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E
swarUrlaubimdigitalenZeitalter,undich
wolltedastun,wasmanheuteimUrlaubso
tut –eine besonders schöne Landschafts-
aufnahme posten.Unddas war in diesem
Fall: die SpreeinB eeskowbei Sonnenaufgang, ein
Bild,dasichnichteinmalselbergemachthatte,eine
Urheberrechtsverletzungsozusagen,genauergesagt:
eineversuchte.DennichließdasBilddanndoch,wo
eswar :inmeinemHandyspeicher.
DerWetterberichthatteeinesderletztenwarmen
Wochenenden angekündigt, ich wollte mich noch
einmalaufdie„MärkischeUmfahrt“begeben,diein
Paddelmagazinen als einer der schönstenWasser-
wanderwegeDeutschlandsgepriesenwirdundgleich
hinterderBerlinerStadtgrenzebeginnt.
Es gibt diesenSatz, mit dem früher fürBerlin ge-
worben wurde:DieStadt habe nur einen einzigen
Fehler–sieliegenichtamMeer.BerlinhateinigeFeh-
ler,aber Gewässermangel zählt nicht dazu.Mehr
WasserkannmaneigentlichnuraufeinerInselerwar-
ten.Eigentlichkönntemanauchdie„Umfahrt“schon
inBerlinbeginnen,aberdaswürdenichtzumNamen
passen. Mitdem Namen haben dieBrandenburger
siefürsichreklamiert.
Die„Märkische“ führtüber Spreeund Dahme,
über dieDahme-Heideseen, durch denSpreewald
unddasOdervorland,vorbeiamSchwielochseeund
über Krumme und Müggelspree,179 bestens mit
Paddler-RastplätzenausgestatteteWasserki lometer.
Eine Reise,die einenruhigerenBlick auf dieses
Landerlaubt,vondemvorallemals Problemberich-
tetwird.DasblaueProblem.
Ichhattenichtdarangedacht,dassamTag,bevor
ichdiesesSonnenaufgangsfotopostenwollte,Wahlin
Brandenburgwar.ObwohlichdochJournalistinbin.
AberichwurdevonFacebookdaranerinnert,unddas
erinnertemichwiederum andassehrähnlicheBild,
dasichimMaivongenaudiesemOrtgepostethatte,
am Tagnach derKommunalwahl.EinSonnenauf-
gangnachderWahlin Brandenburg–hach,ichhatte
verg essen,andiePolitikzudenken!
DieWeltkommentierungsstimme
in meinemKopf hatte geschlafen,
weil der Sonnenaufgang so schön
war.
Undmitdemwollteichdastun,
was mir leider inFleisch undBlut
übergega ngenwa r:meinLebenauf
Facebook zu präsentieren.Zu ze i-
gen,an welchwunderschönenOr-
tenichmichdochaufhielt,mirvon
meinenFollowern bestätigen las-
sen,wieglücklichichdochwar.Die
dannnatürlichsofortdieWeltnach
Bildernabscannten, mit denen sie
sichselbsteinesolcheBestät igung
holten.
Vielleichtverg isstmanso,nach-
zufragen, wie es wirklich um das
Glückbestelltist.
