Süddeutsche Zeitung - 05.10.2019

(Ron) #1

Wer erinnert sich
noch anInspector
Gadget? Der Held
dieser Zeichen-
trickserie aus den
Achtzigerjahren
ermittelte als
Polizist mit Hilfe
von Geräten, die
in seine Kleidung
eingebaut waren.
Das Fernglas kam
aus dem Hut, aus
den Schuhsohlen wurden Ski, und der
Trenchcoat ließ sich so aufblähen, dass
Gadget damit schwimmen konnte. Ganz
so fantasievoll geht es im echten Leben
zwar nicht, aberLevi’ssetzt auf die Tech-
nologie von Google, um die klassische
Jeansjacke „smarter“ zu machen. Ein
Sensor befindet sich an der Manschette
des Trucker Jackets, damit kann man
auf Wetterberichte, Musik, die Navigati-
on oder die Kontakte zugreifen, ohne
das Handy in der Hand halten zu müs-
sen. „Volle Konnektivität ohne Ablen-
kung“, so die Jeansmarke. Für Damen
und Herren in zwei Varianten ab dem
4.Oktober erhältlich.


Einfach nur schön zu sein reicht nicht
mehr. Perfektion ist inzwischen nur
mehr in „healthy beauty“ zu finden, also
der gesunden Schönheit mit einem Sprit-
zer Authentizität. Deswegen hatDior
das Model Gisele Bündchen zum Gesicht
der Kampagne seiner Hautpflegelinie
für 2020 gemacht. Bündchen sei als
„Supermodel bekannt, die reine Gesund-
heit ausstrahlt“, eine „Wellness-Ikone“.
Dass die Brasilianerin dieses Image hat,
ist allerdings kein Zufall: Bündchen
ernährt sich und ihre Familie seit länge-
rem fast ausschließlich pflanzlich.


Die Suche nach
der perfekten
Lampe kann ganz
schön anstren-
gend sein. Weil
die italienische
FirmaFoscarini
diese Arbeit ihren
Kunden künftig
gerne erleichtern
möchte, gibt es
nun das Mix&Match-System, aus dem
sich verschiedene Beleuchtungsmöglich-
keiten selbst zusammenstellen lassen.
Zur Auswahl stehen zunächst fünf ver-
schiedene Diffusoren aus mundgeblase-
nem Glas in unterschiedlichen Formen
und Gravierungen aus den Produktfami-
lien Gem, Gregg und Rituals, die aus
Studien und Experimenten zu diesem
Material entstanden sind. Danach folgt
die Entscheidung, ob es eine Boden-,
Decken-, Wand- oder Tischleuchte sein
soll und welche Farbe der Fuß der Lam-
pe haben darf: Gold, Anthrazit oder
Weiß. Es werde Licht! (foscarini.com)


Pilzsammler müssen ein Händchen
haben, aber auch ein profundes Wissen,
was die Bestimmung ihrer Fundstücke
angeht. Und viele von ihnen kennen die
besten Plätze zum Pilzesuchen schon
seit vielen Jahren; sie kehren immer
wieder zu den versteckten Orten zurück,
wo die Bedingungen günstig sind und
nicht jeder Waldbesucher sofort mit der
Nase draufstößt. Das BuchInto the
Woods. Pilze suchen und Glück finden
von Moritz Schmid (Prestel Verlag) ist
eine Hommage auf das Erlebnis im
Wald, das Sammler immer wieder mit
Stolz und Zufriedenheit erfüllt. Mit vie-
len schönen Fotos von einmaligen Fund-
stellen, persönlichen Berichten von
Sammlern und Rezepten für Steinpilz-
butter, Pfifferlinge auf Grillgurke oder
Krause Glucke im Tempuramantel. Ein
Hingucker für heitere Herbsttage.


Die Mode schielt ab und zu gerne auf die
Straße und guckt, was sich die Leute
ganz ohne ihr Zutun so um den Körper
wickeln. Auf eines dieser Accessoires hat
es nun Miuccia Prada abgesehen: auf die
Art Armbänder, die man für ein Festival
oder ein Konzert um das Handgelenk
gebunden bekommt. Für die Frühling-
/Sommer-Präsentation vonMiu Miuin
Paris trugen sämtliche Models ein sol-
ches Band. Bleibt nur zu hoffen, dass
diese Bänder zwischendurch auch mal
abgelegt werden im Gegensatz zu den
Festival-Bändern, die als Souvenir gern
auch jahrelang getragen werden. Denn
eine Studie der University of Surrey von
2015 zeigte: Ein zwei Jahre altes Arm-
band kann über zwanzig Mal mehr Bak-
terien aufweisen als normale Straßenkla-
motten. Und Staphylokokken und Mikro-
kokken passen halt so gar nicht zu den
Entwürfen von Miu Miu.


