Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Brüsten so groß wie Globen, in den Armen das Liktorenbündel wie ein
Maschinengewehr. Im Hauptgebäude dominierte das gigantische Gemälde
Mussolinis auf einem schneeweißen Schlachtross die Reproduktion in
Originalgröße der Galeere von Marco Querini, dem Scharführer des linken
Flügels bei der Schlacht von Lepanto. »Eine wirkungsvolle Darstellung«,
befanden die Nachrichten, »der tausendjährigen Vorherrschaft der römischen
Kultur in den überseeischen Gebieten«. Schlüsselwort war »tausendjährig«.
Dieses Mal würde das durch den Faschismus wieder auferstandende
Römische Imperium ewig währen.
Attilio hatte die Aufgabe, Cipriani bei der Ausstattung des Abessinien-
Pavillons zu unterstützen. In den Vitrinen sollten Alltagsgegenstände gezeigt
werden, die die primitiven Gewohnheiten der Kolonialisierten im Gegensatz
zu den überlegenen Technologien illustrierten, von welchen sie nach Ankunft
der Italiener profitieren durften: Körbe, Mühlsteine, Musikinstrumente, ein
ausgestopftes Kalb, um die Kühe anzuregen, sich melken zu lassen, Spindeln
zum Spinnen von Wolle. Auffälliger als das armselige Sammelsurium
stachen zwischen zwei Vitrinen die Porträtaufnahmen hervor, die der
Anthropologe angefertigt hatte. Männer und Frauen mit nackten
Oberkörpern, lebensgroß von vorne und im Profil, starrten die
Ausstellungsbesucher wie Verbrecher von Fahndungsfotos herab an. Am Tag
der Eröffnung musste ein Großteil der Betrachter sich ein verlegenes Grinsen
verkneifen beim Anblick der vielen nackten Brüste. Besonders vor einem
Bild zogen die Familienmütter ihren Nachwuchs schnell weiter: Eine
äthiopische Frau, nicht mehr ganz jung, sah sie gleichgültig an, als hätten die
enormen Brüste, die einen Großteil des Fotos ausmachten, nichts mit ihr zu
tun.
Doch nichts erschütterte die Betrachter so sehr wie die hintere Wand des
Pavillons, die augenscheinlich mit unzähligen abgeschlagenen Köpfen
behängt war, deren Lider in einem eisigen Post-mortem-Frieden geschlossen
waren. Besucherinnen stießen Schreckensrufe aus, Kinder begannen zu
weinen, Männer bekamen weiche Knie. Im Übrigen waren die Zeitungen voll
gewesen mit Berichten von Enthauptungen durch abessinische Wilde,
sekundiert von anderen Formen der Barbarei. Erst beim Nähertreten wurde
klar, dass es sich nicht um makabre Kriegssouvenirs handelte, sondern um
Gipsmasken, die Cipriani dort unten gesammelt hatte. Sie waren sein ganzer
Stolz. Er hatte sie nach Hautfarbe geordnet, von tiefschwarz bis hellbraun,

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