ImMaialsohatteichdiesesSonnenaufgang-über-
Spree-Bild gepostet,versehen mit demNamen des
Ortes: Beeskow, LandkreisOder-Spree .Und wartete
auf die Daumen .Statt dessen kamenKommentare:
„Bist du da gerade? 18Proz ent –man kann sich ei-
gentlichgarnichtmehrnachBrandenburgtrauen!“
„Ich schäme mich jetzt schon,wenn ich insAus-
landfahre!“
„Eigentlichsolltemansicheinbringendort,politi-
sche Bildung, Demokratie-Training. Vielleicht biete
ichdemnächstmaleinenWorkshopan.“
Ichsaß mit baumelndenBeinen auf demBoots-
steg desKanusportvereinsBeeskowSpree ,scrollte
durch dieKommentare, die mich in ihrer Überheb-
lichkeitärgerten,unddachtetrotzig,dassichmirdie
Schönheit nicht kaputt machen lassen will.EinTeil
vonmir wünschte sich in das Schwarzwalddorf, in
demichlangezuHausewar.Dortwurdedereinzige
AfD-Wähler so oft angesprochen, dass er bei der
nächstenWahlwiederCDUwählte.Ichdachteanden
Besitzer derörtlichenMetallfabrik,dersagte:Ichsehe
hierkeineheileWelt.AberwerhiereinenbrauenAuf-
marschveranstalten wollte,stünde allein da.Und
dannerzählteervoneinemLeistungsethos,derauch
etwas Integratives habe.Man frage:Kann derjenige
Sport? Kann der Handwerken?Da spie le es keine
Rolle,obdieElternTürkenseienoderarbeitslos.Das
Einzige,was die Leute imBadischen nicht akzeptie-
renwürden,sei,sichaufdiefauleHautzulegen.
EinSatz, der nachWirtschaftswunder klang und
derIdentität,diemansichnachdemKriegzunächst
imWesten daraus gebastelt hatte–und die meinem
mitAlexanderMitscherlichsGedankenbefülltenGe-
hirnfrüher äußerst suspekt war,das dieseIdentität
mitGefühlsstarreundVerdrängungverband.
UndichdachteandieEntdeckerlust,diemichda-
mals,alssichdieMaueröffnete,hierhergeführthatte,
dannnachMecklenburg,Almaty,Moskau,Minsk,No-
wosibirsk,dabeidenOstenwieeinForscherbetrach-
tend,deretwassucht,vondemernichtsogenausa-
genkann,was.IchwollteeineeigeneVorstellungvon
derTerraincognitahinterdemEisernen Vorhang,die
daheim als düster und irgendwie auf denHund ge-
kommendargestelltwurde.
30Jahrewardie Maueröffnungnunher,undnach
dem Sonnenaufgang-nach-Kommunalwahl-Bild
überfiel mich eine Angst, die dasGegenteil vonder
EntdeckerlustnachderWendewar :sichplötzlichzu
einerPositionierunggezwungenzusehen.
„Sag mir wo du stehst/ undwelchen Wegdu
gehst“.Als mireinBekannterdasLiedvonOktober-
klub Anfang der 90er auf eineKassette überspielte,
hatteichessofortine inDJ-Seteingespeist,undder
ganzeClubin Freiburghattegelacht.
Jetzt,andiesemMorgenaufderMärkischenUm-
fahrt, erwachte ichvomFlügelschlag der Gänse,der
wieeinPfeifenindenLüftenklingt,indassicheinan-
deresPfeifenmischte.
Am Bootssteg stand derBrandenburger,der am
Abend zuvor mit seinemJack-Russell-Terrier in ei-
nem Mietkajak angelandet war.Schauspieler sei er
gewesen, habe sich nach derWende im Filmbetrieb
nichtlangewohlgefühlt,„dieseganzeSelbstinszenie-
rung, das Netzwerken, diesesBewunderungsgeheu-
chel und dannAus-den-Augen-aus-dem-Sinn, diese
ständigeSelbstbeobachtung.“Heute arbeitet er als
ErzieherinSeelow.
Er wollte nichtweggehen, nicht,weil er nicht in
denWesten wolle.Erh abe nur endlich eine bezahl-
bareWohnung gefunden in einemHaus mit guter
Nachbarschaft.Jeden Sommerabend säßen sie ge-
meinsamhinterdemHaus,sow asgebeernichtleicht
auf,besondersnichtindiesenZeiten.
„WasfürZeiten?“
„Naja,indenenmansichsoalleinefühlt.“
„Politisch?“
Früher sei er in der Schule komisch angeschaut
worden,weil seine Elternind er Kirche aktiv waren,
heute erzähle er keinem, dass er noch in derKirche
sei,weileroftdasGefühlgehabthabe,fürnaivgehal-
tenzu werden–einGefühl,dasssichbeiihmnachder
Maueröffnungeingeschlichenhabe,weilersichnicht
so lässig präsentiertund nichtverstanden habe,wie
dasging,wasscheinbaralletaten:netzwerken.