Kuscheln und die Welt retten? Das ha-
ben Yoko Ono und John Lennon ja schon
1969 mit ihrem Bed-in zeigen wollen.
Nun nimmt das Hamburger Start-up
Kusheleinen neuen Anlauf. Es rühmt
sich, die erste Textilmarke zu sein, die
garantiert flauschig ist – und gut zur
Umwelt, weil sie klima- und ressourcen-
positiv ist. Die Handtücher bestehen aus
70 Prozent Biobaumwolle und 30 Pro-
zent Buchenholzfasern aus nachhalti-
gem Anbau. Durch den Materialmix
ergebe sich eine Ersparnis von 90 Pro-
zent Frischwasser und 44 Prozent an
CO2-Emissionen. Zudem pflanzt Kushel
pro verkauftem Handtuch zwei Bäume.
Das alles ist gut fürs Image – und für
Kunden, die sich Gedanken über ihren
Konsum machen.


claudia fromme, anne goebel,
julia rothhaas


von anne goebel

A


ls sich Sting und seine Ehefrau
Trudie Styler vor einem Jahr
von ihrem Apartment über dem
Central Park trennten, musste
leider auch das Prunkstück der
bescheidenen Bleibe weichen. Fensterfron-
ten auf zwei Seiten der Wohnung boten
freien Blick über Manhattan, dazwischen
entfaltete sich an der hinteren Wand ein
fast 20 Meter langer Paravent voller imagi-
närer Treppen, Gänge und Winkel. Sozusa-
gen eine zusätzliche Aussicht in ein Paral-
leluniversum. Für ihr neues Domizil war
das Kunstobjekt etwas zu groß. Man ließ
es beim Auktionshaus Phillips verstei-
gern, Erlös: 507 000 Dollar. Für einen ech-
ten Fornasetti kein ungewöhnlicher Preis.
Die Stellwand mit dem poetischen Titel
„La stanza metafisica“, also „Metaphysi-
sches Zimmer“ (1958) ist eines der bekann-
testen Werke von Piero Fornasetti, Maler,
Gestalter, Kunsthandwerker und irgend-
wie nicht zu fassendes Allroundgenie aus
Mailand. Mit seinen Entwürfen, die grafi-
sche Strenge und surreale Bilderwelten
auf einprägsame Weise verbinden, zählt
der Italiener zu den bedeutendsten Desig-
nern seines Landes. Das sieht man an den
Summen, die für seine Werke gezahlt wer-
den, bei Auktionen oder in den Interior-Ab-
teilungen von Läden wie L’Eclaireur in Pa-
ris. Ob zierliche Kommode oder wenigs-
tens eine Duftkerze: Ein Fornasetti in der
Wohnung gilt als Zeichen für erlesenen Ge-
schmack, das wissen nicht nur Sting oder
Cara Delevigne, das wussten schon Max
Ernst und Henry Miller.

Heute führt Fornasettis Sohn Barnaba
die Geschäfte der Firma. Und die Frage ist:
Wie verwaltet man das Erbe eines Exzentri-
kers, Fantasten, manisch Kreativen, der
bis zu seinem Tod 1988 mehr als
11000 Werke entworfen hat?
Mailand, Via Antonio Bazzini, Besuch
im Haus von Barnaba Fornasetti. Eine
graue Fassade, auf dem Klingelschild
steht passenderweiseImmaginazione srl,
Phantasie GmbH. Nach einem bewachse-
nen Innenhof mit Bananenstaude und Old-
timer geht es innen über eine Metalltreppe
in den ersten Stock. Fornasetti, 69, trägt
karierte Weste zu einem hauseigenem Kra-
watten-Entwurf mit blitzblauem Schmet-
terling und sitzt sehr aufrecht an einem
dunklen Holztisch. Er stellt höflich seine
schlafende Katze Smog vor, die auf dem
Tisch liegt, bietet Ingwerstäbchen aus ei-
ner leicht zerdrückten Papierschachtel an
und lächelt milde. Man kann es nicht an-
ders sagen: Die Szenerie hat etwas so Skur-
riles und gleichzeitig unbestimmt Melan-
cholisches – sie ist einfach Fornasettihaft.
Nicht ganz von dieser Welt.
Denn fest steht: Die Objekte mit ihrer
Bildlastigkeit, dem spielerischen Dekor
sind nicht jedermanns Geschmack. Son-
dern ein eigener, vom Zeitgeist abgekap-
selter, sofort wiedererkennbarer Mikro-
kosmos. Dessen Bestandteile sich gerade
ziemlich gut verkaufen. Für Ausstellun-
gen begehrt sind wie nie zuvor. Deshalb wä-
re es auch ein Fehler, Barnaba Fornasetti
für einen Traumtänzer zu halten. „Fare im-
presa“, also Geschäfte tätigen ist eine Lieb-
lingsvokabel des Italieners, wenn er über
seinen dominanten Vater spricht, über ju-
gendliche Fehltritte oder den Markt für Lu-
xusgüter. Er hat die Firma in den Achtzi-
gern entstaubt, sich auf der Suche nach
neuen Käuferschichten an nicht immer ge-
glückten Kooperationen versucht. Von De-
sign als abgehobenem Zierrat für die Vitri-
ne hält er bis heute nichts.
„Nehmen Sie unsere lackierten Oberflä-
chen, die sich wunderschön anfühlen.
Oder der Kontrast zwischen Wolle und Sei-
de bei den Teppichen – Design ist zum An-

