Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.10.2019

(Dana P.) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MONTAG, 7. OKTOBER 2019·NR. 232·SEITE 3


PARIS, 6. Oktober

N


ach der tödlichen Messeratta-
cke im Hochsicherheitsbereich
der Pariser Polizeipräfektur
wird immer deutlicher, dass im
Zentrum der französischen Terrorabwehr
alle Warnmechanismen versagt haben.
„Offensichtlich hat es Sicherheitslücken
gegeben“, sagte Innenminister Chris-
tophe Castaner am Sonntag im Fernseh-
sender TF1. „Offensichtlich kam es zu
Pannen“, gestand der Minister ein. Er
habe aber nichts vertuschen wollen. „Die
Frage meines Rücktritts stellt sich nicht“,
sagte der Innenminister.
Mickael H., der 45 Jahre alte Täter, der
vier Polizisten tötete und eine weitere Be-
amtin schwer verletzte, war seinen Kolle-
gen schon seit Jahren aufgefallen. Der In-
formatikfachmann zeigte sich erfreut
über den Terroranschlag auf die Redakti-
on von „Charlie Hebdo“ im Januar 2015,
die den Auftakt einer schweren Terrorwel-
le mit bislang 250 Toten und Hunderten
Verletzten in Frankreich bildete. „Ist
recht geschehen!“, sagte er, nachdem elf
Menschen ermordet worden waren. Die
radikalisierten Brüder Saïd und Chérif
Kouachi hatten die Redaktion der Satire-
zeitung mit der Begründung angegriffen,
dass diese den islamischen Propheten Mo-
hammed „beleidigt“ habe.
„Charlie Hebdo“ hatte die Moham-
med-Karikaturen der dänischen Zeitung
„Jyllands-Posten“ nachgedruckt. Nach
dem Attentat gab es eine internationale
Welle der Solidarität mit den Opfern, de-
ren Slogan „Ich bin Charlie“ wurde. Doch
Mickael H. fühlte sich offensichtlich nicht
„Charlie“, sondern den Tätern zugehörig.
Dafür spricht auch ein Facebook-Eintrag
über die „ausufernde Islamophobie in
Frankreich“, den er mit seinen „Freun-
den“ teilte. Seine Kollegen meldeten die
verstörende Äußerung den Vorgesetzten.
Der leicht hörbehinderte Mann war seit
2003 im unteren Verwaltungsdienst be-
schäftigt, hatte als IT-Fachmann Kontakt
mit allen Polizisten des Geheimdienstes
RGPP, deren Computer er aktualisierte
und reparierte. Zu den Hauptaufgaben
der RGPP zählt es, radikalisierte Islamis-
ten und Gefährder zu überwachen.
Innenminister Castaner erläuterte am
Sonntag, der Vorfall sei nicht weiter ver-
folgt worden, weil die Kollegen Mickael
H.s nach einem Gespräch mit ihrem Vorge-
setzten auf eine formelle Meldung verzich-
tet hätten. Unklar ist, ob sie dazu gedrängt
wurden, um den Mitarbeiter nicht strafver-
setzen zu müssen. Es ist bekannt, dass die
Informatikabteilung der Polizeipräfektur
chronisch unterbesetzt ist und Beamte
sich oftmals bei wichtigen Ermittlungen
mit Computerproblemen plagen.
Der neue französische Sonderstaatsan-
walt für Terrorismusfälle, Jean-François

Ricard, bestätigte bei einer ersten Presse-
konferenz am Samstag, dass Mickael H.
nicht nur Sympathien für die islamisti-
schen Attentäter zeigte. Er soll gegenüber
weiblichen Mitarbeitern eine offen ableh-
nende Haltung eingenommen haben. So
habe er sich geweigert, seinen Kollegin-
nen die Hand zu schütteln oder – wie in
Frankreich üblich – mit Wangenküsschen
zu begrüßen. Seine eigene Frau soll er ge-
schlagen haben, wie salafistische Predi-
ger dies gutheißen. 2009 lief ein Strafver-
fahren gegen ihn wegen Gewalt in der
Ehe, sagte der Staatsanwalt.
Ricard trug schonungslos weitere Indi-
zien vor, die eine Radikalisierung doku-
mentieren. Der von der Karibikinsel Mar-
tinique stammende Mann, der vor mehr
als zehn Jahren zum Islam konvertierte,
besuchte eine als salafistische Hochburg
bekannte Moschee in seinem Wohnort
Gonesse bei Paris. Er schloss sich einem
salafistischen Netzwerk an und „stand im
Kontakt mit zwei radikalen Salafisten“,
so der Staatsanwalt. Die Worte deuten
auf ein Versagen des lokalen Geheim-
dienstes hin, der eigentlich mit der Über-
wachung der Moschee von Gonesse be-
auftragt war. Mickael H.s Wandel zum ra-
dikalen Islamisten soll nach Angaben Ri-
cards augenfällig gewesen sein. Er verän-
derte seine Kleidungsgewohnheiten und
ging nur noch in traditioneller islami-
scher Tracht in die Moschee. Auch seine
aus Marokko stammende Frau soll aus-
schließlich verschleiert die Straße betre-
ten haben.
Innenminister Castaner sagte, der Über-
tritt zum islamischen Glaube sei den Kolle-
gen bekannt gewesen, könne aber nicht
als Warnzeichen gewertet werden. Er ent-
hüllte, dass Polizeimitarbeiter mit dem
höchsten Sicherheitsclearing nur alle fünf
Jahre überprüft werden. Bei Mickael H.

