DerKlima-Streik
2 ** Berliner Zeitung·Nummer 220·21./22. September 2019 ·························································································································································································································································································
V
or dem Weltklimagipfel inNew
Yorkhatder PräsidentdesEuro-
paparlaments,David Sassoli, zum
Handelnaufgerufen.DieStaats-und
Regierungschefs derWelt müssten
„unverzüglich entschlosseneMaß-
nahmengegendenKlimawandeler-
greifen“, erklärteSassoli amFreitag
inBrüssel.„Wirkönnennichttaten-
los zusehen, wie täglichHunderte
Arten sterben,Gletscher schmelzen
und Naturkatastrophen Tausende
Menschenleben kosten.“DasEuro-
paparlament bedaueresehr,dass
sichdie Staats-undRegierungschefs
derEUimJuninichtaufehrgeizigere
Ziele bei derCO 2 -Verringerung bis
zumJahr2030geeinigthätten.(AFP)
BRÜSSEL
D
er Startschuss für denweltwei-
ten Klimastreik anFreitag fiel
bei Tagesanbruch an derDatums-
grenz eimP azifik.Aufdenvomstei-
gendenMeeresspiegelbedrohtenIn-
seln Vanuatu, denSalomonen und
Kiribati sangenKinder „Wir sinken
nicht, wir kämpfen“.In Australien
traten mehr als 300000Kinder,El-
ternundUnterstützerindenKlima-
streik. In zahlreichenStädtengabes
Demonstrationen. „Wir sind hier,
umeineBotschaftandiePolitikerzu
sendenundihnenzuzeigen,dasses
uns wirklich wichtig ist“, sagte bei-
spielsweise der 16-jährigeWill Con-
nor in Sydney.„Sonst werden wir
keineZukunfthaben.“(AFP)
VANUATU+SYDNEY
M
it ungewöhnlichen Aktionen,
pfiffigenProtestschildernund
Verkleidungen haben sichDemons-
tranten inGroßbritannien undIr-
land am globalen Klimastreik betei-
ligt.„Benutztweniger Papier“, hatte
beispielsweise eineJugendliche auf
einemwinzigenSchildgeschrieben.
„Duwirst an Altersschwäche ster-
ben, aber ich am Klimawandel“,
standaufeinemanderenSchild.Stu-
dentenriefendazuauf,mitklingeln-
denWeckerndieMenschenwachzu-
rütteln. Unternehmen sollten ihren
Feueralar maktivieren.In Großbri-
tannien waren mehr als 200De-
monstrationen und andereVeran-
staltungenamFreitaggeplant.(dpa)
LONDON
I
nder indischenHauptstadtNeu-
Delhi beteiligten sich mehrere
HundertKinderundJugendlichean
denDemos–vergleichsweisewenig
im Vergleich zurBevölkerungszahl
des Landesvon1,3 Milliarden.„Die
Elitenhierdenken,dasssiesichalles
kaufen können–auch saubereLuft
–,unddieArmenhabenschongenü-
gend Probleme,ums ich auch noch
umdieKlimakrisezukümmern“,er-
klärteeineTeilnehmerin.Indienlei-
det star kunter denAuswirkungen
des Klimawandels.Esg ibt extreme
Hitzewellen,extremenRegen,Dürre
und Wassermangel. In Neu-Delhi
herrschteinederschlimmstenLuft-
verschmutzungenderWelt.(dpa)
