legt, weil nicht klar ist, welche weiteren
Länder sich an dem Verteilmechanis-
mus beteiligen. Darüber reden wir beim
nächsten Treffen der EU-Innen- und
-Justizminister in der kommenden Wo-
che in Luxemburg.
Sie haben in einem Interview kürzlich
von einem Viertel der aus Seenot Ge-
retteten gesprochen.
Das bezog sich auf den Anteil der Zusa-
gen, die wir in den letzten Monaten ge-
geben hatten. Aber noch mal, eine Fest-
legung dazu gibt es noch nicht. Im Übri-
gen: Hätten wir eine gemeinsame euro-
päische Asylpolitik, dann müsste
Deutschland im Falle einer Verteilung
etwa 22 Prozent der Asylbewerber auf-
nehmen. Wir haben uns also auch in
den vergangenen Monaten praktisch
nicht von dem wegbewegt, was ohnehin
unsere Verpflichtung wäre. Entschei-
dend ist, dass wir die Chance nutzen,
die sich mit der französischen und neu-
en italienischen Regierung ergibt.
Sie haben gesagt, dass Sie dabei sind,
ein europäisches Asylsystem zu schaf-
fen. Wie stellen Sie sich das vor?
Wir brauchen einen funktionierenden
und wirksamen Außengrenzschutz.
Schließlich sollen die Binnengrenzkon-
trollen, die ich jetzt noch mal für weitere
sechs Monate angeordnet habe, irgend-
wann enden. Nach meiner Vorstellung
muss auch bereits an der Außengrenze
entschieden werden, wer in andere Mit-
gliedstaaten zur Prüfung des Asylantrags
verteilt wird und wer nicht. Dabei brau-
chen wir ein rechtsstaatliches Verfahren.
Ohne ein gemeinsames Asylrecht in Eu-
ropa werden wir die Migrationsbewe-
gggungen nicht ordnen können.ungen nicht ordnen können.
Leider hapert es bei den Rückführun-
gen abgelehnter Asylbewerber. Wa-
rum kommt die Umsetzung Ihrer Ide-
en in diesem Bereich nicht voran?
Wenn wir auf das Jahr 2018 schauen,
dann stellen wir fest, dass die Zahl der
Zuwanderer bereits das zweite Jahr in
Folge gesunken ist. In den ersten acht
Monaten dieses Jahres waren wir bei
98.000 Asylerstanträgen, wieder ein
Rückgang von zehn Prozent im Ver-
gleich zum Vorjahr. Von dem im Koaliti-
onsvertrag vereinbarten Zuwande-
rungskorridor von 180.000 bis 220.
sind wir weit entfernt. Unsere Maßnah-
men wirken also. Bei der Rückführung
müssen wir aber in der Tat noch wirksa-
mer werden. Deswegen haben wir in
diesem Jahr ein großes Migrationspaket
verabschiedet. Damit schafft der Bund
die gesetzlichen Rahmenbedingungen
für konsequentere Rückführungen. Ich
bin froh, dass wir dieses gigantische Mi-
grationspaket in der Koalition auf den
Weg bringen konnten. Noch vor zehn
Jahren wäre dies undenkbar gewesen.
Das gilt insbesondere auch für das Fach-
kräftezuwanderungsgesetz. All dies ist
geschehen. Für die Umsetzung des Aus-
länderrechts und der Rückführungen
sind aber die Bundesländer verantwort-
lich. Wir unterstützen sie an vielen Stel-
len, etwa durch unsere Bundespolizei
und bei der Passersatzbeschaffung. Für
die Rückführungsbegleitung wird der
Personalpool derzeit auf 2000 Polizis-
ten erhöht. Aber ohne den Beitrag der
Länder wird es nicht gelingen.
Wir haben in Deutschland 500 Ab-
schiebehaftplätze. Sind das zu wenig?
Eindeutig ja. Wir brauchen mindestens
die doppelte Anzahl. Deshalb haben wir
mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz
die gesetzlichen Voraussetzungen ge-
schaffen, die Kapazitäten kurzfristig zu
erhöhen. Aber auch dafür sind die Län-
der zuständig. Ich habe mein Haus be-
auftragt, mir zum Jahresende eine Bi-
lanz vorzulegen. Ich möchte mir an-
schauen, wie unsere Gesetze wirken.
Seit einiger Zeit ist es über die Bal-
kanroute wieder leichter, nach
Deutschland zu kommen. Wer ist da-
für verantwortlich?
Die Balkanroute verdient meine höchs-
te Aufmerksamkeit. Deswegen bin ich ja
in die Türkei und nach Griechenland ge-
fahren, um zu erfahren, was der Grund
dafür ist. In Griechenland kommen je-
den Tag einige Hundert Menschen an.
