Berliner Zeitung - 05.10.2019

(Marcin) #1

5./6. OKTOBER 2019 3


Siesprachen dabei nicht nurvomreligiösen
Zusammenleben, sondern auch von
NachhaltigkeitundKlimawandel.DieBewe-
gung „Fridays forFuture“ hat in den letzten
Monaten auch an denUnis Wellen geschla-
gen.WiestellenSiesichdemThemaalsUni-
versität?
SABINEKUNST:Vorallemnatürlichwis-
senschaftlich,zumBeispielmitunseremin-
terdisziplinärenForschungsinstitutIRITHE-
Sys, das sich mit Klimawandel,Nachhaltig-
keit undMensch-Umwelt-Beziehungen be-
schäftigt. Dorthaben sichFachleute ganz
verschiedener Richtungen zusammenge-
funden: Geografen, Ethnologen, Philoso-
phenundBiologen.HinzukommenWissen-
schaftlerdesPotsdam-InstitutsfürKlimafol-
genforschung und agrarwissenschaftlicher
InstituteinBrandenburg.Zusammenwollen
siedie Fragebeantworten:Wiekönntesichin
der Bevölkerung dieEinsicht durchsetzen,
selbstzurErhaltungdesKlimasundunserer
Lebenswelten beizutragen und dabei auch
auf bestimmteDinge zuverzichten? Wie
kann man das in einerStadtgesellschaft in
dieBreitetragenundmitanderenGruppen
verbinden,dieeherantechnologischenLö-
sungenarbeiten?

Apropos verzichten. Solch eineUniversität
hinterlässt sich auch einen riesigen ökologi-
schen Fußabdruck mit ihren CO 2 -Emissio-
nen.WastunSiedafür,ihnzuverkleinern?
SABINEKUNST:Esistnatürlicheinesehr
schwierigeAufgabe,soe ineriesigeInstitution
wie die Humboldt-Universität imGebäude-
managementCO 2 -neutralzubekommen.Wir
haben 340Gebäude,die quer über dieStadt
verteiltsind,daruntervieleAltbauten.Beider
Sanierung vonGebäudenistindenverg ange-
nen zehn Jahren schonrelativ viel gemacht
worden.
Aberdamusssichernochmehrgetanwer-
den.WirbesitzenseitzehnJahrendankunse-
rerengagiertenStudenten einNachhaltig-
keitsbüro.Un dwirbietenein„StudiumOeco-
logicum“an.Wirwerdendasverstärkenund
es zusammenführen mit den Aktivitäten der
„ScientistsforFuture“,dieanderHUüber500
Unterschriften für eineSelbstverpflichtung
der Wissenschaftler gesammelt haben, auf
Flugreisenunterhalbvon1000Kilometernzu
verzichten und stattdessen dieBahn zu nut-
zen.Wirberat enunsmitKollegeninSkandi-
navienundderSchweizdarüber,welcheVer-
zichtstrategien an derUniversität effizient
sind.Dabeiistauchklargeworden,dasseine
Änderung im persönlichenVerhaltendie
wichtigste Schraube für Organisationen ist,
um nachhaltiger zuwerden.Über Möglich-
keitendafürwerdenwira lsPräsidiummitun-
serem AkademischenSenat diskutieren.Wir
sindaufdemWeg.

lungenzubleiben,diewirinderKooperati-
onsvereinbarungmitdemBeirat verabredet
haben. HättenBeirat smitglieder ablehnen
wollen, hätte derBeirat al sGanzes religiöse
Gründe schriftlich vorbringen müssen.
Letztlich sind wir mit unsererAuslese der
besten Wissenschaftlerinnen undWissen-
schaftler durchgekommen, und dieProfes-
suren sind besetzt. Es würde sehr helfen,
wenn jetzt auch derBeirat vonder Berliner
Stadtgesellschaft beim Mittragen dieses
wichtigen Schrittes positiv unterstütztwer-
denkönnte.


Inwieweit haben dieVerbände mittlerweile
dazugelernt?
MICHAEL BORGOLTE:DerBeiratdarf
nurE inwändeerheben,wenner Zweifela us
religiösenGründen geltend machen kann;
dies muss sogar mit einem theologischen
Gutachtenbelegt werden.Das war auch al-
lenBeirat smitgliedernimmerklar .Jetztsind
Fakten geschaffen, die ohne Lernprozesse
beiden Beteiligten nicht möglich gewesen
wären. DieBeiratsmitglieder haben sich zu
Entscheidungen durchgerungen, und das
wirktnunweiter.
SABINEKUNST:Wirsindaufeinemg uten
Weg. Wirhaben in Berlin eine besondere
Lernbereitschaft auch bei denVerbänden.
Im Beirat sitzen Schiiten undSunniten ne-
beneinander.Das is tnicht selbstverständ-
lich,sonderneinegroßeLeistung,vorallem
auchderVerbände.


