Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Blechdose der Nationalen Kaffee-Ersatz-Industrie, die über ein halbes
Jahrhundert später auch Ilaria öffnen sollte. Er legte den gelben Brief hinein,
schloss den Deckel mit der Kaffeemühle und stellte die Dose dorthin zurück,
wo Marella sie nicht sah.
Abends im Bett, als Attilio sie im Arm hielt, fand Marella keine bequeme
Position. Ihr Vater hatte sie nur einmal umarmt, am Tag ihres Abiturs, mit
hölzernen Gliedern und abgestreckten Ellbogen. Von ihrer Mutter hatte sie
nur die grundlegendste aller Umarmungen bekommen, die des Uterus. Erst
bei Attilio hatte sie gelernt, wie friedvoll es sein konnte, die Wange an einer
freundlichen Brust abzulegen. Sie hatte nicht die Gabe, sich in andere
hineinzuversetzen (»Ich bin so zerstreut!«, sagte sie). Die Schicht wehrloser
Bedürftigkeit, die sie umgab, war so dick, dass sie sie von der Innenwelt der
anderen vollkommen abschnitt. In ihrer großen Verliebtheit war sie Attilio
gegenüber quasi blind. Zusammen mit seiner wohlwollenden Nicht-Liebe
entstand so zwischen ihnen eine gegenseitige Fremdheit, die sie teilten und
die daher beiden Trost spendete. Doch selbst Marella begriff an jenem
Abend, dass der Arm um ihre Schulter ungewöhnlich steif war.
»Woran denkst du?«
Das hatte sie noch nie gefragt, seit sie sich kannten.
Er atmete so tief ein, dass ihr Kopf auf seiner Brust sich hob. Ohne
auszuatmen schwieg er, und Marella war verunsichert. Hätte sie das nicht
fragen sollen?
Endlich und ohne sich zu bewegen, ohne ihr in die Augen zu schauen
oder die Spannung des Arms zu lockern, atmete er aus. Die Luft brachte
Worte mit, die nicht an sie, sondern an die Zimmerdecke gerichtet waren.
»Ach, was soll’s«, sagte Attilio Profeti. »Lass uns heiraten.«
berli17

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