Berliner Zeitung - 05.10.2019

(Marcin) #1

6 5./6. OKTOBER 2019


A


lleredenvomKlimawandel.Über-
alllesenwirvomKlimawandel.Die
Erderhitzungist,kannmansagen,
ein hot topic.Und trotzdem stei-
gen vielevonuns zur Urlaubszeitweiterhin
in den Flieger.Spulen ihr täglichesPensum
Pendlerkilometer imAuto runter.Gönnen
sichger neinRindersteak.Alsobnixwär.
SoähnlichgingesauchDavidNellesund
ChristianSerrer ,zweiWirtschaftsstudenten
ausFriedrichshafenamBodensee,beideAn-
fang20. EinesMittagsinderMensasprachen
sie mal wieder über den Klimawandel, den
omnipräsenten.Undstellten fest:Trotz sei-
nerAllgegenwärtigkeitkonntensienichtsa-
gen,waswiegenauzurErderhitzungbeiträgt
undwasdasfürunsbedeutet.Alsoschrieben
sie,dieAhnungslosen,darübereinBuch.Das
BucherschienimEigenverlagundwurdeein
Bestseller.


LieberChristianSerrer ,SieundIhrKommili-
tone David Nelles sindAnfang 20, studieren
Wirtschaftswissenschaften, hatten keineAh-
nung vomKlimawandel–und haben trotz-
dem genau darüber einBuch geschrieben.
Wiekamdas?
CHRISTIAN SERRER:Eigentlich war ge-
radeunsereAhnungslosigkeitderGrundfür
das Buch.VorzweiJahren saßen wir in der
Mensa zusammen und diskutierten über
denKlimawandel.Da merkten wir,dass wir
aufganzvieleFragenkeineAntwortenwuss-
ten.WerdenStürmeheuteschonstärker?Wie
viel wir duns der Klimawandel kosten?Was
bedeutet er für unsereGesundheit? Wir
dachten:Kann doch nicht sein, dass das
ThemainallerMundeist –undwirtrotzdem
sowenigdarüberwissen!Alsohabenwirein
Buch gesucht, das uns den Klimawandel
ganzkurzundverständlicherklärt.Aberwir
habenkeinesgefunden.


Undsob eschlossenSie,selbsteineszuschrei-
ben?
Ja,wirdachten,dasseieinProjektfürdie
Semesterferien.EswurdeneineinhalbJahre.
DasBuchsollteanschaulichsein,Spaßma-


chen.AberwirwolltenauchnichtsWichtiges
verg essen oder etwasFalsches schreiben.
AlsokontaktiertenwirimmermehrWissen-
schaftler–amE ndewarenmehralshundert
beteiligt.Natürlich war am Anfang der eine
oder andereExperte skeptisch, was diese
zwei BWLer jetzt mit dem Thema wollen.
Aberalssiemerkten,dassesunsdamiternst
war,warenallerichtighilfsbereit.

DasErgebnisisteinwissenschaftlichesBilder-
buchfürErwachsene.Warumdas?
Jeder vonuns hat als kleinesKind gern
Bilderbücher angeschaut.Undwir haben
gedacht:Daswirdauchim Erwachsenenal-
ternochfunktionieren.Ichkennedasjavon
mir.WennirgendwoBildersind,dannbleibt
manhängen.EsmachteinfachmehrSpaß,
sich mit der Thematik zu befassen.Und
wenn ich mirvorstelle,wie viel wir lesen
mussten,biswirdiesesThemawirklichver-
standenhaben,indieserganzenFülle...Es
ist absolutverständlich, dass nicht jeder
sich einDreivierteljahr in diese Thematik
einlesen kann, um einen Überblick zu be-
kommen.DeshalbhabenwireineArtBuch
vonDoofen für Doofe gemacht.EinBuch
vonzweien, die sich selber informieren
wollten, für Leute,die sich auch informie-
renwollen.

Innerhalb vonzehnMonatenhatsichdasKli-
mawandelbuch 120000-mal verkauft. Es

kommt nicht oftvor, dass einBuch so ein-
schlägt.
Wirhaben uns gesagt:Wirfangen gar
nicht erst klein an.Startauflage: 100000.
Preis:fünfEuro,damitwirklichjederessich
leistenkann.Dennirgendwannwährendder
RecherchehabenwirdieErnsthaftigkeitdes
Themas begriffen.Unddass es ganz vielen
Menschengenausogeht,wieesunsging:Sie
denken,KlimaseidasselbewieWetter.Zwei
Grad wärmer?Prima, brauch ich schon kei-
nenPullimehr! DieTragweitedesKlimawan-
dels für unsereGesundheit, die Landwirt-
schaft, die Artenvielfalt, auch für die globa-
len Flüchtlingsbewegungen ist denwenigs-
tenbewusst.OderdassdieKlimaerwärmung
sich ab bestimmten „Kipppunkten“ von
selbstbeschleunigt.DieseTragweitedesKli-
mawandels müsste,ich sag mal, ein klein
wenig besser kommuniziertwerden. Wenn
man dieseTragweite begriffen hat, macht
daswasmiteinem.