stand die nächste Überprüfung erst 2020
an. So tauchte der Verdacht einer Radikali-
sierung in seiner Dienstakte nicht auf.
Dies will den Innenminister dazu bewo-
gen haben, den Terrorismusverdacht zu-
nächst zurückzuweisen. Anti-Terror-
Staatsanwalt Ricard hatte darum kämp-
fen müssen, den Fall überhaupt bearbei-
ten zu dürfen. Der Anfang Juli eingesetz-
te Sonderstaatsanwalt war direkt nach
der Messerattacke trotz wiederholter An-
fragen von den Ermittlungen ferngehal-
ten worden. Die Hintergründe für die spä-
te Einschaltung des Anti-Terror-Staatsan-
walts sind bislang unklar.
Innenminister Castaner war nach der
Messerattacke beschwichtigend aufgetre-
ten und hatte behauptet, es habe „keiner-
lei Alarmzeichen“ gegeben. „Der Mann
hat nie Auffälligkeiten gezeigt.“ Die Op-
positionsparteien Les Républicains, Parti
Socialiste und Rassemblement National
argwöhnen, dass die Riesenpanne in ei-
nem der sicherheitspolitisch sensibelsten
Bereiche der Polizeiführung vertuscht
werden sollte. Sie haben deshalb die Ein-
setzung eines parlamentarischen Untersu-
chungsausschusses verlangt.
Der sozialistische Abgeordnete Meyer
Habib äußerte, die Regierungssprecherin
habe recht, wenn sie sage, Muslime seien
nicht automatisch Terroristen. „Aber die
Realität ist, dass alle dschihadistischen
Terroristen Muslime sind“, schrieb der
Abgeordnete auf Twitter. „Sie unterwan-
dern unsere Republik bis in die Polizeiprä-
fektur“, so Habib. Ein Untersuchungsaus-
schuss müsse klären, wie dies möglich ge-
wesen sei. Premierminister Édouard Phil-
ippe versuchte, den Aufklärungseifer der
Abgeordneten zu mäßigen, indem er
selbst am Samstagabend zwei Aufklä-
rungsmissionen ankündigte. Wie der Re-
gierungschef mitteilte, werde es eine in-

terne Untersuchung in der Polizeipräfek-
tur geben und eine zweite bei den Ge-
heimdiensten. „Die Aufdeckung interner
Bedrohungen hat höchste Priorität“, sag-
te Philippe.
Doch das widerspricht den Zeugenaus-
sagen etlicher Polizisten, die dem besagten
Geheimdienst RGPP angehören. Sie gaben
zu Protokoll, dass sie unmittelbar nach der
Messerattacke von ihren Vorgesetzten un-
ter Druck gesetzt worden sei, die Auffällig-
keiten des Täters zu verschweigen. Die
Wut der Beamten ist inzwischen so groß,
dass sie vertrauliche Informationen dar-
über an die Presse weitergaben.

D


er Schock über die Messeratta-
cke wirkt nach. Der Staatsanwalt
bestätigte, dass der Täter am Tat-
morgen zwei Messer – eines mit
Metallklinge und ein kurzes Austernmes-
ser – erstand. Er habe seiner Frau den
Kauf per SMS mitgeteilt. Insgesamt tausch-
te der Täter vor seinem Angriff 33 SMS
mit seiner Ehefrau aus, die „ausschließlich
religiösen Charakter“ hatten. Indirekt ent-
hüllte der Staatsanwalt auch, dass Mickael
H. keine Metalldetektoren passieren muss-
te, um ins Innere des Hochsicherheitsbe-
reichs zu gelangen. Der Innenminister hat-
te zuvor von einem Keramikmesser gespro-
chen, mit dem der Täter die Sicherheits-
schleuse passiert habe. Im Fernsehsender
TF1 korrigierte Castaner die Angabe und
erläuterte, dass Beamte mit dem höchsten
Sicherheitsclearing – wie Mickael H. – das
Gebäude der Polizeipräfektur betreten,
ohne dass sie kontrolliert werden. Casta-
ner sagte, „vielleicht“ müsse es in dieser
Frage Nachbesserungen geben.
Innerhalb von sieben Minuten fügte
Mickael H. vier Kollegen tödliche Verlet-
zungen im Hals- und Nackenbereich zu.
Der Staatsanwalt sprach von „extremer

