Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.10.2019

(Dana P.) #1

SEITE 28·MONTAG, 7. OKTOBER 2019·NR. 232 Sport FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


S


chwierige Frage. Hätte die ange-
hende Sportjournalistin Konstanze
Klosterhalfen der Athletin Kon-
stanze Klosterhalfen dieselben Fra-
gen gestellt, die ihr die Sportjournalisten
in Doha stellten? Unausgesprochene Ant-
wort: nein. Ausgesprochene Antwort,
nachdem sie im Weltmeisterschaftsren-
nen über 5000 Meter Dritte geworden war
und die Bronzemedaille gewonnen hatte:
„Ich hoffe, dass ich mich ein bisschen
mehr auf die positiven Nachrichten kon-
zentrieren kann, als mich immer, wie die
meisten, auf die negativen zu stürzen.“
Der Wunsch nach einem Sport, der
nichts als Freude macht, und die Wirklich-
keit eines in vielerlei Hinsicht kompromit-
tierten Gewerbes klafften auch in Doha
weit auseinander. Dort ging am Sonntag
nach zehn Tagen die Leichtathletik-Welt-
meisterschaft zu Ende. Im Raum dazwi-
schen: die gerade 22 Jahre alte Läuferin
aus Bockeroth bei Königswinter. In der
Nacht auf Dienstag wurde Alberto Salazar
für vier Jahre vom Sport ausgeschlossen,
der Kopf des Nike Oregon Projects, dem
sich die mit schier unglaublichem Talent
gesegnete Konstanze Klosterhalfen im No-
vember 2018 angeschlossen hat. Vier Tage
später wollte die junge Läuferin ihr Jahr,
in dem sie sechs deutsche Rekorde verbes-
sert hat, mit dem Gewinn ihrer ersten
WM-Medaille krönen. Nur dass der Glanz
eines solchen Erfolges stumpf wird, wenn
der geistige Vater der Trainingsgruppe
vom Sport ausgeschlossen und mit einer
Kontaktsperre zu seinen Sportlerinnen
und Sportlern belegt ist. Er habe verbote-
nes Doping-Verhalten orchestriert und ge-
fördert, urteilte das Schiedsgericht. Er
habe Siege über die Gesundheit der Athle-
ten gestellt, kommentierte die amerikani-
sche Anti-Doping-Agentur Usada – Vor-
würfe, die Salazar bestreitet. Gegen das
Urteil will er Berufung einlegen.
„Ich weiß, dass all dies meine Gruppe
nicht betrifft“, behauptete Konstanze
Klosterhalfen am Samstag nach dem Ren-
nen: „Mein Coach ist Pete Julian. Ich bin
dankbar, mit ihm trainieren und zu ihm zu-
rückkehren zu können für die nächste Sai-
son.“ Das ist nicht wirklich ein Kommen-
tar dazu, dass das Projekt im Zeichen des
Totenkopfes, eine der erfolgreichsten Trai-
ningsgruppen der Welt, seine Seele verlo-
ren hat, seinen geistigen Vater, den nim-
mermüden Tüftler und manischen Antrei-
ber Salazar, und der mehr denn je verdäch-
tig erscheint. Das Nike Oregon Project,
das war weit über die vier Olympiasiege

und sechs WM-Titel von Mo Farah hinaus
immer Alberto gewesen. Sie war der Gold
gewordene Ausdruck seines Anspruchs,
der Spiegel seiner schillernden Persönlich-
keit. Er experimentierte mit leistungsstei-
gernden Substanzen, mit legalen und mit
im Sport verbotenen, er manipulierte Men-
schen und Verfahren, er log und hielt zum
Lügen an.
Auch Thomas Bach, der Präsident des
Internationalen Olympischen Komitees,
nannte den Skandal sehr besorgniserre-
gend; er werfe ernste Bedenken auf. „Wir
sind zuversichtlich, dass die Wada diesen
Fall sehr sorgfältig analysieren und Fra-
gen klären wird, die nach diesem Bericht
bleiben“, wird Bach zitiert. Das IOC wer-
de der Welt-Anti-Doping-Agentur in die-
ser Sache schreiben.
„Ehrlich gesagt: Koko hatte kaum etwas
mit Alberto zu tun“, sagt Pete Julian, Assis-
tent von Salazar, Trainer von Konstanze
Klosterhalfen und voraussichtlich der
Mann, der das Projekt weiterführen soll.
Die mentale Wagenburg, in der sich er,
Klosterhalfen und seine Leute verschanzt
haben, verlassen sie nur zum Rennen.
„Was Koko heute geleistet hat, mit den
Afrikanerinnen mitzuhalten!“, sagt Juli-
an, „das war das schnellste Rennen, das es
je bei einer WM gab.“ Hier also endlich
die positive Nachricht: Konstanze Kloster-