ErhieltseiniPhonehochundschosseinBild.Ich
sah,dassesdasgleichewarwiedas,wasich Monate
zuvor gemacht hatte,vielleicht ein bisschen besser
aufgenommen.Ichbatihn,esmirzuschicken–und
dachte darüber nach, was wohl passieren würde,
wennichesandiesemMorgennachderWahlposten
würde ,woh ier,imWahlkreis 30, ein melancholisch
dreinblickenderRentner das AfD-Direktmandat ge-
holthatte.
„IstdocheinSonnenaufgang“,sagtederBranden-
burger .„Sonnenaufgänge ziehen immer.“Unddann
ließerseinenHundeinePirouetteaufdenHinterbei-
nen machen.DeranderePaddler ausNordrhein-
Westfalen,derkurznachihmaufderCampingwiese
angelandet war,lachte.Erarbeitet in der Logistik-
brancheundhattedasKajakaufseinemAutobisnach
Erknertransportiert,vonwoa user hergepaddeltwar.
„HabtihrdieWahlergebnissegesehen?“,fragteer.
DerBrandenburgerdeuteteaufdieindiesesThea-
terlichtgetauchteSpreeundsagte:Soeineunglaubli-
che Stille!„Deswegen bin ich hergekommen“, sagte
derWestfale.„SowasgibtesnurnochimOsten.“
„AbermitEssengehenist’s hierschwierig“,schal-
teteichmichein.„SiekennensicherdasLiedvonRai-
naldGrebe.“
„DukennstwohldasKinonochnicht!“,sagteder
Brandenburger.„Da gibt es die bestenHamburger
weitundbreit.“
Wirbeschlossen,denTaggemeinsaminBeeskow
zu verbringen, statt allein durch denRegen zu pad-
deln,dennderHimmelhattesichverdunkelt.
ImKinostandenzweiMännermitRunenaufdem
SchädelundbestelltenEisvonei nerBeeskowerMa-
nufaktur,einemjungenUnternehmen,dasinderZei-
tunggefeiertwird.
DieStadt hatte sichverändertind en letztenJah-
ren, die Fassaden derAltstadt waren saniert, am
Marktplatz standen Bänke.Eine Frau erzählte,die
StadthabejetzteinenKämmererausdemWesten ,die
Haushaltslagehabesichverbessert.Aberum18Uhr
seihier alles tot, dieGastronomenfänden keine Ar-
beitskräftemehr,dereinzigeOrt,wosichJugendliche
treffenkönnten,seidasKino.
„Na, ihr Hübschen?“,rief der Mann hinter der
Theke zu denGlatzen hinüber und schwenkte iro-
nischdieHüften.DieGlatzenlachtenundhobendie
HandzumPioniergruß,„immerbereit!“.
An einemTischimHof sch wärmten zwei ältere
Frauen mitFlipflops vomEinkauf imBioladen, in
dem einBaueraus einemNachbardor fhinter der
Theke stand.DerRentner amNebentisch rauchte
Pfeife und las dieFAZ.„Biste wieder da mit deinem
Hund?“, fragte die zweiteBedienun g, dieuns drei
Spreewald-Burger servierte.„Hey, dass du dich erin-
nerst...wardochzuletztvorzweiJahrenhier!“,wun-
derte sich derBrandenburger.„Na,soe in Gespann
wie euchvergisst man doch nicht!“, gab sie zurück,
lachte,stelltedemHundeine KugelVanilleeishinund
sagte: „Hier,mein Süßer!Damit ihr euch auch an
micherinnert!“
Gleich geht’sweiter:Warten in der
Schleuse. MERLE HILBK
Die Autorin bei der Streckenplanung
mit einem Mit-Paddler.
Schönheit am Rande: Mohnblumenfeld
im Oderbruch.
