Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
von christoph neidhart

V


iel Holz, wenig Wohnfläche, ein
oder zwei Stockwerke, kaum mö-
bliert, die Böden aus einer Reis-
stroh-Matte. So etwa sieht ein
traditionelles japanisches Wohn-
haus aus. Auch nach dem Zweiten Welt-
krieg wurde noch viel im traditionellen Stil
gebaut, wie man ihn von alten Filmen
kennt. Doch diese Zeit scheint vorbei zu
sein. In den vergangenen Jahren wurden
viele Hunderttausend traditionelle Häuser
abgerissen. Sie mussten entweder neuen
Eigenheimen oder „Mansion“, „Danchi“
oder „Apato“ weichen, den drei anderen
Hauskategorien, in denen Japaner woh-
nen. Vor allem in den großen Städten hat
sich die Wohnkultur verändert – und sich
dabei vor allem am Westen orientiert.


In der Provinz stehen noch Millionen
der alten Eigenheime, auch in Tokio und
Osaka sieht man sie noch, allerdings Jahr
für Jahr weniger. In ihnen wohnt man japa-
nisch, es geht gar nicht anders. Sie sind
spärlich eingerichtet, die Wandschränke
bieten genügend Stauraum. Ihre Böden
sind mit Tatami ausgelegt, gepressten
Reisstrohmatten. Zum größten Raum ge-
hört das Tokonoma, ein Alkoven als Ehren-
platz zum Beispiel für eine besondere Kalli-
grafie. Auf der Südseite trennt der Enga-
wa, eine japanische Veranda, die Räume
vom Garten. Dank den gläsernen Schiebe-
türen des Engawa ist die Wintersonne oft
stark genug, das Haus, das nicht isoliert
ist, tagsüber zu wärmen. Die Winternächte
dagegen sind in diesen Häusern sehr kalt,
gelegentlich liegt auf dem Wasser im Hock-
klo in der Frühe eine dünne Eisschicht. Die
Japaner heizen eben nicht das ganze Haus,
nur jene Räume, in denen sie sich vorwie-
gend aufhalten. Küche, Bad und Klo der al-
ten Häuser konnten nicht geheizt werden.
Im heißen Sommer dagegen sind sie lufti-
ger als die neuen.
In den alten Häusern lebt man auf Tata-
miböden mit Sitzkissen. In der Mitte des
größten Raumes steht meist ein niedriger
Tisch, an dem man im Knie- oder Schnei-


dersitz isst und die Kinder ihre Hausaufga-
ben machen. Die anderen Räume sind leer,
ihnen wird, anders als im Westen, kein be-
sonderer Zweck zugeordnet – es gibt also
keine Schlafzimmer, auch keine Betten.
Wer schlafen will, holt seinen Futon aus
dem Wandschrank und legt ihn in die Mit-
te des Raumes. Immer in die Mitte. Traditi-
onell organisiert man in Japan Räume von
der Mitte aus, nicht vom Rand her wie in
Europa, wo die Betten an den Wänden ste-
hen. Ohnehin verfügen die Räume traditio-
neller Häuser kaum über feste Wände. Ei-
nerseits werden sie von Schiebetüren zum
nächsten Raum und zur Engawa abge-
grenzt, andererseits vom Wandschrank
oder einem Fenster.
Jüngere Japaner wollen meist nicht
mehr traditionell wohnen. Sie haben sich
daran gewöhnt, an Tischen zu sitzen und
finden die alten, nicht isolierten Häuser un-
bequem und im Winter zu kalt. Zudem
sind sie meist baufällig, weil man Wohn-
häuser in Japan kaum renoviert.
Die traditionellen Häuser verschwinden
aber nicht nur, weil sie heruntergekom-
men sind oder weil die Erbschaftssteuer so
hoch ist, dass es sich die nächste Generati-
on oft gar nicht leisten kann, ihr Eltern-
haus zu halten. Obwohl beides zutrifft,
sind dies nicht die wichtigsten Motive, alte
Häuser abzureißen und neu zu bauen. Wer
es sich leisten kann, will in ein neues Haus
einziehen, nicht in eines, in dem zuvor
schon jemand gewohnt hat. Eigentum hat
einen hohen Stellenwert. Alles andere be-
trachten Japaner eher als Provisorium. Bis
vor wenigen Jahren wohnten selbst in To-
kio mehr als die Hälfte aller Familien in Ei-
genheimen, die ihnen gehörten. Im ganzen
Land besitzen noch immer fast zwei Drittel
der Haushalte ihre Häuser. Der Wunsch
nach – neuem – Eigentum spiegelt sich
auch in den Immobilienpreisen wider. Ein
Einfamilienhaus, das mehr als 25 Jahre alt
ist, gilt als abgeschrieben. Der Käufer
muss nur noch das Grundstück bezahlen.
Er kann sogar verlangen, dass der Verkäu-
fer die Kosten für den Abriss trägt. Selbst
wenn ein Haus in der Familie bleibt, baut
die nächste Generation neu.
Neue Eigenheime sind heute meist Halb-
fertighäuser von „Panasonic Home“ oder
„Toyota Home“, die im Baukastenprinzip
aus Holzstützen und -trägern, mit Wänden
aus Span- oder Kunststoffplatten zusam-
mengesetzt werden. Ihre Inneneinrich-
tung ist über die Jahrzehnte allmählich
westlicher geworden. Es gibt nur noch ei-
nen Raum mit Tatami-Boden, den man et-
wa für Yoga nutzt oder auch nur als Abstell-
raum. Zugleich ist er eine Referenz an die
Tradition. Das Heimweh nach dem Alten
zeigt sich auch darin, dass viele Japaner,
wenn sie im Inland Urlaub machen, in Tata-
mi-Räumen auf Futons schlafen wollen.
Zu Hause ziehen sie Betten vor, sie mö-
gen auch nicht mehr auf dem Boden leben.
Am traditionellen Bad, in dem man sich ne-