Gewalt“. Ein 24 Jahre alter Polizeianwär-
ter, der erst seit sechs Tagen im Dienst
war, erschoss den Täter schließlich mit
seiner Dienstwaffe, nachdem dieser
Warnrufe ignoriert hatte und mit dem
Messer auf ihn zugelaufen kam.
Vor der offiziellen Trauerfeier für die
getöteten Beamten am Dienstag in Anwe-
senheit Präsident Emmanuel Macrons be-
schäftigt die Polizisten die Frage: Wie
konnte ein verdächtiger Mitarbeiter im In-
neren der Terrorismusabwehr toleriert
werden? Die Missstände in der Terrorab-
wehr sind bereits in einem Mitte 2016 ver-
öffentlichten Untersuchungsbericht mit
dem Titel „Staatliche Mittel zur Terrorbe-
kämpfung seit Januar 2015“ dokumen-
tiert. Die Abgeordneten unter dem Vor-
sitz des früheren Untersuchungsrichters
Georges Fenech kommen darin zu dem
Schluss, dass die Überwachung von Ter-
rorverdächtigen durch Kompetenzstreitig-
keiten der diversen Sicherheitsbehörden
beeinträchtigt werde. Gravierende Män-
gel wurden in dem Untersuchungsbericht
beim hierarchischen Aufbau in der Pari-
ser Polizeipräfektur festgestellt. Ständige
Führungs- und Zuständigkeitswechsel
führten dazu, dass sensible Dossiers unbe-
arbeitet blieben.
Es bleibt zu klären, warum die Warnun-
gen im Fall Mickael H. nicht weiterverfolgt
wurden. Besonders beunruhigend für die
Polizisten ist der Umstand, dass der Infor-
matiker Zugang zu streng vertraulichen Da-
ten wie ihren Privatanschriften hatte. Pre-
mierminister Philippe kündigte eine „inter-
ne Überprüfung“ an, ob Daten nach außen
weitergegeben wurden. Im Juni 2016 er-
mordete ein Islamist ein Polizistenpaar in
ihrem Wohnhaus in Magnanville, einem
im Pariser Westen gelegenen Vorort. Der
den Geheimdiensten einschlägig bekannte
Islamist Larossi Abballa stach mit einem

Messer auf den Polizeikommandanten und
seine ebenfalls im Polizeidienst tätige Ehe-
frau ein, vor den Augen ihres gemeinsa-
men, drei Jahre alten Sohnes.
Schon damals waren die Polizisten
höchst alarmiert darüber, dass der Isla-
mist an die Privatanschrift des Paares ge-
langt war. In seiner Wohnung wurde bei
einer Hausdurchsuchung zudem eine Lis-
te mit Privatanschriften weiterer Polizis-
ten sichergestellt. Wie sich später heraus-
stellte, gehörte Abballa einem Terrornetz-
werk an, von dem die Ermittler seit 2011
Kenntnis hatten. Der Mitschnitt eines Te-
lefonats, das Anfang Februar 2011 aufge-
zeichnet wurde, enthüllt die Terroran-
schläge als Plan der Islamisten. „Wir müs-
sen mit der Arbeit anfangen“, sagte Abbal-
la. „Welche Arbeit?“, fragte sein Ge-
sprächspartner. „Das Land von den Un-
gläubigen reinigen“, sagte Abballa. „Ge-
duld, Bruder. Wir müssen zuerst ,Charlie
Hebdo‘ in die Luft jagen“, erwiderte sein
Gesprächspartner.
Im Internet tauchen seit den Pariser An-
schlägen vermehrt Videos auf, in denen Is-
lamisten zu Attacken auf Polizisten aufru-
fen. In den Aufzeichnungen sind Anleitun-
gen zu sehen, wie gewöhnliche Küchen-
messer als tödliche Waffe verwendet wer-
den können. Die Polizisten fühlen sich der
Herausforderung immer weniger gewach-
sen. Erst Mitte vergangener Woche versam-
melten sich 25 000 Beamte in Paris zu ei-
nem „Marsch der Wut“, um gegen ihre
schlechten Arbeitsbedingungen zu protes-
tieren. „Seit dem Terroranschlag in Mag-
nanville kenne ich viele Kollegen, die nie-
mals den gleichen Nachhauseweg einschla-
gen, aus Angst, ihnen könnten Islamisten
folgen“, sagte Loïc Travers von der Polizei-
gewerkschaft Alliance. „Aber der Terroran-
griff im Hochsicherheitsbereich übersteigt
alle bisherigen Angstszenarien.“