AmnächstenMorgenpaddelteichalleinweiterin
Richtung Schwielochsee.AmU fer war einTschilpen
zuhören,alswürdeichaufeineVolierezusteuern.Die
Ufer der Spreesind schilfbestanden, als einMotor-
bootvorüberdröhnte,flogenHunderte Stareaufund
stiegenalsdunkleWolkeindenHimmel.
Anden WochenendensindjetztvieleMotorboote
aufderSpreeunterwegs,vieleDörferhabenMarinas
gebaut,inderHoffnung,sodielokaleWirtschaftan-
zukurbeln.EinKanuvermi eter erzählte,dasssie die
Familien vertri ebenhätten,diefrüherbeiihmKanus
gemietethättenunddiesichnunumdieKindersorg-
ten.Auchdie Restaurants,MuseenundHotelshätten
kaumetwasvondenMotorboot-Fahrern.„Diekaufen
zuBeginnderFahrtbeiAl dieinundgrillendannauf
ihren Booten.“
Kurz vorder SeilzugfähreLeißnitz wurde ichvon
einerY achtüberholt,diemaneherinMonacovero r-
tethätte.Der Kapitän bremste nicht einmal abund
sahregungslosmitan,wieichindieSeerosenabge-
drängtwurdeunddortbeinahekenterte.
EinpaarKilometer weitersahich,dassDutzende
solcherYachtenandenMarinasamU ferdesSchwie-
lochseesankerten.
In Leißnitz wurde 1996 eineHandseilzugfährein
Betriebgenommen,dienundieRadfahrer- Ausflugs-
zieleLeißnitzundRanzigverbindet,eineMaßnahme
derTourismusförderung.DerFährmannhateinbrei-
tes Kreuz und das,was sich inBerlin „Berliner
Schnauze“ nennt.Er pampte zweiMotorbootfahrer
an,dietrotzWarnsignalüberdasnochgespannteKa-
belfuhren:„HamsedieRegelnetwaabgeschafftinder
neuen Zeit, wa?“DieMotor bootfahrer zuckten die
Schulternund setzten ihrenKurs fort. Da schalteten
sich dieFahrradfahrer auf der Fähreein. „KeinRe-
spektmehr vornichts!“, schimpfte einer laut.„Inei-
nem anderen Land hätten sie denen den Führer-
scheinabgenommen“,einzweiter.DiespontaneSoli-
darisierungberuhigtedenFährmann.Mitdreikräfti-
genZügenzogerd ieFähr eanL andundzündetesich
eineZigarettean.
EinenKilometerweiter,amU ferdes GlowerSees,
standendreiMännerinrussischenArmeeuniformen
voreinem Armeefahrzeug mit gigantischenReifen,
das,wennmichmeineErinnerungnichttäuscht,ein
Kamazwar.
Ichmusstemal,undeswarkeinandererPlatzzum
AnlandeninSicht.DieMännermarschiertenmirmit
bedrohlicherMieneentgegen.Ichversuchte,dieLage
mit einem Scherzzue ntspannen undrief auf Rus-
sisch:„SlavaKrasnajaArmija!“EslebedieRoteArmee!
Undhörte ,wie der eineUniformierte den anderen
fragte:„Washatsiegesagt?“Forschriefich:„Ihrseidja
gar keine echtenRussen!“ DerFrager näherte sich
meinemBootundsagtemitunbewegterMiene:„Wir
sinddie russischeWehrsportgruppe!“
„Na, Gottseidank,ichdachteschon,ihrwärtAme-
rikaner!“
Da lachten sie,und ich setzte keck nach: „Aber
wiesosprechtihrdannkeinRussisch?“
„Allesvergessen.“
„AberdieRussenhabtihrnichtvergessen?“
„Aufdenenhackendochauchallerum.“
„UnddeswegenspieltihrhierKrieg?“
„Wir haben dasGrundstück offiziell gepachtet.
Wasdagegen?“
IchignoriertedenHarndrangundpaddelterück-
wärtsausderBucht.Dasahich,wieeinUniformierter
vordemKamazknieteundeinEinhornaufblies,ein
riesiges Schwimmtier.Die russische Armee ging ba-
den.
