Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

einziehen würde. Attilio erkannte ihn sofort. Vergeblich versuchte er sich zu
verstecken, doch mit seiner Größe überragte er fast alle, und die Menge
schob ihn genau auf den Mann zu. Bis jener ihn entdeckte und nach kurzem
Zögern wiedererkannte.
»Profeti!«
Der Ruf eines Mannes, der es gewohnt ist, vor Publikum zu sprechen, und
der seine Stimme über das Raunen der Menge erheben kann. Ebenso herzlich
wie autoritär.
Attilio unterdrückte den Reflex, sich umzusehen, ob andere ihn gehört
hatten. Seine Entscheidung, zur Trauerfeier zu gehen, war spontan gefallen.
Einfach aus Neugier, sagte er sich. Dennoch hatte er niemandem davon
erzählt, schon gar nicht Marella, die wie immer annahm, er sei bei der Arbeit.
Casati hatte er nicht belügen müssen. Getreu ihrer Übereinkunft fragte sein
Arbeitgeber nicht, was er tat, sondern nur, was dabei herauskam. Als er nun
aber seinen Namen vor all den Menschen hörte, spürte Attilio Profeti eine
tiefe Scham, als hätte er gerade gemerkt, ohne Hose auf die Straße gegangen
zu sein. Er hoffte aus ganzem Herzen, dass der Ruf von der Menge
aufgesogen wurde wie ein Tropfen Wasser in einem Schwamm, ohne Ränder
zu hinterlassen.
Doch da stand schon in dem schmalen Korridor, der in dem Gedränge
zwischen ihnen aufging, der Mann und reichte ihm die Hand. »Erinnerst du
dich an mich?«
Attilio wich seitlich aus, als sei die Hand eine auf ihn gerichtete Pistole.
»Bedaure«, murmelte er so leise, als könnten die kaum vernehmbaren Worte
ihn unsichtbar machen. »Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen.«
Der Mann musterte ihn. Obwohl er diesen Satz nicht gewohnt war,
reagierte er großzügig, fast wohlwollend.
»Ja, ja, ich weiß, ich sehe nicht mehr so gut aus wie in jungen Jahren ...
Ich bin Giorgio Almirante, ich habe früher deine Artikel für die Zeitschrift
redigiert, weißt du noch? Du hattest Talent, selbst dieser Hysteriker von
Cipriani schätzte dich.«
Attilio hatte sich wieder unter Kontrolle. Er warf ihm einen
messerscharfen Blick zu, mit dem er die letzten Bande mit seiner
Vergangenheit zerschnitt. »Sie irren sich. Sie müssen mich mit jemandem
verwechseln.«
In diesem Moment ging ein Ruck durch die Menschenmenge um die

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