Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

Raumgreifendes Ego


Nr. 38/2019 Unser Beitrag zum Klimaschutz
Verteufelt, aber begehrt: Das SUV – Symbol
für die deutsche Doppelmoral


Die Hybris des 21. Jahrhunderts: der ge-
sellschaftliche Antagonismus zwischen un-
serem ökologischen Umweltanspruch und
der gelebten egomanen Realität.
Gerhard Dietsche,
Emmendingen-Windenreute (Bad.-Württ.)


Eine fast grotesk anmutende Diskussion.
Was unterscheidet denn ein SUV von
einem Audi A8, einem 7er-BMW, einer
Mercedes S-Klasse oder anderen schweren
Limousinen? Schotten sich deren Fahre-
rinnen und Fahrer weniger von ihrer Um-
welt ab? Wird mithilfe dieser Fahrzeuge
weniger der Status zur Schau gestellt? Sind
diese geeigneter für den Stadtverkehr oder
weniger »Panzer«? Ein Blick auf die Fahr-
bereitschaft des Bundestags und der Län-
derparlamente beweist exemplarisch die
Doppelmoral, die dem Verbraucher jetzt
vorgeworfen wird.
Stefan Harden, Duisburg


Ich lebe im privilegierten Landkreis Starn-
berg, wo es sehr viele SUV gibt. Lange be-
vor die aktuelle Diskussion um diese Privat-
panzer losbrach, habe ich versucht, meine
Erfahrungen im lokalen Verkehrsgeschehen
in Glossen- oder Kommentarform thera-
peutisch zu verarbeiten – mit einigem Zu-
spruch durch die Leserschaft. Die zugrunde
liegenden Beobachtungen waren: Viele
SUV-Lenker werden vom trügerischen Si-
cherheitsgefühl dazu verleitet, eher durch-
setzungsstark als rücksichtsvoll zu fahren;
oft wird das Fahrzeug weder hinsichtlich
seiner Pferdestärken beherrscht, noch was
die Maße angeht; geparkt wird »nach Guts-
herrenart«: Längs wie quer verbraucht der
SUVler gerne mal zwei Stellplätze, sei es,
weil er nicht zu manövrieren versteht, sei
es, weil er es nicht für nötig erachtet, »so-
zialer« zu parken. Solche Verhaltensmus-
ter werden auch optisch unterstrichen –
die rückwärtige Sichtkante eines BMW X6
ist in einer Höhe angebracht, die nichts an-
deres besagt als: »Ihr Fußgänger und sons-
tiges verkehrliches Kleingetier geht mir am
Gesäß vorbei!« Ein SUV ist also nichts an-
deres als Ausdruck des eigenen raumgrei-
fenden Ego.
Thomas Lochte, Journalist, Feldafing (Bayern)


Die vielleicht wichtigste taktische Motiva-
tion hinter der CDU-Position »CO
²
-Emis-
sionsrechte ja, CO
²
-Steuer nein« erwähnen
Sie nicht: Beide Vorschläge führen bekannt-
lich zu einer Verteuerung des Energiever-
brauchs durch höhere Preise von Benzin,
Diesel, Heizöl, Erdgas und so weiter. Der

große Vorteil einer Bepreisung der Emissi-
onsrechte liegt für die CDU darin, dass es
die Lieferanten dieser Energien sind, die
beim Verbraucher höhere Preise einfordern
müssen. So kann die CDU weiter behaup-
ten: »Wir haben unser Wahlversprechen
gehalten: mit uns keine Steuererhöhun-
gen!« Den schwarzen Peter für die Ener-
gieverteuerung hat man geschickt an die
Lieferanten weitergereicht. Ob sich der Ver-
braucher, Bürger, Wähler so leicht hinters
Licht führen lässt? Die SPD agiert in der
Sache wie ein tumber Tanzbär, wie so oft


  • und macht sich selbst zum Buhmann.
    Dr. Christian Harms, Freiburg im Breisgau