Westlich vomSchwielochsee zweigt die Krumme
Spreeab,diesichinweitenBögendurcheinenhellen
Laubwaldschlängelt.
KurzhinterderBrückebeiTrebatsc hstehenVillen
amUfer,derenArchitekturandierussischenNeurei-
chenviertel amMoskauer Stadtran derinnerte ,klot-
zigeKästenmitgrünglänzendenDächern,rundenEr-
kernundStegen,andenenjeweilseinMotorboot ver-
täut war. DieJalousien waren heruntergelassen.Die
Besitzer kämen höchstens mal amWochenende,er-
zählte einMann, der seinenHolzkahn an denVillen
vorbeiruderte.„Hier wird gebaut und gebaut, die
Grundstückspreisesindsogestiegen,dasssichkaum
einerausdemDorfdasleistenkann.DieBürgermeis-
terdenkenimmernoch,dassesdarumginge,Kapit al
anzulocken.Aberwasb ringtKapital,wenndieLeute
mitdemOrtnichtsz utunhaben?DiewolleneinWas-
sergrundstückundihreRuhe.“
Er unterstützeeine Initiative, die sich dafür ein-
setze,dasswenigstenseinStreifenam Wasserfürdie
Allgemeinheit zugänglich bleibe.Dortsei deralte
Treidelweg,aufdemerfrüherspazierengega ngensei
–oderzum Baden. Dochengagierthätte nsich nur
zweiLeute. KaumeinerhabegeholfenbeimAufstel-
lenderHolzkreuze,dieaussehenwiedieX-tausend-
mal-quer-KreuzeimWendland.DieKreuzevonTre-
batsch sind blau und tragen denSlogan:„Ufer frei!“
DieVerwaltunghabeihnenmitgeteilt,dassmanerst
einmalprüfenmüsse,obe inöffentlichesInteressean
demWegbestehe.AußerdemseiderWegmitInstan d-
haltungskostenverbunden.
Als der Trebatscher erfuhr,dass ich ausBerlin
komme,sagte er :„Da wärendie Leut ebesti mmtauf
die Straße gegangen!“Unddann, als ich ihm schon
den Rücken zukehrte: „DerMarx war nicht dumm.
Derhatsowasvorausgesehen.“
DasGeldunddieGroßspurigkeit,dieUngleichheit
unddas Nichte rnstgenommenfühlen–daswarendie
Vokabeln,dieinfastallenGesprächenaufdieserTour
fielen.Vielleicht lag das daran, dass ich allein unter-
wegswar ,eineschmaleFrauineinemschmalenBoot.
VielleichtstrahlteichauchdieseEinsamkeitaus.
Über dieWahl redete niemand.Nichteinmal im
SpreewaldhotelMatschke inWerder,ams chönsten
Abschnitt derSpree, wo sich eineGruppe Männer
lautstarkzuprostetemitdemSpruch:„AufdieMerkel,
dieunsdaseingebrockthat!“
Ichfragte,obdasironischgemeintsei.
Wo ich denn entlaufen sei, fragten sie.Immerhin
fragen sie nicht:Kommst du aus demWesten? Das
warseitderSachemitdemBildsodieAngst,dieich
zuvorniehatte.ZumGlückwarichausBerlin,Berlin
konntebeidesheißen.
Na,dannkannstdujaimmerdeinenSpaßhaben,
rief einer .Und wollte mich auf einBier einladen.
„Danke ,ichmussnochpaddeln“,sagteich,unddas
stimmte,denn die Paddler-Zeltwiese inWerder liegt
einbisschenaußerhalb,dasHotelMatschkewardie
einzige Nahrungsquelleweit und breit, Läden hatte
ichunterwegsnichtgefunden.
Im Schwarzwald gab es auch keine Läden mehr
aufdenDörfern.Aberes gabGasthöfe,Dorfgemein-
schaftshallen,Festeund Vereine.Vielleichtwaresdas
FehlensolcherGemeinschaftsorte ,dasdiesesGefühl
derLeer eundVerlassenheitvermittelte,dasmi chan
Sibirienerinnerte.AlsWanderpaddleristeinemSibi-
rienganzrecht,schließlichistesdieSehnsuchtnach
Abenteuer ,nachZivilisationsflucht,dieeinenhinaus-
zieht.