Wie konnte das geschehen?Einsatzkräfte nach der tödlichen Messerattacke am Donnerstag vor dem Pariser Polizeipräsidium; Innenminister Castaner steht wegen Ermittlungsfehlern unter Druck. Fotos Getty/EPA

ROM, 6. Oktober. Da knieten sie nun.
Aus ganz Italien waren sie am Samstag
nach Rom gereist, um ihre Kirche vor
dem „Sturz in den Abgrund“ zu bewah-
ren. Vielleicht 500 Menschen jeden Al-
ters waren es, die zum öffentlichen Gebet
auf dem Kopfsteinpflaster der Via della
Conciliazione auf die Knie fielen, den
Blick bald zum Himmel, bald zum Peters-
platz gerichtet.
Grund für den Protest war die Amazo-
nien-Synode, die am Sonntag mit einer
Papstmesse im Petersdom begonnen hat.
Wenn das Treffen von 185 Bischöfen und
Ordensoberen sowie von weiteren rund
hundert Teilnehmern – unter ihnen 39
Frauen – in drei Wochen zu Ende geht,
wird es ein Abschlusspapier geben. Eine
Synode kann keine bindenden Beschlüsse
fassen, sie ist kein Beirat und schon gar
kein Parlament. Sie legt dem Papst nur
Thesen vor, die dieser dann in ein soge-
nanntes nachsynodales Apostolisches
Schreiben gießen kann. Der Papst ent-
scheidet auch, ob und in welcher Form –
ganz oder auszugsweise – das Thesenpa-
pier veröffentlicht wird.
Formal betrachtet, handelt es sich bei
der Synode mit dem offiziellen Titel
„Amazonien: Neue Wege für die Kirche
und eine ganzheitliche Ökologie“ um
eine Veranstaltung, bei welcher Hunderte
Geistliche und einige Dutzende Laien, im
Plenum und in Arbeitsgruppen, kontro-
verse oder ausgewogene, interessante
oder langweilige Statements von jeweils
ein paar Minuten Länge abgeben. Dass
der Aufruhr vor Synodenbeginn dennoch
so groß war, hat seinen Grund in erster Li-
nie darin, dass die Bischöfe auch über die
regional begrenzte Zulassung verheirate-
ter Männer zum Priesteramt und eine

Stärkung der Rolle von Frauen in der Kir-
che beraten sollen. Papst Franziskus
selbst sprach kürzlich von der Gefahr ei-
nes Schismas, einer abermaligen Kirchen-
spaltung. „Ich habe keine Angst vor Schis-
men. Ich bete, dass sie nicht passieren,
weil es um das spirituelle Wohl von vie-
len Menschen geht“, sagte er mit Blick
auf seine konservativen Kritiker.
Umgekehrt schelten die Gegner des
Papstes diesen als Häretiker und fordern

ihn um der Einheit der Kirche willen zum
Rücktritt auf. So feindselig, ja unversöhn-
lich wie unter Franziskus haben sich An-
hänger und Gegner eines amtierenden
Papstes selten gegenübergestanden. Wäh-
rend seine Parteigänger sich vor der Syn-
ode mit ihren Hoffnungen auf eine behut-
same oder auch radikale Kirchenreform
vor allem über die kirchlichen Medienka-
näle zu Wort gemeldet hatten, waren die
Gegner des Papstes in der Öffentlichkeit

präsenter und auch lauter. Auf der Via del-
la Conciliazione sagte eine Demonstran-
tin aus Süditalien: „Wir sind entsetzt. Sie
wollen unsere Religion zu einer Mischung
mit anderen Religionen machen. Zu einer
Art religiösem Salat, bei dem die Kontu-
ren nicht mehr erkennbar sind. Das ist es
nicht, was wir von der Kirche Christi wol-
len.“ Und bei einer Veranstaltung von
Voice of the Family, einer Koalition kon-
servativer katholischer Organisationen in