ben der Wanne duscht, halten sie dagegen
auch in den neuen Häusern fest. Man
steigt erst in die heiße Wanne, wenn man
sorgfältig gewaschen ist. Und das vor al-
lem, um sich zu entspannen. Dabei badet
die ganze Familie im gleichen Wasser, ei-
ner nach dem andern. Anstelle des alten
Hockklos dagegen gibt es heute ein Wash-
let, ein Klo mit Po-Dusche.
Die neuen Häuser wirken enger als die
alten, weil sie mit Möbeln verstellt sind.
Und vielfach stehen drei oder vier neue
Häuser auf einem Grundstück, auf dem
früher nur eines stand. Vom Garten mit
Kirsch- und Mandarinenbaum ist nur
noch eine schmale Blumenrabatte geblie-
ben. Die Bauabstände werden so knapp,
dass die Nachbarn sich von Küchenfenster
zu Küchenfenster die Sojasauce reichen
könnten. Das tun sie freilich nicht, denn es
ist gute Sitte, sich gegenseitig zu ignorie-
ren, um sich nicht zu stören.
In beliebten Vierteln Tokios kaufen Bau-
unternehmen, aber zum Beispiel auch die
Privatbahn Odakyu nach und nach alte
Häuser auf, um ihre Grundstücke dann zu-
sammenzulegen und Betonblocks hinzu-
klotzen. Die Wohnungen in solchen Blocks

nennt man „Mansion“. Sie werden stetig
beliebter, auch weil man sagt, sie seien si-
cherer. Der Hauseingang unten bleibt ver-
schlossen, man braucht einen Zahlencode,
um die Tür zu öffnen. Obwohl die Krimina-
litätsrate die tiefste aller Industrieländer

ist, fürchten sich viele Japaner vor Einbre-
chern – auch, weil die Medien diese Angst
schüren. In einem Mansion zu leben ist
auch eine Statusfrage, jedenfalls, wenn
der Wohnblock in einem guten Viertel der

Stadt steht. Viele Tokioter legen mehr
Wert auf eine prestigeträchtige Adresse als
auf eine große Wohnung. Ohnehin sehen
ihre Freunde und Kollegen ihr Mansion
nicht, man lädt sich kaum nach Hause ein.
Jenseits der guten Adresse ist die Nähe
zum nächsten U- oder S-Bahnhof wichtig.
Allerdings ist nicht jede Wohnung in ei-
nem Mehrfamilienhaus ein „Mansion“. So-
zialwohnungen, Firmen-Überbauungen
für Angestellte und Genossenschafts-Woh-
nungen heißen Danchi. Diese Blocks ha-
ben oft keinen gemeinsamen Eingang,
man erreicht die Wohnungen über Lauben-
gänge. Steht das Danchi wenigstens an ei-
ner guten Adresse, dann gilt es als akzepta-
bel. Aber eigentlich möchte man lieber
nicht in einem Danchi leben. Und eine Dan-
chi-Wohnung besitzen schon gar nicht.
Japan klammert sich an die Fiktion, die
ganze Nation gehöre zum Mittelstand. Das
stimmt heute noch weniger als vor einigen
Jahrzehnten. Wohntechnisch ist Japan ei-
ne Klassengesellschaft. In den Eigenhei-
men und Mansion wohnt ein mehr oder we-
niger wohlhabender Mittelstand, in den
Danchi dagegen Arbeiter und jene Leute,
die allmählich vom unteren Mittelstand

wegbrechen. Die eigentliche Wohnungs-
Unterschicht dagegen haust in den Apato.
Das sind Apartments von 14 bis etwa 28
Quadratmeter in ein- und zweistöckigen
lausigen Holzbauten mit Eisenträgern;
Edelbaracken gleichsam, in denen man je-
des Wort des Nachbarn hört. Ins Oberge-
schoss kommt man über eine Außentrep-
pe, die Tür der Apato – eine Nipponisie-
rung des Wortes „Apartment“ – öffnet sich
auf den Laubengang. Ein Apato verfügt
über ein Klo, ein winziges Bad und eine
Kochnische.
Millionen Japaner wohnen in solchen
Apato. Diese sind für das, was sie bieten,
mit 500 bis 800 Euro Monatsmiete eigent-
lich zu teuer – vor allem für jene, die vom
Mindestlohn leben müssen. Erfunden wur-
den die Apato nach dem Erdbeben von To-
kio 1923 als provisorische Notunterkünfte.
Aber sie sind zum Wohnungstyp für die un-
teren Schichten der Gesellschaft gewor-
den.

Die SZ berichtet in dieser Serie über das Thema
Wohnen in wichtigen Metropolen. Bisher erschie-
nen: Rom (17./18. 8.) und Madrid (7./8. 9.)

Eine gute Adresse zählt mehr
als eine große Wohnung – man
besucht sich ohnehin kaum

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...

Sayonara,


altes Haus


ImSchneidersitz essen, die Räume


kaum einrichten, in der Mitte auf dem


Boden schlafen: Die japanische


Wohnkultur hat viele Besonderheiten.


Doch viele verlieren an Bedeutung


Teezeremonie auf Tatami-Matten: Im traditionellen Japan wohnt man auf dem Boden. Viele junge Einheimische wollen lieber Stühle. FOTO: MAURITIUS IMAGES / MINT IMAGES

Tokio


DEFGH Nr. 219, Samstag/Sonntag, 21./22. September 2019 45


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