Aberals ichanLandging,waressehrdunkelund
sehr einsam, dieSaisonging de mEnde entgegen.
Überall hö rteich es knacken undrascheln –und
stellte miralle Horrors zenarien vor, die ich je im
Sonntagabend-„Tatort“gesehenhatte.
Undsok ehrteich am nächsten Morgen um und
fuhrzurücknachBeesko w, zurückzumeinemKanu-
verein,woderTrainermiteinerOrthese, einemmo-
dernenGipsersatz,insKajakstieg,damitdasKinder-
paddelnnichtausfiel.
Nach de rWendewar der Verein ge schrumpft, es
fandensichkeineEh renamtlichenfürdieVereinsa r-
beit. Diemeist en Mitgli eder waren schonvorder
WendeimVerein, warenLeistun gs-Paddler.Heuteor-
ganisieren sieWettbewerbe fürKinder,ums ie „ein
bisschenvonKonsumdenken wegzubringen“.Die
Kinder wüchsen in einer seltsamenWelt auf, nein,
sagtein Vater,erwollenichtheutejungsein.
Zwischen den einzelnenRennen verg lichen die
JungenTurnschuh-Preiseim Netz.„Einerausmeiner
Klasse,derhat ’s raus!“sa gteeiner.„Derhatsoeinli-
mitiertesModell gekauft und für 500Euro auf Ebay
versteigert!“
Am Ende stan djeder vonihnen auf demTrepp-
chen–dieAltersklassenwarensozusammengestellt,
dassamEndejedereinmalSiegerwar .Esg ehemehr
darum, dass dieKinder eineGemeinschaft erleben,
sagtederTrainer.Viele Jugendlichewürdenwegwol-
len vonhier,–nein, nichtwegaus dem Osten, son-
dernwegvomLand.
Hinter dem selbst gezimmerten Siegerpodest
standeineMutterundsagte:„InBeeskowsiehtman
jetzt vieleverschleierteFrauen.“ Ichzuckte zusam-
men. Unddachte plötzlich wieder an dieWahl. Sie
fuhrfort:„DiehabensovieleKinder.WirkönntenKin-
dergebrauchen.Aberdiekommen
nichtzuuns.“
FrüherseimanquasiineineGe-
meinschaft reingezwungen wor-
den,dashabeschlechte,aberauch
gute Seiten gehabt.Heute breche
alles auseinander,was gemein-
schaftsstiftend sein könnte.Dabei
könnesichdieMitgliedschaftinei-
nem Sportverein jeder leisten, ein
Fitnessstudio könnten sichFami-
lien mit mehreren Kinder nicht
leisten. Außerdem trainieredaj e-
derf ürsich.
IchwarschonfastwiederinBer-
lin, als ich dasFoto vomSonnen-
aufgang über demBootssteg doch
noch postete,dazu wir dreiPadd-
ler,der Brandenburger,der West-
faleundich.40Likes,dreiHerzen.
DerBrandenburger hatterecht: Sonnenaufgänge
ziehenimmer.
Merle Hilbkerkundet Brandenburg seit vielenJah-
ren mitdem Kajak.Das Gebiet zwischenOder und
Spree is tihr Lieblingsrevier.
Der Oder-Spree-Kanal bei Müllrose. Immer der Sonne nach: Jack-Russell-Terrier Dante auf dem Kajak seines Besitzers. So ein BIld möchte dringend aufFacebook gezeigtwerden–oder doch nicht? Sonnenaufgang bei Beeskow. GÖTZ BEHRENDT (6)
Sightseeing in Beeskow: Auf dem Russi-
schen Soldatenfriedhof.
VonMerle Hilbk
erkelKritiker^dieãumBiereinladen^unde^die
+irouettendrehenundorwbeÝohner^dieruÄÄiÄche
.oldatenĬielen]KurãnachderandtagÄÝahliÄt
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