fassen da“, erklärt der Unternehmer. Die
Regel gilt auch für Besucher, die beim
Rundgang durch das labyrinthartige
Wohnhaus, in dem er aufwuchs, sofort die
Orientierung verlieren bei so viel Original
Fornasetti an den Wänden, auf dem Bo-
den, in Nischen und Durchgängen. Ständi-
ge Begleiterin der kleinen Führung: Die ge-

heimnisvolle Frau, deren Antlitz zahllose
Entwürfe schmückt, vom Vasenset bis
zum pastellig kolorierten Hocker Ortensia,
für den man draußen in der echten Welt ei-
nen stolzen Betrag hinlegen muss.
1300Dollar zum Beispiel bei Barneys New
York. Dass sich Interior-Hersteller an Ko-

pien des Fornasetti-Style probieren, ent-
lockt dem Padrone nicht mehr als einen
Seufzer. „Meine Güte, die kommen nicht
weit. Wer unsere Philosophie versteht, die
Qualität des Materials, die Ironie und das
Zarte in unseren Entwürfen, wird so etwas
nicht interessant finden.“
Durchaus interessant für das Unterneh-
men Fornasetti ist, dass der nordische Pu-
rismus als Einrichtungstrend gerade an Be-
liebtheit verliert. Das bringt die Kunst der
Ausschmückung plötzlich wieder ins Spiel


  • und damit alle Betriebe, die sich darauf
    mit Niveau verstehen. Der britische Shoo-
    tingstar Luke Edward Hall etwa, der mit Fo-
    tos seiner eklektizistisch ausstaffierten
    Privatzimmer bekannt wurde und inzwi-
    schen als ernsthafter Inneneinrichter gilt,
    nennt Piero Fornasetti sein Vorbild. Sohn
    Barnaba kann zwar als Gestalter die Begrif-
    fe Maximalismus und Minimalismus


nicht leiden. „Wir machendecorazione
und basta. Ich mag solche Kategorien
nicht.“ Die Grundtendenz zu mehr Orna-
mentik kommt ihm aber nur gelegen.
Wer heute etwas aus einer aktuellen Kol-
lektion von Fornasetti kauft, bekommt im-
mer die klassische Handschrift des Grün-
ders mitgeliefert. Barnaba, der 1982 in den
Betrieb des Vaters eintrat und ihn nach des-
sen Tod übernahm, geht bei jeder seiner
Ideen vom väterlichen Archiv aus: Tausen-
de Papierskizzen, Zeichnungen, handge-
fertigte Druckschablonen, in den Arbeits-
räumen des Designteams weihevoll aufbe-
wahrt in hölzernen Schubladen. Ikonische
Motive des Hauses wie das Gesicht der
Operndiva Lina Cavalieri – Piero war regel-
recht besessen von ihrer großäugigen An-
mut – werden immer wieder abgewandelt,
zerlegt, neu kombiniert. Auf Teekannen,
glänzend lackierte Konsolen, handge-
knüpfte Teppiche gedruckt. „Reinvention
by Barnaba Fornasetti“ heißt das dann im
Werksverzeichnis.

