wo zwischen Nazinachbar und Hippie-
party verliert.


Deutschstunde
(Siehe Kritik nebenan.)


Enzo und die wundersame Welt
der Menschen
doris kuhn:Fängt an wie ein Rühr-
stück, endet wie ein Rührstück, ist aber
dazwischen ein überraschend liebens-
werter Spielfilm, in dem ein Golden Re-
triever sein Leben erzählt. Oder besser,
das seiner Familie: eines Rennfahrers,
der seine Rennen gewinnt, aber seine
Frau verliert, und sein Kind fast dazu.
RegisseurSimon Curtistraut sich vorzu-
führen, dass hinter der Grenze zum
Kitsch noch viel Unterhaltungswert
wohnt.


Eine ganz heiße Nummer 2.
josef grübl:Den schnellen Draht zur
Triebabfuhr gibt es nicht mehr inRai-
ner KaufmannsFortsetzung der bayeri-
schen Telefonsex-Komödie aus dem
Jahr 2011. Heute spielt sich alles im Inter-
net ab, das gibt es aber auch nicht im fik-
tiven Ort Marienzell. Also müssen die
Stöhnmamsellen von damals noch ein-
mal ran, mit dem Preisgeld eines Tanz-
wettbewerbs wollen sie das schnelle
Netz ins Bayerwalddorf holen. Damit die
Männer endlich ruckelfrei Pornos strea-
men können? Die Story ruckelt mindes-
tens genauso, den drei spielfreudigen
Hauptdarstellerinnen schaut man aber
nach wie vor gern zu.


Gemini Man
philipp stadelmaier:Henry (Will
Smith), Auftragskiller in Regierungs-
diensten, mag keine Spiegel – bis er es ei-
nes Tages mit einem ganz besonderen
zu tun bekommt. Gerade will er sich zur
Ruhe setzen, da wird er von einer jünge-
ren Version seiner selbst gejagt.Ang Lee
zeigt in seinem neuen, virtuos inszenier-
ten Film die amerikanische Kriegskul-
tur als virtuelle Spektakelwelt, in der
aber selbst der digitale Killer-Klon, wie
alle Wesen, eine Seele hat.


In The Tall Grass
juliane liebert: Eine schwangere
Frau und ihr Bruder hören am Rande ei-
nes mannshohen Grasfeldes einen klei-
nen Jungen um Hilfe rufen. Sie folgen
den Hilfeschreien in das Feld, nur um
festzustellen, dass es keinen Weg zurück
gibt. Dann finden sie die Leiche eines
Hundes ...Vincenzo NatalisFilm beruht
auf einer Kurzgeschichte von Stephen
King und Joe Hill und erschafft eine sehr
eigene, surreale Welt. Sie entspricht
dem, was der klischeedeutsche Schreber-
gärtner fürchtet, wenn er seinen Rasen
nicht alle drei Tage mäht. Wer hat noch
einmal behauptet, Grün sei eine beruhi-
gende Farbe? (Auf Netflix ab 4. 10.)


The Laundromat – Die Geldwäscherei
fritz göttler:Deine Mutter wurde
gezeugt unter einem papierenen
Schirm, erzählt Ellen fröhlich ihrer En-
keltochter, und auch eine Menge Mai
Tais haben dabei mitgewirkt. Ellen wird
verkörpert von Meryl Streep, ihre Ge-
schichte ist eins der vielen kleinen
Schicksale, über die Steven Soderbergh
in seinem Netflix-Film das absurde, zyni-
sche, unfassliche Geschehen um Schein-
firmen und Steuervermeidung illus-
triert, das in der SZ-Investigation um die
Panama Papers aufgedeckt wurde. Auch
die Anwälte Jürgen Mossack und Ramón
Fonseca sind dabei, verkörpert von Gary
Oldman und Antonio Banderas, die all
die emotionalen kleinen Schicksale sinn-
los kabarettistisch aufwirbeln. (In ausge-
wählten Kinos, ab 18. Oktober auf Net-
flix)


Memory Games
fritz göttler:Ein Film der wunder-
samsten Verwandlungen – wie zum Bei-
spiel aus der Zahl 1240 plötzlich ein Ty-
rannosaurus Rex wird. Mit solcher Fanta-
siearbeit schaffen es Menschen, gewalti-
ge Zahlenmengen, Kartenreihen oder
Personendaten in ihrem Gedächtnis zu
speichern und diese auf Aufforderung
wieder aufzusagen.Janet Tobiasfolgt ei-
nigen dieser Gedächtniskünstler in Wett-
bewerbe und auf die Bühne (oder in den
Himalaja) und, mithilfe bunter Compu-
teranimationen, in die Gänge ihrer „Me-
mory Palaces“. Besonders beeindru-
ckend: Wie einer einen Rubikwürfel in
Ordnung bringt – ohne hinzugucken.
Der Film ist verblüffend und tröstend zu-
gleich. That memory, wird Shakespeare
zitiert, the warder of the brain, der Wäch-
ter des Gehirns.