halfen ist in der Weltspitze angekommen.
Als es auf der letzten Runde zur Entschei-
dung kam, als die Titelverteidigerin Helen
Obiri die letzte Runde in 58,91 Sekunden
spurtete und in 14:26,72 Minuten siegte,
als Margaret Kipkemboi, auch sie aus Ke-
nia, in 14:27,49 Minuten Zweite wurde,
zog Konstanze Klosterhalfen ebenfalls an
und spürte erst auf den letzten 100 Me-
tern, bevor sie in 14:28,43 Minuten Dritte
wurde, dass ihre Beine schmerzten vor An-
strengung. „Das ist das beste Gefühl: zu
wissen, dass man etwas ausrichten kann,
dass man ein bisschen Kontrolle hat in so
einem Weltklasse-Feld. Ich war nicht dieje-
nige, die Tempo macht, nicht diejenige,
die zuerst zuckt, das ist ein ganz neues Ge-
fühl“, sagte Klosterhalfen stolz. „Die Me-
daillen wurden im Finish vergeben, das
war bisher nicht meine Stärke. Da jetzt
mitlaufen zu können, ist schön.“
„Sie ist eine legitime Gold-Kandidatin“,
urteilt Julian mit Blick auf die Sommer-
spiele, die in zehn Monaten in Tokio statt-
finden. „Sie ist dran. Wir müssen sie noch
ein wenig stärker kriegen. Darauf bereiten
wir sie im nächsten Jahr vor. Und auf Paris
2024.“ Mit der Stärke meint der Coach die
Robustheit, sich im Gerangel des Feldes
zu behaupten. Wieder hatte Konstanze
Klosterhalfen aus der Berührung mit den
Spikes konkurrierender Läuferinnen
Schrammen an den Beinen und deshalb
Blutflecken auf ihrer Flagge. Doch dies-
mal lachte sie darüber.
War der Erfolg eine Genugtuung nach
einer Woche öffentlicher Zweifel? „Ich
bringe ihn damit nicht in Verbindung“, er-
widert Konstanze Klosterhalfen. „Für
mich war das Wichtigste die Performance.
Zu zeigen, was wir trainiert haben, das auf
die Bahn zu bringen.“ Der Ansatz ist nach-
vollziehbar, doch zweifelhaft. Sifan Has-
san, Niederländerin aus Äthiopien und
von Salazar persönlich trainiert, heulte
am Stadionmikrofon, als sie nach der
Goldmedaille über 10 000 Meter als erste
Läuferin der Geschichte auch die über
1500 Meter gewonnen hatte. „Was denken
die Leute? Dass ich nicht getestet wer-
de?“, schimpfte später: „Ich war sauber,
ich will sauber bleiben, ich werde für im-
mer sauber bleiben. Sie können mich je-
den Tag kontrollieren.“ Mit ihrer Sieges-
zeit von 3:51,95 Minuten wird sie allein
von der verdächtigen Äthiopierin Genze-
be Dibaba übertroffen und von vier Chine-
sinnen, die in den neunziger Jahren angeb-
lich mit Schildkrötenblut intus liefen. Was
man davon halten soll? Schwierige Frage.
MICHAEL REINSCH

B


ei mir gehen zusehends die Lich-
ter aus. Mir fällt es immer schwe-
rer, mich halbwegs aufrecht zu
halten. Ich häng’ mir ein Schild um den
Hals: Achtung! Es droht Umnachtung!“
Das war seine letzte Mail. Vor vier Wo-
chen. In der Nacht zum Sonntag ist Mar-
tin Lauer, einer der Größten der Leicht-
athletikwelt, in seinem Haus in Lauf an
der Pegnitz gestorben. Mit 82 Jahren gin-
gen seine zwei Leben zu Ende. Das erste
mit Weltrekorden und einem Olympia-
sieg und das zweite mit außergewöhnli-
chen Karrieren als Diplomingenieur,