NEU-DELHI
Ein Bewohner der Salomonen demonstriertimaustra-
ischen Melbourne für den Klimaschutz. GETTY/ASANKA RATNAYAKE
„ImMeeristmehrPlastikalsinKylieJenner“
V
oreinpaarMonatennochwardasSchwän-
zenfürsKlimaanmanchenSchuleneinAkt
derRebellion.AmFreitaggabenfastalleSchu-
lenden KindernundJugendlichendieWahl:ab
der drittenStunde demonstrieren oder aber
Unterricht.DieMengederJugendlichenistdes-
wegendurchmischter:AufdereinenSeitejene,
diemitselbstgebasteltenSchilderngekommen
sind.AufderanderenSeitejene,diewum-
mernde Musikboxen oder gleich Bierkästen
durchdieMengetragenundzugeben,dasssie
dem ParallelangebotUnterricht entkommen
wollten.„Wallah,HauptsachekeinDeutsch!“
Der13-jährigeVincentistschonoftbei„Fri-
days forFuture“ dabei gewesen.Seine Freunde
undernehmendasThemamitHumor,vorsich
hertragensieeinSchild,aufdemsteht:„ImMeer
istmehrPlastikalsinKylieJenner!“Jenneristein
mehrfach operierter Social-Media-Star.„Heute
war es verdammt selbstverständlichteilzuneh-
men, allein aus unserer Schule sind bestimmt
400 Leute hier“, sagt Vincent, der Achtklässler.
Für ihn ist die Demo wichtig,um ein Zeichen
über DeutschlandsGrenzen hinaus zu setzen,
„fürdieLänder,indenenvieleimmernochglau-
ben,dassesdenKlimawandelgarnichtgibt“.
Kinder und Jugendliche
Der17-jährigeBrunohör tmitFreundinnen
lautElektroauseinertragbarenBox.Dieüber-
töntsogardieReden,dienurwenigeMeterent-
ferntaufderBühneamBrandenburgerTorge-
haltenwerden.
ErgeheaufdasBeethoven-Gymnasiumin
Steglitz-Zehlendorf.Dasseieherlinksausge-
richtet,manwerdedortalsSchülerschonin
RichtungKlimademo„gepusht“,sagtBruno.
SuperengagiertseiernichtinSachenKlima-
schutz, aber:„Ichfinde es trotzdem wichtig,
Präsenzzuzeigen.“
Diejungen Organisatorenvon„Fridays for
Future“jubelnschonum13Uhrüberdieersten
Schätzungenvon80000 Teilnehmern. „Es ist
überwältigend, wie viele hier sind“, sagtFran-
ziska Wessel vonden „Fridays“, 15 Jahrealt.
Dass so viele Älteregekommensind, freut sie
sehr.„Siestehen besondersin der Verantwor-
tung,weilsiederPolitikAngstmachen,weilsie
wählenkönnen.“Annika Leister
Ab der dritten Stunde schulfrei: protestierende Schü-
lerinnen unterwegs. BLZ/PAULUS PONIZAK
„DieWirtschaftwillundkannKlimaschutz“
D
ie Lam pe auf seinemHutleuchtet nicht.
ChristianAhlershatsicheinenschwarzen
Anzug angezogen, eineFliege gebunden, ein
EinstecktuchindenFarbenderFliegegewählt
unddie MelonemitderLeuchteaufgesetzt.Er
istdem Aufrufder Wirtschaftsinitiative„Entre-
preneursforFuture“gefolgt,umzustreiken–
im Business-Dress.ZahlreicheUnternehmer
undAngestellte,diesichdemNetzwer kKlima-
schutz verschrieben haben, stehenvordem
Bundesfinanzministerium.Siewollen für den
Klimaschutz protestieren.Sietragen dunkle
Anzüge,undauchvielederFrauensindsoge-
kleidet.
Katharina ReutergehörtzurWirtschaftsiniti-
ative„EntrepreneursForFuture“, die sich im
MärzzurUnterstützungfür„Fridaysfor Future“
gebildet und die zu demUnternehmerprotest
aufgerufen hat. 300Firmen haben denAufruf
fürden Protestunterschrieben.AuchReuterist
sogekleidet,alswürdesiegleichinsBürogehen.
„Daswolltenwirso,umzuzeigen:FürdieWirt-
schaftistderKlimaschutzgenausowichtigwie
dasGeschäft.DieWirtschaftwillundkannKli-
maschutz,unddasverlangenwirauchvonder
Bundesregierung“,sagtdie42-Jährige.
Der Unternehmer
ChristianAhlersfindetdasauch.Erarbeitet
beiStartnextinderRitterstraßeinKreuzberg–
einemStart-up-Unternehmenmit40Mitarbei-
tern,dasaufseinerCrowd funding-Plattformfür
nachhaltigeProjekte wirbt.DenAnzug hat er
sich nur für dieDemonstration angezogen. So
gehternormalerweisenichtzurArbeit.