Derschiitis cheVerbandIGSistallerdingssehr
umstritten.Er giltalslangerArmdesIranin
Deutschland. Undtrotzdemhaben Vor-
kommnisse in derVergangenheit nicht dazu
geführt, dassSiedie Zusammenarbeit auf-
kündigen.Warumnicht?
SABINE KUNST:Wirhaben eineAus-
stiegsklauselvereinbart.Wir werden nach
dreiJahrendieA rbeitmitdemBeirateval uie-
renundihngegebenenfallsauchdurchwei-
tereVerbände ergänzen.Erst einmal freuen
wiruns ,dassunsereBeste nauslesenachwis-
senschaftlichenQualitätsstandards so gut
gelungenist.Wirwerdenunsnichtdazuäu-
ßern,wiedieVerbandsaktivitätenzubewer-
tensind.
MICHAEL BORGOLTE:Dass die Beirats-
mitglieder vomBerliner Senat bestellt und
vomVerfassungsschutz desBundes über-
prüftwerden,istIhnensicherbekannt.


Aberistesn ichtaucheineZumutungfüreine
Universität,dassMitgli edereinesBeirats,der
über Inhalte undProfessuren mitbestimmt,
erst malvomVerfa ssungs schutz überprüft
werdenmüssen?
SABINE KUNST:Zumeinen bestimmt
derBeiratnichtüberInhaltevonProfessuren
mit,sondernhatlediglic heinreligiösesMit-
spracher echt beider Besetzungvon
Professuren.DasisteingroßerUnterschied.
ZumanderenhabenwirinDeutschlandein
Staatskirchenrecht für die christlichenKir-
chen. Auch anderenGlaubensgemeinschaf-


Julia Haak
ist gespannt auf den religiösen Dialog
in der Mitte der Stadt.

chenundsicheinzumischen.Wienutzen Sie
diese?
SABINE KUNST:Wirentwickeln zurzeit
viele Formen, uns da mehr einzubringen.
WirsindzumBeispielPartnerim Humboldt
Forum,dasimneugebautenBerlinerStadt-
schlossentsteht.Dortwerdenwirinderers-
ten Etage eineAusstellung eröffnen, in der
dieSpitzenforschungBerlinsThemaist.Wir
werden die Traditionslinie vonWissen-
schaftdarstellenunddafürauchdieSamm-
lungen derHumboldt-Universität nutzen.
Zugleichverbindenwirdasmitdenaktuel-
len Fragen, die in denExze llenzclustern–
den Spitzen-Forschungsverbünden der
Stadt –bearbeitet werden. Ihre Themen
sind unter anderem: neueMaterialien, das
Verstehen vonIntelligenz, dieErforschung
neurologischerErkrankungenunddiewelt-
weiten Herausforderungen für die liberale
Demokratie.

WelcheFormenentwickelnSienoch?
SABINEKUNST:Wirarbeitenintensivmit
demMuseumfürNaturkundeBerlinzusam-
men.Dieseswu rdeja2 009ausderHUaus-
gegliedertundistseitdemeinLeibniz-Insti-
tut.JetztwirddorteinneuerWissenschafts-
campus entwickelt, und es besteht die
Chance,dieKooperationzuverstärken.Un-
teranderem haben wir eineKonzeption für
eine gemeinsame School ofPublic Engage-
ment geschaffen, die auch Räume auf dem
neuenCampusbekommensoll.Hiergehtes
darum,BürgerforscherindieArbeitdesMu-
seumsundderBiologieeinzubinden.Stich-
worte dafür sindOpen Science und Citizen
Science.Bürgerwissenschaftler helfen zum
Beispiel bei derSuche nachMikromet eori-
ten in derStadt, sammeln Insekten, be-
obachtendenSternenhimmel,dokumentie-
rendieGesängederNachtigallenundvieles
mehr.

Siewerden als HU auch alsHauptmieter ins
Palaisam Festungsgrabenziehen.Waswollen
Siedortmachen?
SABINEKUNST:Wirwerdengemeinsam
mitPartnernausdem UmfeldeinenOrtfür
Begegnungen,Diskussionen undVeranstal-
tungen schaffen.Dabei soll es um wichtige
aktuelleFragen gehen, unter anderem um

gesellschaftlichen Zusammenhalt, Migra-
tion,Integration, VertreibungundExil.

DasPalais amFestungsgraben liegt ganz in
der Nähe des Maxim-Gorki-Theaters, der
einstigenSing-Akademie, in derAlexander
vonHumboldt1827und1828seineberühm-
tenKosmos-Vorlesungenhielt.SehenSiesich
inHumboldtsTraditionbeiIhrenneuenAkti-
vitäteninderMitteder Stadt?
SABINE KUNST:Ja,durchaus .Die kon-
kreterenFormatefürdasPalaisam Festungs-
graben werden wir zwar erst in den kom-
mendenJahren entwickeln.DasHaus muss
ja zunächstrenovier tund wiedereröffnet
werden. Aber an anderen Orten proben wir
bereits jetztFormen der Auseinanderset-
zung, zum Beispiel mit Bürger-Foren zu
Themen,dieauchmitHumboldtverbunden
sind, wie zuletzt in der Festwoche des
Alexander-von-Humboldt-Jahres.Dazu ge-

hören auchNachhaltigkeit und Klimawan-
del als ganzzentrale Themen für dieBerlin
UniversityAlliance.Humboldthatsichjaim-
merdafürinteressiert,wiedieDingezusam-
menhängen, wie eines das anderebeein-
flusst.