»Unser Beitrag zum Klimaschutz« heißt die
ironisch-sarkastische Coverzeile; endlich,
denkt man. Im Heft ist dann viel Merkel
und SUV und Autowahn – und mittendrin
eine vierseitige Informationsbroschüre
über »Traumhafte Kreuzfahrten für unsere
Leser«. Da fragt man sich dann schon, ob
die eine Hand weiß, was die andere macht.
Oder kennen Sie die Klimabilanz von
Kreuzfahrtschiffen tatsächlich noch nicht?
Verena Stössinger, Binningen (Schweiz)

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»Wer 250 Pferde vor eine Kutsche spannt, landet mit großer


Wahrscheinlichkeit in der Psychiatrie. Wer dagegen 250 PS unter


der Motorhaube hat, wird immer noch bewundert.«


Hans Bahmer, Gießen (Hessen)

DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

KARSTEN THIELKER / DER SPIEGEL
SUV in Berlin

Unwahrscheinlich wehgetan
Nr. 37/2019 Essay: Die Treuhand war viel
besser als ihr Ruf

Die »sauberen Beispiele« sind sicherlich
nicht die Mehrzahl. Eins von den schmut-
zigen: Siemens übernahm das Transfor-
matoren- und Röntgenwerk Dresden mit
allen Patenten, Geschäftsverbindungen
und allem Know-how, demontierte die

modernsten, eben erst aus dem Westen
importierten Maschinen, schickte sie zu-
rück gen Westen und verhökert heute die
Immobilie quadratmeterweise. Kein Ein-
zelfall. Der damalige Bundesjustizminis-
ter Klaus Kinkel von der FDP forderte die
Delegitimierung der DDR, der sächsische
Ministerpräsident Kurt Biedenkopf be-
setzte alle hoch dotierten Stellen mit über-
schüssigen, überalterten oder ungeeigne-
ten Beamten und deren Freundesfreun-
den, die sich heute als Sachsen deklarieren
und noch immer die Einheimischen kurz-
halten. Diese langjährige, durchaus anhal-
tende Praxis der »fünften Besatzungs-
macht« (nach Franzosen, Preußen, Nazis
und Sowjets) hat Pegida und die AfD groß
gemacht, und da sich nichts ändert, wer-
den sie mächtiger.
Harald Linke, Dresden

Es war die westdeutsche Mentalität, die
damals ausschlaggebend war: »Endlich ha-
ben wir den Beweis, dass Sozialismus Un-
sinn ist und der Neoliberalismus die einzig
wahre Religion!« Diese Stimmung, die
auch in der Treuhandanstalt vorgeherrscht
haben dürfte, hat viele Dinge erst möglich
gemacht.
Dr. Roland Reichwein, Münster

Ja, es gab leider inkompetente Chefs aus
dem Westen – und es gab leider auch
gangsterhafte Finanzausbeutung mittel-/
ostdeutscher Betriebe. Aber das sind, trotz
allem, nur Randbetrachtungen aus der Vo-
gelperspektive. Die in der Froschperspek-
tive vor Ort natürlich unwahrscheinlich
wehgetan haben. Was vielen Ex-DDR-
Betrieben das Rückgrat gebrochen hat, ist
die Währungsaufwertung 1990 im Verhält-
nis 1:5 – von jetzt auf sofort. Typisches
Beispiel hierfür ist die DDR-Waggon-In-
dustrie, die mit ihren moderaten Ostmark-
Verrechnungspreisen den gesamten Ost-
block versorgt hatte. Plötzlich aber muss-
ten die Bahnunternehmen von Bulgarien
bis in die UdSSR in teurer, konvertibler
D-Mark bezahlen – und konnten es natür-
lich nicht. Der Absatzmarkt brach folglich
zusammen – und die kompetenten Mitar-
beiter verloren ihren anspruchsvollen Job.
In der gesamten wirtschaftswissenschaft-
lichen Fachliteratur gibt es kein einziges
positiv belegtes Beispiel, das diese Brutal-
aufwertung heil überstanden hat. Des -
halb ziehe ich meinen Hut vor den vielen
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