den Vereinigten Staaten, bekräftigte der
Publizist Michael Voris am Freitag in Rom
die Forderung nach einem Rücktritt von
Franziskus. Als „einzigen Zweck dieser so-
genannten Amazonien-Synode“ bezeich-
nete es Voris, „das Werk jener Revolutio-
näre zu vollenden, die seit Jahrzehnten im
Namen des Sozialismus, der Befreiungs-
theologie und der Umweltbewegung die
Kirche unterwandern“. Tatsächlich spielt
der Schutz der Umwelt beziehungsweise
der Schöpfung auch bei der Amazonien-
Synode eine wesentliche Rolle – wie über-
haupt im Verkünden und Wirken von Fran-
ziskus seit dessen Papstwahl vor sechsein-
halb Jahren, vor allem in der Enzyklika
„Laudato si“ vom Juni 2015.
Wichtiger noch als die Suche nach ei-
ner „ganzheitlichen Ökologie“ für den
vom Klimawandel bedrohten Globus mit-
tels Verteidigung des Regenwaldes und
der Indigenen in Amazonien ist bei der
Synode aber die Frage, wie sich von der
Peripherie her „neue Wege für die Kir-
che“ insgesamt finden lassen. Das gilt vor
allem für die Frage, ob die sogenannten
Viri probati – bewährte verheiratete Män-
ner – zum Priesteramt zugelassen werden
sollen und welche Rolle Frauen in der
Weltkirche spielen können.
Im „Instrumentum laboris“, dem im
Juni veröffentlichten, gut hundertseitigen
Arbeitspapier zur Vorbereitung der Syn-
ode, wird eine Debatte über die Priester-
weihe verheirateter Männer und über das
Diakonat für Frauen ausdrücklich befür-
wortet. Immer wieder wird in dem Ar-
beitspapier, das auf der Grundlage von
rund 260 lokalen und regionalen Vorberei-
tungstreffen im Amazonas-Gebiet ent-
standen ist, die besondere „Realität Ama-
zoniens“ hervorgehoben: die riesige Aus-

dehnung und die extrem dünne Besied-
lung des Gebiets sowie der Mangel an
Priestern, die ihre Gemeinden manchmal
nur einmal jährlich aufsuchen können;
die Arbeit der Glaubensverkündung und
der Seelsorge, die verheiratete Männer
und Frauen – in der Regel Angehörige in-
digener Stämme – in ihren Gemeinden im
Amazonas-Gebiet seit Jahrzehnten prak-
tisch leisten; schließlich die besonders tie-
fe Form der Inkulturation des katholi-
schen Glaubens in die religiösen Überlie-
ferungen der indigenen Völker.
Aus Europa und zumal aus dem
deutschsprachigen Raum stammende
Priester und Bischöfe aus Amazonas-Staa-
ten hoffen, dass der jesuitische Papst aus
Argentinien zum wahrhaften Reformpio-
nier wird und die Anregungen der Amazo-
nas-Synode in der Kirche durchsetzt. Der
aus Vorarlberg stammende Bischof Erwin
Kräutler, der mehr als ein halbes Jahrhun-
dert lang in Amazonien tätig war und von
1980 bis 2015 die Prälatur Xingu in Brasi-
lien leitete, zeigte sich vor dem Synoden-
beginn überzeugt, dass der Papst „ganz
auf unserer Linie ist“.
Aus der Predigt des Papstes beim Eröff-
nungsgottesdienst am Sonntag ließ sich
nicht eindeutig herauslesen, ob Franzis-
kus nach der Amazonien-Synode sein no-
torisches Zögern überwindet und sich zu
tiefgreifenden Reformen entschließt. Der
Papst rief die im Petersdom versammel-
ten Bischöfe zu „wagemutiger Besonnen-
heit“ auf. Zur Klage über die Umweltzer-
störung in Amazonien und über die
„Gier“ alter und neuer Kolonialherren
fügte Franziskus den Vorwurf an seine
Gegner hinzu, mit ihrem Häresie-Vor-
wurf würden sie ihre Angst vor Verände-
rungen kaschieren.

Wenn alle Warnmechanismen versagen


In wagemutiger Besonnenheit für Amazonien


Eine Bischofssynode im Vatikan soll nicht nur über den Schutz des Regenwaldes beraten, sondern auch über Ausnahmen vom Zölibat / Von Matthias Rüb


DerTäter der


Messerattacke im


Polizeipräsidium von


Paris soll sich zum


radikalen Islamisten


gewandelt haben.


Wie konnte das


unbemerkt bleiben?


Von Michaela Wiegel


Inkulturation:Angehörige der indigenen Bevölkerung Amazoniens feiern am Sonntag eine Messe mit dem Papst. Foto AP
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