Schlagersänger und Sportkommentator.
Den Sieg des Zehnkämpfers Niklas Kaul
hatte Martin Lauer, nach Jahren ge-
schwächt von seinem letzten Kampf,
noch zu Hause verfolgt.
„In jeder Lage bleibe Mann“, hatte
ihm sein Kölner Gymnasiallehrer 1962
ins Vorwort seines Buches mit dem Titel
„Aus meiner Sicht“ geschrieben. Lauer,
gerade 25 Jahre alt, lag in einer Bensber-
ger Klinik. Zwischenstation einer Lei-
densgeschichte, die erst 1999 nach einer
sechsstündigen Operation eine erträgli-
che Erleichterung erfahren sollte. Be-
gonnen hatte sie noch vor den Olympi-

schen Spielen von Rom 1960. Martin
Lauer reiste mit seiner Weltrekordzeit
von 13,2 Sekunden über die 110-Meter-
Hürdenstrecke an. Doch die Reizung der
Achillessehne an seinem linken Fuß war
Gift in dieser Disziplin. Der auch von
seinen amerikanischen Konkurrenten
erklärte Favorit, immerhin vom amerika-
nischen Magazin „Track & Field“ nach
seinen drei Hürden-Weltrekorden – im
Juli 1959 in Zürich innerhalb von 50 Mi-
nuten aufgestellt – zum „Weltsportler
des Jahres“ gekürt, kam nur als Vierter
ins Ziel. Tage später dann der unerwarte-
te Triumph: Als Schlussläufer der
4x100-Meter-Staffel holte er gemeinsam
mit Bernd Cullmann, Armin Hary und
Walter Mahlendorf olympisches Gold.
Rom – das waren für Lauer bereits die
zweiten Olympischen Spiele gewesen.
1956, mit gerade 19 und noch Gymnasi-
ast, wurde er in Melbourne Vierter über
110-Meter-Hürden und Fünfter im Zehn-
kampf. Ein kompletter Athlet, wie es
schien. Talentiert, hochintelligent, von
ungewöhnlicher Willensstärke.
Doch wenige Monate nach Rom be-
gann Lauer in München, wo er sein Stu-
dium zum Diplom-Ingenieur absolvier-
te, mit der Therapie seines lädierten
Beins. Nach einer vermutlich schmutzi-
gen Spritze verschlimmerte sich die Ent-
zündung, und es drohte die Amputation
seines linken Beins. Ein volles Jahr lag
er in der Münchner Klinik rechts der
Isar und später noch in Bensheim. Ohne
Unterstützung des Leichtathletik-Ver-
bandes oder einer Sporthilfe, die es da-
mals noch nicht gab, drohte der finan-
zielle Ruin. In der Not startete Lauer
sein zweites Leben. Als Buchautor und
Schlagersänger und auch hier mit Re-
kordzahlen: Sechs Millionen Mal ver-
kaufte er seine Lieder von Cowboys, Te-
xas und der letzten Rose der Prärie.
Zeitlebens litt Lauer unter den Folgen
der schmutzigen Spritze, ein Leiden, aus
dem er auch seine Kraft für seine berufli-
che Karriere schöpfte, bei Interatom in
Moitzfeld, als Verantwortlicher der Zeit-
messung bei den Spielen von München
1972 oder als Prokurist in Hamburg.
Den Sport betrachtete Lauer, längst Mit-
glied der „Hall of Fame“, jahrelang in-
tensiv und kritisch als Kolumnist. Jetzt
ist seine Stimme verstummt. „Die Hoff-
nung stirbt zuletzt“, hatte er noch vor
wenigen Wochen geschrieben.
PETER BIZER

EUROSPORT1:22 Uhr: Judo, Turnier in Brasilien,
zweiter Tag.
SPORT1:17.30 Uhr: Fußball, Legendenspiel in
Fürth: Deutschland – Italien. 20.15 Uhr: Fußball,
Regionalliga Bayern, 14. Spieltag: Wacker Burg-
hausen – Türkgücü München.

(Durch kurzfristige Absagen oder Verschiebun-
gen können sich Übertragungszeiten ändern.)