„Startnext fördertgrüne Projekte“, sagt Ah-
lers.Der27-Jährigeerzählt,dassesnichtseine
erste „F ridays forFuture“-Demo sei. „Es kann
doch nicht sein, dassAchtjährige mehr alsEr-
wachsene gegen den Klimawandel aufstehen.
Deswegen bin ich heute hier,beim Klima-
Streik“, sagt er.Christian Ahlers hofft, dass es
grundlegendeÄnderungenimKlimaschutzge-
ben werde. Denn so wie bisher könne es nicht
weitergehen.„IchwilleinmalKinderhaben.Da
habeichrichtigBockdrauf“,sagter.
Es sind zum Schluss mehr als2000 Unter-
nehmer und derenMitarbeiter,die sich dem
Streikanschließen.KatrinBischoff
Christian Ahlerswill eine bessereWelt –auch für sei-
ne zukünftigen Kinder. CAMCOP MEDIA/ANDREAS KLUG
„DieWeltwirdüberleben–aberohneuns“
D
ieTrillerpfeiffensteckenindenMündern.
Eswir dlaut,wenndieorangefarbeneFrak-
tionindemdichtenBlockvordemBrandenbur-
ger Torihren Protest herauspustet. Orange ist
an diesemTagdie Farbe derEisenbahn-Ver-
kehrgewerkschaft(EVG).350 Kollegenausganz
Deutschland sind zum Klimastreik angereist.
Sietragen orangefarbeneT-Shirts .„EinGüter-
zugerspartderUmwelt52Lkw-Fahrten“,steht
darauf.„Manglaubtesnicht,dassdieDeutsche
Bahn immer noch zu hundertProze nt dem
Bund gehört“, sagtHeinz Frielingsdorfaus
Nordrhein-Westfalen.Wiesonstseieszuerklä-
ren,dassinZeitendesgefordertenKlimaschut-
zesein Szenario aufgebautwerde, bei dem
4000 Arbeitsplätzebei der DB Cargover-
schwindensollen.
HeinzFrielingsdorfistBetriebsratausNord-
rhein-Westfahlen.Ersagt,dieBahnmüsseend-
lich,sowiedieLkw-Fahrer,eineLobbybekom-
men.„EsgibtkeineAlternativezumSchienen-
güterverk ehr.Dasmüssendiedaobenendlich
mal erkennen“, erklärtauch seinKollege aus
Hessen,IngmarPfaff.
Wenige Meter weiter haben derGartenge-
stalter Martin Richter ausBerlin-Rudowund
Die Engagierten
seine Frau AnyaBengs ihrPlakat ausgerollt.
„GärtnereienpflanzenfürdieZukunft“,stehtin
gelberSchriftaufgrünemStoff.Sieprotestieren
stellvertretendfürdieKollegen,dieinderBun-
desarbeitsgemeinschaft selbstverwalteterGar-
tenbaubetriebeorganisiertsind.EssindKlein-
betriebe ausDeutschland, Österreich und der
Schweiz,diesichwegendesKlimawandels,der
anhaltendenTrockenheit imSommer um ihre
Existenzsorgen.
„Wenn es soweitergeht, wirddieWelt zwar
überleben–aberohneunsMenschen“,sagtder
63-jährigeMartin Richter.Seine Frau ergänzt,
dasssieesfurchtbarfinde,wennsiedieFragen
derKinderhöre:Opa,wasisteinEisbär?Wasist
Schnee,wasisteineHummel?„Istihnenschon
einmal aufgefallen, dass die Windschutz-
scheibefastsauberbleibt,wennSieimS ommer
über dieAutobahn fahren“, fragt sie.Ein Zei-
chen, dass es schon heute zuwenige Insekten
gebe.KatrinBischoff
Orange fällt auf: die Eisenbahn-Gewerkschafter Heinz
Frielingsdorf (l.) und Ingmar Pfaff.CAMCOP MEDIA/ANDREAS KLUG
.
Weil
dieErde
Fieber
hat