EinKlimawandel- alsBewusstseinswandel-
buch?
Dashoffenwir.Undwirhabenesanuns
selbst gemerkt.VorzweiJahren waren wir
zum Beispiel Fleischfans,haben oft sogar
zweimalamTagFleischgegessen.Dannfan-
den wir heraus,welchen Treibhausgasaus-
stoß die Fleischproduktion verursacht.
HeuteessenwirimmernochFleisch–weiles
uns schmeckt, dazu stehen wir –, aber nur

nocheinmalproWoche.Undichfindenicht,
dassdaszueinemVerlustanLebensqualität
geführthat.AnfangsstandenwirzwarimSu-
permarktvordemganzenObstundGemüse
undhabenunsgefragt,wasmandamitüber-
haupt anfangen kann.Aber dadurch haben
wirletztlichsogarkochengelernt.Undwenn
man kochen kann, schmeckenvegetarische
Gerichtesogargut.

EinKlima wand el-Bestsellervonjungen Stu-
denten.StreikendeSchüler,diediePolitika uf
Freitagsdemonstrationenvorsichhertreiben.
Sieht aus, als könnte dasEngagement der
Jungenwirklichetwasbewirken.
Dasist auchnötig. Es ist schockierend,
wieweitdieöffentlicheDiskus sionüberden
Klimawandeloftvondenwissenschaftlichen
Erkenn tnissenentferntist.WiewenigZeitfür
einen grundlegendenWandel bleibt.Wenn
ichsehe ,wiedrängenddasProblemist,dann
löstdasbeimirzwarkeineWutaufdieältere
Generation aus.Aber doch eine ziemlich
große Motivation, dieSacheselberanzupa-
cken. Undich glaube,sog eht es vielen in
meinerGeneration.

Warum taucht IhrBuch, mit dieser Riesen-
auflage, eigentlich in keinerBestseller-Liste
auf?
DasProblem ist, dass derBuchpreis für
ein Hardcoverzug ünstig ist.DasBuch
müsste mindestens sieben, achtEuro kos-
ten, ganz genauweiß ich es nicht.Mitfünf
Euro jedenfallswerden wir niemals in einer
Bestse ller-Liste auftauchen.Aber wir geben
unsMühe,dasBuchtrot zdemeinkleinwe-
niguntersVolkzubringen.

David Nelles, Christian Serrer:Kleine Gase–Große Wir-
kung .Der Kl imawandel.KlimaWandel (www.klimawandel-
buch.de), Friedrichshafen2019. 13 2Seiten,5Euro

Von Doofen fürDoofe

Zwei


Wirtscha ftsstudenten,


diewedervomKlima


nochvonder


Buchbrancheeinen


Schimmerhatten,


habeneinenBestseller


überdenKlimawandel


geschrieben


Interview: MarkusWanzeck


„Wenn man dieTragweite des Klimawandels begriffen hat, macht daswasmit einem“: Schaubilder aus dem Überraschungsseller „Kleine Gase–Große Wirkung.Der Klimawandel“ von Christian Serrer und David Nelles. LISA SCHWEGLER


MarkusWanzeckisst schon länger
kein Fleisch mehr undversucht sich
aktuell an kaltem Flugentzug.

Christian Serrer (links) und David
Nelles EDMUND MOEHRLE

MEIN PLATZ


Jessica Schoogeht mit


dem Hund ihrerWG in den


Gleisdreieckpark


Beruf: Erzieherin; studiertaußerdem Soziale Arbeit; Alter:23; geboren in: NordhorninNiedersachsen; wohnt in: Schöneberg; Zeit am Platz: fast jedenTag. BENJAMIN PRITZKULEIT

F


rida, die Mischlingshündin meiner
Mitbewohnerin, ist anderthalbJahre
alt, sehrverspielt undverrückt nachBe-
wegung. Eine vonuns Dreien aus derWG
gehtjedenTagmitihrindenPark.Manch-
mal sind wir auch alle zusammen unter-
wegs.
Oderich verabredemichhiermiteiner
Freundin, die in in der Nähe wohnt und
auch einenHund hat. Dasist ein Terrier,

sieheißtFineundistmindestenssoquir-
ligwieunserWG-Hund. JedesMalsindwir
angenaudieserWieseimKreuzbergerTeil
des Parks, immer auf einer dieser Bänke.
DaistaucheigentlichimmergenugPlatz.
VorunsliegteinegroßenatürlicheFläche,
darübersiehtmansogarganzvielHimmel
–dasistschoncool,geradedasgefälltmir.
Jeder macht hier ganz ungestörtsein
Ding,sokommtmirdasvor.Fridaunddie

anderenHunde laufen herum.Wenn ich
malalleinhierbin,kannichtrotzdemmit
Leuten insGespräch kommen, zumBei-
spiel mit anderenHundebesitzern,wenn
einer vorbeikommt. ÜberHunde kann
man sich immer gut austauschen.Oder
ichbleibefürmich,sitzeaufmeinerBank
und lese etwas.Das geht auch, dafür ist
das Gelände weitläufig genug. Selbst
wenn richtig viele Menschen da sind,

VonJörg Niendorf (Text)
und Benjamin Pritzkuleit (Fotos)


bleibt genugFreiraum für jeden.Neben
meinem Studium arbeite ich noch an
mehrerenTagen in derWoche in einer
Wohngruppe fürMenschen mit Beein-
trächtigungen.
Nach einer Arbeitsschicht ist dieser
Platz im Park ideal zumRunterkommen.
Eine halbeStunde laufe ichvonZuhause
her,und dann bleibe ich bestimmt zwei
Stundenhier.
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