E

ine der Schwierigkeiten spra-
chen die Veranstalter der Leicht-
athletik-Weltmeisterschaft offen
an: den Ausfall der Lautsprecher im Sta-
dion. Sie bestanden geradezu darauf,
dass die Technik repariert werden muss-
te. Das Hin und Her um die Siegereh-
rung des qatarischen Volkshelden Mu-
taz Barshim war der Grund. Zunächst
zogen sie die Zeremonie spontan vor,
dann, als sie ihn aus der Pressekonfe-
renz ins inzwischen menschenleere
Khalifa-Stadion gezerrt hatten, bliesen
sie sie ab. Barshim also wurde am
nächsten Tag gefeiert. Das hatten er
und sein Publikum verdient. Sie hatten
zum ersten Mal bei dieser WM, am ach-
ten von zehn Tagen, Stimmung ent-
facht. Barshim lockte so viele Zuschau-
er ins Stadion, dass Tribünen gesperrt
wurden, selbst für Besucher, die Tickets
vorweisen konnten. Ihre Zahl gab das
OK mit 42 000 an – so viele, wie ins Sta-
dion passen, wenn nicht Tribünen ver-
hängt und große Areale Presse und
Fernsehen vorbehalten sind, wie es bei
dieser WM der Fall war. Und die ver-
schobene Siegerehrung? Die habe al-
lein mit defekten Lautsprechern zu tun.
Probleme mit Ansage – das könnte
das Motto dieser Weltmeisterschaft in
der Wüste sein. Sehenden Auges hat
der Weltverband IAAF seine wichtigste
Veranstaltung meistbietend versteigert
und ließ zu, dass Marathonläufer und
Geher in dem feindseligen Klima von
Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit ihre
Gesundheit aufs Spiel setzten. Viel-
leicht war es gut, dass es nicht einmal
gelang, für diese Wettbewerbe ein Publi-
kum zu finden. Statt in die Stadt legten
die Organisatoren die Strecken auf eine
autobahnähnliche Schnellstraße, die
Doha City gegenüber an der Bucht
liegt. Die Fernsehbilder erwiesen sich
als PR-Desaster.
„Legacy“ („Erbe“) war das Schlag-
wort gewesen, als Sebastian Coe die
Olympischen Spiele von 2012 für Lon-
don gewann und organisierte. Der
Sport, die Stadt, die Menschen – alle
sollten mit einem Erbe bedacht wer-
den. Nun ist Coe, der ehemalige Läufer,
als Präsident eines Verbandes wiederge-
wählt worden, der künftig als World
Athletics firmieren wird. Und hat, statt
Doha mehr zu hinterlassen als die Erin-
nerung an den schönen Abend mit Bar-
shim, mit einem Erbe zu tun, das er mit
dem Wechsel des Etiketts hinter sich
lassen will. Dies wird kaum gelingen,
denn die WM verkaufte Coes Vorgän-
ger Lamine Diack auch an Eugene in
Oregon. Sie wird 2021 die Kulisse bil-
den bei der Geburtstagsfeier des Unter-
nehmens Nike an dessen Gründungs-
ort. Die WM geht damit in die Heimat
des Nike Oregon Project, dessen Grün-
der und Kopf während dieser Weltmeis-
terschaft gesperrt und ausgeschlossen
wurde.
Konnte die WM wenigstens als Test-
lauf für Tokio 2020 dienen? Auch die
Vergabe der Sommerspiele nach Japan
hat Diack, durch den Verkauf eines
olympischen Stimmenpaketes, manipu-
liert. Was Straßenläufer und Geher am
Rande des Zusammenbruchs lehren
konnten, wird sich in Japan zeigen. Das
Stadion dort wird nicht, wie das in
Doha, klimatisiert sein; feuchte Hitze
wird alle Leichtathleten berühren. Das
gekühlte Stadion von Doha bot, so emp-
fanden es nicht wenige Athleten, per-
fekte Bedingungen. Gewiss ist man als
Sportler nicht für Umweltverträglich-
keit der Veranstaltung und die Men-
schenrechtslage am Ort verantwort-
lich. Aber eine Meinung, etwa zur Tech-
nologie von gestern – von brüllenden
Gasgeneratoren statt von Sonnenener-
gie gespeiste Air-Condition – und zur
Behandlung der äthiopischen und ke-
nianischen Arbeiter, die zu ihren Athle-
ten ins Stadion kamen, dürfen sie
schon haben. Vielleicht ist es gar nicht
so schlecht, wenn das Klima im August
2020 die Olympiateilnehmer bremst.
Der eine oder andere Leichtathlet
bringt sich mit Bestleistungen in Ver-
ruf, statt gefeiert zu werden. Betretenes
Schweigen herrschte auf weiten Teilen
der Pressetribüne, als etwa Olympiasie-
gerin Shaunae Miller-Uibo die 400 Me-
ter in 48,37 Sekunden hinter sich brach-
te. In diese Dimension sind in diesem
Jahrtausend lediglich zwei Frauen vor-
gestoßen. Shaunae Miller-Uibo wurde
Zweite. Die siegreiche Salwa Eid Naser,
in Nigeria geboren und für Bahrein am
Start, kam mit ihren 48,14 Sekunden
dem Erbe des Kalten Krieges und dem
Rekord von Marita Koch vom Oktober
1985 so nahe wie keine Frau zuvor. Ver-
dacht durch Nähe entsteht auch über
Zeit und Kontinente hinweg. In ange-
nehmer Erinnerung werden der Stab-
hochsprung bleiben, die lustige Mixed-
Staffel, der Zehnkampf. Allerdings
nicht so sehr, wie es sich die Zeitung
„Gulf Times“ wünscht. Das Blatt aus
Doha fasste Coes geschmeidiges Lob
für ihre WM in der Schlagzeile „the
best ever“ zusammen – Worte, die Coe
gar nicht benutzt hatte. mr.

