Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Abfall und Trostlosigkeit, spricht der Mann amüsiert seinen Witz aus:
»Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im Hurenland?«


In dem riesigen Salon der Libyschen Akademie herrscht brütende Hitze,
obwohl die Fenster zum Garten und den weißen Mauern hin geöffnet sind.
Jede Telekommunikation zwischen Saal und Außenwelt wird durch ein
Schutzschild von Störsendern unterbunden – ein unsichtbares
elektromagnetisches Vakuum umgibt den Rais immer und überall, um
eventuelle ferngesteuerte Sprengsätze unwirksam zu machen. Hier soll es die
jungen Frauen daran hindern, während der Vorlesung Fotos zu machen und
ins soziale Netzwerk zu stellen.
Es sind über fünfhundert, nicht jede hat einen Sitzplatz gefunden. Die
verantwortliche Agentur musste sich fast überschlagen, um sie so kurzfristig
zusammenzubekommen. Es handelt sich um ein Portal für alle möglichen
Dienste (Escort und Hostessen), das sich rühmt, die persönlichen Bedürfnisse
jedes einzelnen Kunden zu erfüllen – taylor made custom service, heißt es
vollmundig auf der Homepage. Stichwort Diversifikation. Niemals allen das
gleiche book-image schicken. Um die Teilnehmer einer zahnmedizinischen
Konferenz zu ihren Plätzen zu führen, genügen auswärtige Studentinnen, die
halbwegs gut aussehen und sich auf der Seite registrieren, um die
monatlichen Zahlungen ihrer Eltern aufzustocken. Für ein Casting für
Fernsehkomparsen genügen sogar Mädchen mit schlichten Gesichtszügen
und mediterranen Oberschenkeln – auf den Gruppenfotos sieht man die
Cellulitis nicht. Dann gibt es Kunden, die letztlich den Großteil des Umsatzes
ausmachen und denen der passwortgeschützte Teil der Website vorbehalten
ist. Das sind zum Beispiel vermögende Unternehmer aus Nahost, die ihre
Frauen auf Shopping-Tour schicken und in der Zeit ihre sehr präzisen, aber
geheimen Bedürfnisse erfüllt sehen möchten, für die es echte Profis braucht,
am besten Ost-Europäerinnen. Was die Vermutung bestätigen würde, dass
sobald die arabischen Länder laizistisch werden, auch die russische
Pornoindustrie Einzug hält – oder umgekehrt. Zum Glück für die Agentur
liegen beide Szenarien offenbar noch in weiter Ferne.
In diesem Fall aber musste sie in nur wenigen Tagen fünfhundert junge
Frauen auftreiben, so dass die rigorosen Auswahlkriterien und
Kompetenztrennungen beiseite gelassen wurden. Im großen Amphitheater

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