Siewollen also noch stärker in dieGesell-
schafthineinrückenalsbisher?
SABINE KUNST:Dasist un sereStrategie
fürdienächstenJahre.WirwollendieHum-
boldt-UniversitätinderAuseinandersetzung
mitder StadtgesellschaftinBerlinneuposi-
tionieren.Undman kann das,was Herr
BorgoltealsDirektordes InstitutsfürIslami-
sche Theologie gemacht hat, durchaus im
Kontextdamitsehen,wasimPalaisam Fes-
tungsgraben entstehen könnte.Auchmit
anderenProjekten. Sehrwichtig für den ge-
sellschaftlichenFriedenserhalt ist dieBe-
wahrungder LebensbasisderUniversität in
unserer StadtundderMetropole Berlin.Und
dazu gehörtein engerKontakt zurGesell-
schaft.

MICHAEL BORGOLTE

Seit 2018 ist Michael Borgolte,geboren 1948,
Gründungsdirektor des Berliner Institut für Islami-
sche Theologie. Borgolte promovierte nach einem
Studium der Geschichte, Germanistik und Philoso-
phie in Münster/Westfalen über den Gesandten-
austausch der Karolinger und habilitierte mit einer
verfassungsgeschichtlichen Schrift zum frühen Mit-
telalter.1991 wurde er auf den Lehrstuhl für Mittel-
alterliche Geschichte an der Humboldt-Universität
zu Berlin berufen. Borgolte beschäftigte sich mit
Forschungen zur Geschichteder Mittelalterhistorie
nach 1945in den beidendeutschenStaaten.Er be-
treuteForschungsprojekteder DeutschenFor-
schungsgemeinschaftzum mittelalterlichenStif-
tungswesenund wurde mit dem Preis des European
Research Council ausgezeichnet. Der Professor für
Mittelalterliche Geschichte ist Ordentliches Mitglied
der Berlin-Brandenburgischen Akademie derWis-
senschaften und wurde nach seinerPensionierung
2016 Senior Researcher der Humboldt-Universität;
seit 2017 amtiertera ls Gr ündungsbeauftragter für
das Institut für IslamischeTheologie.

tenmusswie dem Christentum einever-
gleichbareEntwicklungsmöglichkeit und
Partizipationeingeräumtwerden.

Washaben SieindiesemP rozessgelernt?
SABINE KUNST:DieArt und Weiseder
Diskurskultur war für mich erstaunlich und
in vielerleiHinsicht gewinnbringend.Auch
dieseKulturgehörtzuDeutschland.
MICHAELBORGOLTE:IchhabedenEin-
druck, dass derMeinungsbil dungsprozess
beidenVerbändenalleGemeindemitglieder
einschließt,diesichdaranbeteiligenwollen.
Mitanderen Wortenwird dieVerantwortung
nichtaufeinePersonodereinigewenigePer-
sonen delegiert.DieseArt desDiskurses ist
zutiefstinderReligionverankert,diejakeine
GeistlichenalsVermittler zwischenMensch
und Gottkennt und jedemGläubigen die
Verantwortungfürsichselbstbelässt.Westli-
chen oder christlich-kulturell geprägten

Partnernwirdind iesenD ialogenund Ent-
scheidungsprozessenviel Geduld abver-
langt.

WievieleStudentenhabensichbeworben?
MICHAEL BORGOLTE:Wirhaben 354
Bewe rbungen.Dasist enor mfür ein neues
Institut, davon sind 252 zugelassen; die
betreffendenPersonenkönnensichnunim-
matrikulieren.Wiebei al lenanderen Fä-
chernschmilzt dabei die Anzahl erheblich
zusammen, zumalMehrfachbewerbungen
üblich sind.Im Moment stehen wir bei 46
Immatrikulierten, amEnde werden wirs i-
cherlichbeiüber80landen.

Hatdie negativeDiskussion über dasIslam-
institutdieUniversitätbeschädigt?
SABINE KUNST:Nein,Auseina nderset-
zung und Diskussion gehören zurHum-
boldt- Universität wie dieLuft zum Leben.
WirhabenauchimAkademischenSenatviel
diskutiert.

AlldieDiskussionenumdieTheologieander
HU gehören auch zur großenDebatte um
den gesellschaftlichenAuftragder Universi-
tät. Gerade als Universität in derMitteBer-
lins hat man viele Möglichkeiten,Wissen-
schaftfürdieGesellschaftsichtbarerzuma-

„Wenn wir unsereGesellschaft, unsereWelt verstehen wollen, dann müssen wir uns


auch bemühen,Religion zuverstehen, und wir müssen denMenschen Religion auch


wissenschaftlich erklären können.Dasist die Aufgabe derUniversität.“


Sabine Kunst,Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin

Torsten Harmsen
verfolgt die Entwicklung der Humboldt-
Universität seit Jahrzehnten.

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER (2)
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