D


rei Sprünge brauchte Europa-
meisterin Malaika Mihambo,
dann war die Ordnung des
Jahres wieder hergestellt: mit
ihr an der Spitze. Auf 7,30 Me-
ter flog sie am Sonntag bei den Leichtath-
letik-Weltmeisterschaften in Doha, 14
Zentimeter weiter als bei ihrem bis dato
weitesten Sprung, 7,16 Meter beim Ge-
winn der deutschen Meisterschaft in die-
sem Sommer in Berlin. Kurz zuckte die
Faust in die Höhe, kurz huschte ein Lä-
cheln über ihr Gesicht, und schon war sie
wieder konzentriert. Doch als die Konkur-
rentinnen sie umarmten und gratulierten,
da taute sie auf. Alle wussten: Dies war
ihr zehnter Wettkampf des Jahres, der

wichtigste. Ausgerechnet in diesem wür-
de sie nicht ihre erste Niederlage kassie-
ren. Lachend schüttelte sie ihre beiden
Hände in einer sprechenden Geste: Ein
bisschen Bammel hatte sie nach gerade
mal sechseinhalb Metern und einem un-
gültigen Versuch schon gehabt. Da kam
der Riesensatz gerade zum richtigen Zeit-
punkt. Nach einem Aussetzer ließ sie 7,09
Meter folgen und, nachdem sie sich die
Lippen nachgezogen hatte, 7,16 Meter.
Am Montagfrüh flog sie bereits nach
Bangkok, die Tasche mit der Goldmedail-
le sollte ihre Mutter heim nach Deutsch-
land bringen. „Ich nehme mir jetzt vier
Wochen Zeit, Thailand kennenzulernen“,
sagte sie. Sich Zeit für sich zu nehmen,

wieder mit dem Rucksack zu reisen, das
hatte sie unabhängig vom Ausgang dieses
Wettbewerbs geplant, das war ihr wichti-
ger, als sich jetzt zu Hause feiern zu las-
sen. Im November beginnt die Vorberei-
tung auf die Olympischen Spiele 2020 in
Tokio, das nächste große Ziel der besten
Weitspringerin der Welt.
Bis auf 18 Zentimeter hat sich die 25
Jahre alte Studentin aus Oftersheim bei
Heidelberg mit diesem siebten Sieg mit ei-
ner Weite jenseits von sieben Metern nun
dem deutschen Rekord von Heike Drechs-
ler aus dem Jahr 1988 genähert. Die Weit-
springerin aus Jena war vor und nach
dem Fall der Mauer, 1983 in Helsinki und
1993 in Stuttgart, Weltmeisterin, die bis-

lang einzige deutsche, und ist Olympiasie-
gerin von Barcelona 1992 und Sydney


  1. Silber gewann die Ukrainerin Mary-
    na Bech-Romantschuk (6,92 Meter) vor
    der Nigerianerin Ese Brume mit 6,91 Me-
    tern. Die viermalige Weltmeisterin Britt-
    ney Reese aus den Vereinigten Staaten
    scheiterte in der Qualifikation und ver-
    passte das Finale um einen Zentimeter.
    Mit 6,52 Meter stieg Mihambo in den
    Wettkampf ein, verschenkte dabei aber
    etwa einen halben Meter beim Absprung.
    Der zweite Satz war ungültig - aber dann:
    Mit der achtbesten Weite der Leichtathle-
    tik-Geschichte krönte sich Mihambo be-
    reits im dritten Durchgang zur Weltmeis-
    terin.