So harmonisch das klingt, so schön itali-
enisch nach Gleichklang undgrande famig-
lia: Am Beginn der Zusammenarbeit ging
es darum, die Firma aus einer Sackgasse
zu führen. Piero Fornasetti hatte sich im-
mer als genialen Querkopf gesehen, ein
Dandy der Mailänder Kunstszene mit Nei-
gung zum Surrealen, Schrägen, als das
längst nicht mehr angesagt war. Darum
scherte er sich nicht. Gemeinsam mit dem
modernistischen Architekten Gio Ponti bil-
dete er eine Art kreatives Zauberduo der
italienischen Wirtschaftswunderjahre.
Spitzbeinige Mid-Century-Schränkchen,
verziert mit historischen Stichen, ironisch
auf Gebrauchsgegenstände gedrucktes
Meeresgetier – in den Siebzigern wirkte
das auf einmal abgestanden. Dann kam
der Sohn und machte aus Fornasetti eine
Marke. „Tema e Variazioni“, die inzwi-
schen legendäre Wandteller-Serie rund
um die schöne Lina, wird zum Erkennungs-
zeichen und bleibt es bis heute.
Marke ist natürlich auch so ein Wort,
das Barnaba Fornasetti nicht gefällt.
Klingt zu glatt, zu konformistisch. „Eine
Luxusmarke, was soll das sein?“ Ein An-
flug von Poltern in der Stimme macht sich
bemerkbar, die Katze Smoke richtet ein
Ohr auf. „Wenn ich schon das Wort höre.
Was die sogenannten Luxusmarken ma-
chen, ist in Wahrheit kommerziell.“ Dage-
gen setze er auf individuelle Fertigung.
Porzellan wird von Hand bemalt. Nur ma-
nuelle Siebdruckverfahren kommen in
den eigenen Werkstätten zum Einsatz. Ein
Aufwand, der sich lohnt. Das Ergebnis,
zum Beispiel in Form des Schranks Nottur-
no mit düsterem Spielkarten-Muster, ein
Lieblingsmotiv des Vaters, ist Fans etliche
tausend Euro wert.
Offenbar trifft das Wunderliche, die
Flucht in ein Traumreich genau den Nerv
unserer Zeit. Das zeigt nicht nur der kom-
merzielle Erfolg. In New York und Paris lie-
fen große Fornasetti-Schauen. Gerade
zeigt das Artipelag Museum in Stockholm
eine Werkschau, Venedig präsentiert „The
Rule Of Dreams“ als makabres Kuriositä-
ten-Kabinett im Palazzo Fondaco Dei Tede-
schi. „Das Spielerische ist in schwierigen
Zeiten extrem wichtig“, glaubt Fornasetti.
„Die Fantasie, die Schönheit tun der
menschlichen Seele gut.“
Was für ein Mensch sein Vater war, des-
sen Geist bis heute spürbar ist im Familien-
haus an der Via Bazzini? Die Antwort
kommt ohne Zögern und ist typisch für ei-
nenMilanese, denen man nachsagt, dass
sie zu gleichen Teilen nüchtern und begeis-
terungsfähig sind. „Er war autoritär“, sagt
Barnaba Fornasetti. „Er hat seine Mitarbei-
ter schlecht behandelt. Er war nie ein Lin-
ker wie ich. Aber ich respektiere ihn und
schätze seine wundervolle Arbeit.“

Parallel-Universum:
Das Designvon
Fornasetti entführt in
eine andere Welt.
Ganz oben ein Saal der
aktuellen Ausstellung
in Stockholm. Links
Barnaba Fornasetti,
Geschäftsführer der
Firma und Sohn des
Gründers. Daneben der
Stuhl Lux Gstaad von
2009 und ein Wandtel-
ler der ikonischen Serie
„Tema e Variazioni“.
FOTOS: MATTEO DE FINA,
COURTESY FORNASETTI

„Die Fantasie, die Schönheit
tun dermenschlichen
Seele gut“, sagt Fornasetti

Träum was Schönes


Surrealistische Wohnwelten für Design-Fans:


Ein Besuch bei Fornasetti in Mailand,


wo der Geist des Gründers bis heute lebendig ist


60 STIL Samstag/Sonntag, 5./6. Oktober 2019, Nr. 230DEFGH


Der Chef trägt eine Krawatte
mit blauem Schmetterling und
stellt die schlafende Katze vor

Jede Vorlage zu einem neuen
Entwurf speist sich aus dem
riesigen Archiv des Vaters

FOTOS: RYAN LOWRY, MASSIMO GARDONE

KURZ
GESICHTET
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