Normal
anke sterneborg:Ein Zauberer zer-
sägt vor Publikum eine Frau, faltet ihren
Körper zusammen, lässt ihren Kopf bren-
nen. Schwer vorstellbar, dass das mal
umgekehrt passiert. Ein kleines Mäd-
chen bekommt beim Ohrlochstechen
Komplimente für Tapferkeit und
Lieblichkeit, während anderswo kleine
Jungs beim Minimotorradrennen aufs
Gasgeben getrimmt werden. Und beim
Ehevorbereitungskurs erfahren die jun-
gen Bräute von den Pflichten in Küche,
Kinderzimmer und Ehebett.Adele Tulli
sammelt Vignetten zum alltäglichen
Chauvinismus Italiens und findet recht
viel. So reizvoll es ist, dass sie die Gedan-
ken nicht durch Kommentare lenkt, so
beliebig scheinen doch die Beiträge.

Skin
(Siehe Kritik unten.)

Ugly Dolls
ana maria michel:Die Bewohner
von Uglyville sind eigentlich ziemlich zu-
frieden. Sie haben Spaß und halten zu-
sammen. Das findet auch Moxy, trotz-
dem will sie raus in die große Welt – und
ein Kind finden, das sie lieb hat. Den Ein-
zug ins Kinderzimmer haben die Ugly-
dolls in der Realität längst geschafft. Bei
Kelly Asburymüssen die kleinen bun-
ten Plüschmonster erst noch beweisen,
dass es nicht nur aufs Äußere ankommt.
Das gelingt – aber da bei jeder Gelegen-
heit gesungen wird, hat der Animations-
film auch seine Längen.

We Have Always Lived in the Castle
ana maria michel:Die 18-jährige
Merricat Blackwood (Taissa Farmiga)
lebt mit ihrer älteren Schwester Constan-
ce (Alexandra Daddario) in einem alten
Schloss. Die Eltern sind tot, Constance
soll sie umgebracht haben. Zumindest
glauben das die Leute in der Stadt, wo
die Schwestern verhasst sind. Dann
taucht auch noch ein Cousin auf, der
dem toten Vater ähnlich sieht.Stacie Pas-
sonhat Shirley Jacksons Mystery-Ro-
man aus dem Jahr 1962 verfilmt. Das
Ergebnis ist voll mit schrägen Gestalten,
Spannung kommt aber nicht wirklich
auf.

Zwischen uns die Mauer
bernhard blöchl:In den besten Mo-
menten erinnert Lea Freund an Sophie
Marceau in „La Boum 2“, in deren Bli-
cken, Freuden- und Enttäuschungsträ-
nen sich die ganze Bipolarität des Le-
bens ablesen ließ. Die Achtzigerjahre
und der herrliche Mist junger, schwieri-
ger Liebe prägen auchNorbert Lech-
nersVerfilmung des autobiografischen
Romans von Katja Hildebrand. Dabei er-
weist sich die Newcomerin Freund an
der Seite von Tim Bülow als große Entde-
ckung. Der Inhalt ist so simpel wie fes-
selnd: Zwei Teenager verlieben sich un-
sterblich, sie aus dem Westen, er aus
dem Osten. Bis die Mauer fällt, tun Stasi,
Eltern und Grenzschützer, was sie tun
müssen. Das hat mitunter ein paar Län-
gen, ist aber schön in Szene gesetzt.

Das einzige Dasein, das
er je gekannt hat, manifestiert
sich auf seiner Haut

Der Maler Nansen ist eine
Provokationsfigur, Tobias Moretti
spielt ihn kantig und obsessiv

Raus aus seiner Haut


Ein junger Amerikaner sagt sich los aus seinem White-Supremacy-Clan: Der Film „Skin“ von Guy Nattiv


Elektrisierende Performance: Der frühere Kinderstar Jamie Bell spielt Byron
Widner, den Aussteiger aus der Nazi-Szene. FOTO: 24 BILDER

NEUE FILME (1) NEUE FILME (2)


14 FEUILLETON HF2 Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019, Nr. 228 DEFGH


Anweisung aus Berlin – der Dorfpolizist (Ulrich Noethen) überbringt dem Expressionisten (Tobias Moretti) ein amtliches Malverbot. FOTO: WILD BUNCH

Leuchtpunkte im Grau


Heideund Christian Schwochow sind das Mutter-Sohn-Duo des deutschen Films.


Jetzt haben die beiden Siegfried Lenz’ Roman „Deutschstunde“ neu fürs Kino adaptiert

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