„Da müsste schon ein Wunder passie-
ren, dass jetzt noch was schiefgeht“, sagte
ihr Trainer Ralf Weber auf der Tribüne.
Vor dem Wettkampf hatte sie meditiert,
im Wettkampf streckte sie sich zur Ent-
spannung auf der Bahn aus. In der Qualifi-
kation hatte Malaika Mihambo 6,98 Me-
ter erreicht, obwohl sie zwanzig Zentime-
ter vor dem Balken absprang. 7,20 Meter
hatte ihr Trainer als erreichbare Weite
prognostiziert.
Mihambo hat den schnellsten Anlauf
in ihrer Disziplin und war, als Dritte der
deutschen Meisterschaft, auch über 100
Meter für die WM qualifiziert. Erst bei
den Olympischen Spielen in Tokio will
sie in beiden Wettbewerben starten und
womöglich auch einen Platz in der Staffel
einnehmen.
Während Malaika Mihambo also aus ih-
rer Dominanz im Weitsprung fast wie
selbstverständlich WM-Gold gemacht
hat, blieb für Johannes Vetter, den stärks-
ten der vier hoch gewetteten deutschen
Speerwerfer, am letzten Abend der Leicht-
athletik-Weltmeisterschaft nur Bronze.
Vetter, der Titelverteidiger, begann sei-
nen Wettbewerb ähnlich wie die Kollegin
vom Weitsprung. Sein erster Wurf ging
rechts über die Begrenzung, der zweite
auf 85,37 Meter – 1,32 Meter kürzer als
der Wurf von Anderson Peters aus Grena-
da, der vermutlich auch sich selbst über-
rascht hatte mit einem Wurf von 86,69, ei-
ner Verbesserung seiner Bestleistung um
zwei Meter. Dann allerdings stagnierte
Vetter, der in der Qualifikation noch
scheinbar mühelos 89,65 Meter erreicht
hatte – eine Weite, mit der er am Sonntag
Weltmeister geworden wäre. Auf Platz
zwei schob sich der Este Magnus Kirt mit
86,21 Meter, verletzte sich beim fünften
Wurf und konnte nicht weitermachen,
verdiente sich damit aber Silber. „Es war
ein langes Jahr für uns alle, besonders für
Thomas und Andreas, aber auch für mich
mit vielen Verletzungen“, sagte der 26
Jahre alte Vetter „Das Niveau war nicht
gut. Ich hätte Gold gewinnen können,
aber ich habe nicht Gold verloren, son-
dern Bronze gewonnen.“ Vetter war im-
mer wieder verletzt ausgefallen; mal war
es der Rücken, dann die Adduktoren, und
schließlich erlitt er eine Fußverletzung.
Dazu kam ein abgesplittertes Knorpel-
stück im Bein.
Julian Weber belegte mit 81,26 Meter
Platz sechs. Olympiasieger und Europa-
meister Thomas Röhler und der deutsche
Meister Andreas Hofmann scheiterten in
der Qualifikation. Obenauf war dagegen
Peters, der in den Vereinigten Staaten stu-
diert. „Ich habe mich mein ganzes Leben
darauf vorbereitet, Weltmeister zu wer-
den“, tönte der 21-Jährige, „und Olympia-
sieger.“

Hürden, Spikes und


die Weite der Prärie


Vom Olympiasieger zum Schlagersänger:
Die Leichtathletik-Welt trauert um Martin Lauer

Sport live im Fernsehen

Probleme


mit Ansage


Ein schöner Abend,


ein Volksheld – und sonst?


Unzufrieden:Johannes Vetter

Krönung einer perfekten Saison

Im Geiste Albertos


Konstanze Klosterhalfen ist in der Weltspitze angekommen. Das wird in ihrer
mentalen Wagenburg wichtiger genommen als die Methoden des Mentors

Zwei Leben:Martin Lauer Foto dpa

Beflügelt vom Erfolg: Malaika Mihambo zeigt nach kleinen Anfangsschwierigkeiten, was in ihr steckt. Foto Imago

Malaika Mihambo


erfüllt die Erwartungen


und wird mit 7,30


Metern Weltmeisterin


im Weitsprung. Den


Speerwerfern bleibt


nur Bronze.


Von Michael Reinsch,


Doha


Konstanze Klosterhalfen Foto EPA
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