Mantel und Reflektorstreifen. Ilaria wundert sich, dass sie nicht vor Hitze
umkommt. Sie weiß genau, dass Lina jedesmal am Spion ihrer Wohnungstür
stand, wenn sie und der Junge in den letzten Tagen die Treppe hinauf- oder
hinuntergegangen sind. Sie hat ihre Anwesenheit gleichsam gespürt, obwohl
sie anders als sonst nie die Tür für einen Schwatz aufmachte. Dass Ilaria –
und Attilio – diesen schwarzen Mann aufgenommen haben, hat ihr offenbar
so zu denken gegeben, dass sie selbst auf die wenigen, kostbaren, manchmal
tagelang einzigen Worte verzichtet hat, die sie mit einem Menschen wechselt.
Als sie die beiden jetzt ohne ihn antrifft, grüßt sie mit sichtlicher
Erleichterung, die aber sofort aus ihrem Gesicht weicht, als Attilio sie fragt,
ob sie ihn vielleicht irgendwo gesehen hat.
»Wir suchen ihn seit heute Morgen«, fügt Ilaria hinzu.
Ilaria weiß, dass die alte Dame sie mag, und so scheint ihr die
Verlegenheit, mit der sie auf die Frage reagiert, dieselbe zu sein wie die des
homophoben Opas, dem sein geliebter Enkel ganz ungeniert erzählt, dass er
schwul sei. Als ob das normal wäre.
Doch Lina ist auch eine freiwillige Wächterin, und als solche entgeht ihr
nichts im Viertel, das muss sie mitteilen.
»Ist er das?« Sie zeigt auf eine Gestalt, die auf dem Rasen in der Nähe der
antiken römischen Mauer liegt, die den kleinen Park auf der einen Seite
begrenzt. »Der liegt seit Stunden dort.«
Ilaria und Attilio gehen vorsichtig zu dem Mann. Er hat einen Arm über
die geschlossenen Augen gelegt, die Sohlen der nackten Füße sind viel heller
als die Knöchel, die Schuhe neben dem Kopf. Er hat nicht die geringste
Ähnlichkeit mit dem Jungen, weder vom Körperbau noch vom Gesicht her.
Das Einzige, was sie verbindet, ist der Kontinent, von dem sie kommen.
»Nein«, sagt Ilaria, »das ist er nicht.«
Lina zuckt mit den Schultern.
»Hast du schon da oben nachgeschaut, oberhalb der Via Giolitti? Solche
wie er gehen dorthin zum Essen.« Lina wirft einen Blick auf die alte
Armbanduhr, die sie von dem verstorbenen Polizisten, Gott hab ihn selig,
geerbt hat. »Gleich gibt’s Mittagessen.«
›Solche wie er‹ sind für Lina die Nigerianer, die auf dem hinteren Teil der
Via Giolitti den höhergelegten Bürgersteig bevölkern, direkt gegenüber vom
Autotunnel, der unter den Bahngleisen bei Porta Lorenzo durchführt. Eine
fast geheime Ecke des Esquilin, fernab vom Verkehr, der ein paar Meter
jeff_l
(Jeff_L)
#1