Die Türkei bemängelt, dass die EU das
Abkommen nicht voll erfüllt. Wenn wir
helfen können, werden wir das ernst-
haft prüfen. Deswegen habe ich auf die
Reise auch Spezialisten des BAMF mit-
genommen. Ich nehme die Situation
dort sehr ernst und beschäftige mich
frühzeitig damit. Das Jahr 2015 darf sich
nicht wiederholen.
Wer trägt die Schuld, dass der Deal
mit der Türkei nicht funktioniert?
Insgesamt ist die EU-Türkei-Erklärung
ein Segen. Sie hat es ermöglicht, die Mi-
gration aus der Türkei nach Griechen-
land zu steuern, und damit viele Men-
schen vor dem Ertrinken bewahrt.
Kürzlich forderte Ihr Parteifreund
Manfred Weber, die versprochenen
sechs Milliarden Euro für die in der
Türkei lebenden vier Millionen
Flüchtlinge aufzustocken, damit An-
reize für die Überfahrt nach Grie-
Flüchtlinge aufzustocken, damit An-
reize für die Überfahrt nach Grie-
Flüchtlinge aufzustocken, damit An-
chenland sinken und die Küstenwa-
che Boote vom Ablegen abhält.
Die Türkei leistet bei der Aufnahme von
Flüchtlingen sehr viel. Das liegt auch in
unserem Interesse. Darüber hinaus ist
klar, dass wir nicht mit den Mitteln der
Vergangenheit die Zukunft bewältigen
können. Deswegen will ich die Zusam-
menarbeit mit der Türkei weiter stär-
ken. Daran orientiere ich mein Handeln.
Wie viel Geld sollte die Türkei denn
zusätzlich erhalten?
Diese Entscheidung kann ich als deut-
scher Innenminister nicht allein tref-
fen. Wir werden dazu auf europäischer
Ebene Gespräche führen müssen. Ich
werde mich dafür einsetzen, dass die
Leistung der Türkei, die in unser aller
Interesse liegt, angemessen berücksich-
tigt wird.
Anders als Deutschland schiebt die
Türkei bereits nach Syrien ab. Wann
können die Syrer in Deutschland Ih-
rer Meinung nach zurückkehren?
Wie in Afghanistan gibt es natürlich
auch in Syrien mittlerweile Regionen, in
denen man relativ sicher leben kann.
Aber: Die Gesamtlage lässt Abschiebun-
gen noch nicht zu. Ende des Jahres wer-
den wir mithilfe des Auswärtigen Amts
eine Neubewertung der Sicherheitslage
vornehmen.
Vor allem die Folgen des Jahres 2015
haben die Bevölkerung aufgewühlt.
Sie haben die rechtsextreme Szene
aufgeheizt. Wie groß ist das Problem?
Der Rechtsextremismus ist neben dem
islamistischen Terrorismus mittlerwei-
le die größte Bedrohung in unserem
Land. Die Gewaltbereitschaft in der
rechtsextremen Szene ist hoch. Ich
möchte das Bundeskriminalamt und das
Bundesamt für Verfassungsschutz des-
halb personell sowie organisatorisch
stärken und mit den notwendigen ge-
setzlichen Kompetenzen versehen.
Wichtig ist die enge Zusammenarbeit
zwischen Bund und Ländern. Außerdem
wollen wir im Netz aktiver werden: Die
Provider sollen nach meiner Vorstel-
lung künftig dem BKA Hass-Postings
aktiv mitteilen, wenn diese einen Straf-
tatbestand erfüllen. Wenn sich der Ver-
dacht bestätigt, sollen die Unterneh-
men uns die Bestandsdaten des Nutzers
mitteilen. Ich bin froh, dass die Bundes-
justizministerin meine Idee bereits auf-
gegriffen hat. Wir können den Hass im
Internet nicht einfach dulden – Hass
hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun.
Man weiß vorher nur selten, wen man
bekämpft. Umfragen zeigen, dass vie-
le Menschen der Meinung sind, man
dürfe seine Meinung nicht mehr frei
äußern. Befördern Sie das nicht mit
immer umfassenderen Eingriffen?
Nach der Ermordung von Walter Lüb-
cke habe ich mir die Kommentare im In-
ternet durchgelesen. In meiner ganzen
politischen Laufbahn habe ich noch nie
erlebt, dass in einem solchen Ausmaß
das Opfer verhöhnt und der mutmaßli-
che Täter gefeiert wird. Dagegen muss
sich ein Rechtsstaat wehren.
MARLENE GAWRISCH / WELT
WELT AM SONNTAG NR. 40 6. OKTOBER 2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT^11
Horst Seehofer, 1949 in Ingolstadt geboren, ist seit
einem guten Jahr Bundesinnenminister. Von2008 bis
2 018 war erbayerischer Ministerpräsident.Er war
von 1980 bis 2008 Abgeordneter des Deutschen
Bundestages, von 1992 bis 1998 Gesundheitsminister
und von 2005 bis 2008 Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft.
Horst Seehofer
Innenminister