Die Welt Kompakt - 09.10.2019

(ff) #1
genüber der EU der richtige
Weg ist. „Keine britische Regie-
rung kann es jemals akzeptie-
ren, dass Deutschland uns sagt,
dass ein Teil unseres Landes in
der EU bleiben
muss“, teilte
Brexit-Party-
Gründer Nigel
Farage mit. Die
Wahl für die
Briten sei klar:
„Ein sauberer
Brexit. Oder
der Verbleib in
einem neu mili-
tarisierten Empire. Es ist Zeit
für Freiheit.“
Johnsons Konservative be-
trachten die Brexit Party als
größte Hürde auf dem Weg zu
einer absoluten Mehrheit bei
der nächsten Unterhauswahl,
die bald erwartet wird. Die of-

ZZZwei Frauenwei Frauen
demonstrieren
vor dem briti-
schen Parlament.
Auf dem Schild
steht sinngemäß:
VVVerrückte sinderrückte sind
an der Macht,
verdammt sie

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,9.OKTOBER2019 POLITIK 9


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K


aum drei Wochen vor
dem offiziellen Bre-
xit-Datum bestimmen
nicht mehr mögliche
Kompromisse, sondern Schuld-
zuweisungen den Verlauf der
Verhandlungen. Nach einem
Telefonat zwischen dem briti-
schen Premier Boris Johnson
und Bundeskanzlerin Angela
Merkel (CDU) am Dienstag-
morgen verlautete aus London,
Merkel habe einen Deal für
„überaus unwahrscheinlich“ er-
klärt. Grund sei die Forderung
der Europäischen Union (EU),
dass Nordirland in der Zolluni-
on bleiben müsse, um eine har-
te Grenze zu vermeiden. Lon-
don lehnt den Verbleib in der
Zollunion kategorisch ab.


VON STEFANIE BOLZEN
AUS LONDON

Die britische Regierung fol-
gert aus dem Gespräch der bei-
den Regierungschefs, dass eine
Einigung „im Grunde jetzt und
auf lange Zeit unmöglich“ ge-
worden sei. Johnson habe Mer-
kel „vernünftige Vorschläge“
unterbreitet, um den umstrit-
tenen „Backstop“ für Nordir-
land zu ersetzen, ließ Downing
Street verlauten. Merkel habe
aber darauf bestanden, dass
Nordirland unbefristet eng an
das EU-Land Irland angebun-
den bleiben müsse. Zudem ha-
be es seitens der Kanzlerin
„keinen Wunsch nach weite-
ren Verhandlungen der EU ge-
geben“.


Das Telefonat sei „ein nützli-
cher, weil in vielfacher Hinsicht
klärender Moment“ gewesen.
Sollten Merkels Kommentare
gegenüber Johnson die „neue
Position der EU“ sein, habe das
Gespräch überdies klarge-
macht, dass die EU bereit sei,
das 1998 vereinbarte Friedens-
abkommen für Nordirland „wil-
lentlich zu torpedieren“.
Im Gegensatz zur britischen
Regierung lehnte es die Bun-
desregierung am Dienstag ab,
Details des Gesprächs zu ver-
öffentlichen. „Wie üblich be-
richten wir aus solchen ver-
traulichen Gesprächen nicht“,
teilte Merkels Sprecher mit.
Im Bundestag lösten die in
London verbreiteten Details
des Gesprächs Irritation aus.


„Es gibt keine neue deutsche
oder EU-Position zum Brexit.
Ein Deal auf der Basis der
jüngsten Vorschläge von Boris
Johnson ist bis Ende Oktober
unrealistisch“, sagte Norbert
Röttgen (CDU), Vorsitzender
des Auswärtigen Ausschusses,
WELT. Nach Röttgens Ein-
schätzung ist das Durchste-
chen des Telefonats vielmehr
Teil des britischen Schwarzer-
Peter-Spiels: „Johnson sitzt in
der Falle der Brexit-Hardliner
und hat darum wohl in der Sa-
che keine Spielräume mehr. Es
sieht so aus, dass er das Telefo-
nat mit der Kanzlerin miss-

braucht, um Schuld zuzuschie-
ben“, so Röttgen.
In Brüssel reagierten EU-
Vertreter verärgert. Der Brexit
sei kein „dummes Schuldzu-
weisungsspiel“, warf EU-Rats-
präsident Donald Tusk John-
son vor. Es gehe um die Zu-
kunft Europas und des Verei-
nigten Königreichs, twitterte
Tusk, genauso wie um die Si-
cherheit und die Interessen der
Menschen. „Sie wollen keinen
Deal, Sie wollen keinen Auf-
schub, Sie wollen den EU-Aus-
stieg nicht zurücknehmen. Quo
vadis?“, fragte der scheidende
Ratspräsident polemisch. Bre-
xit-Anhänger in Großbritan-
nien fühlten sich am Dienstag
hingegen bestätigt, dass nur ei-
ne kompromisslose Linie ge-

fene Konfrontation mit den Eu-
ropäern wird daher in London
als Taktik bewertet, um die
Brexit-Anhänger weg von Fara-
ge und zu den Konservativen
zu ziehen. Bereits in der Nacht
zu Dienstag waren verklausu-
lierte Drohungen gegen die EU
und Deutschland öffentlich ge-
worden. Der regierungsnahe
„Spectator“ hatte das Briefing
eines engen Beraters von John-
son veröffentlicht. Staaten wie
Deutschland, die eine Verschie-
bung des Brexits befürworten,
müssten sich bei Verhandlun-
gen mit Großbritannien nach
dem EU-Ausstieg „hinten in die
Schlange stellen“. Von Theresa
May gemachte Zusicherungen,
London werde sich auch als
EU-Mitglied „wider Willen“
konstruktiv verhalten, seien
hinfällig.

Brexit: Johnson schiebt Merkel Schuld zu


Nach einem Telefonat mit der Bundeskanzlerin lässt die britische Regierung verbreiten,


dass eine Einigung „im Grunde jetzt und auf lange Zeit unmöglich“ geworden sei. Berlin schweigt


DPA

/MATEUSZ SLODKOWSKI

,,


Wie üblich berichten wir


aus solchen vertraulichen


Gesprächen nicht


Ein Sprecher des Bundeskanzleramts
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