»Menschenskinder!«, wiederholte er überwältigt von Rührung.
»Nigro, hast du sie?«, hallten die Schreie der anderen Republikaner
herüber, die sich vom Waldrand näherten. Attilio entwand sich Nigros
Bärenumarmung und versteckte sich hinter einem Baum in der Nähe einer
dicken uralten Eiche. Dort hockte schon reglos der andere Flüchtling.
»Wo sind sie hin?«, fragte einer der zwei Faschisten keuchend, als er
Nigro erreichte.
Der zuckte mit den Schultern. Der große blonde Kopf wackelte, und seine
Hundeaugen schweiften nach links, wo sein ehemaliger Kamerad sich
versteckte.
»Da rüber«, sagte er. Und wies mit dem erhobenen Arm nach rechts.
Die drei Republikaner entfernten sich in die angezeigte Richtung. Kurz
bevor er im Dickicht des Waldes verschwand, wandte Nigro der alten Eiche
einen letzten, nostalgischen Blick seiner blauen Augen zu, in denen Unglaube
und Zweifel lagen, ob er das Richtige getan hatte.
»Menschenskinder ...«, murmelte er noch einmal. Dann rannte er seinen
Genossen hinterher und war nicht mehr zu sehen.
Als ihre Stimmen verklungen waren, flohen Attilio und der andere in die
entgegengesetzte Richtung. Fast eine halbe Stunde blieben sie nicht stehen.
Erst als sie einen Hügel erklommen hatten und den Abhang erblickten, der
nach Bagno di Romagna hinabführte, stützten sie sich keuchend auf die Knie
und hielten sich die Seiten vor Anstrengung. Sie ließen sich auf den Boden
fallen, um Atem zu schöpfen.
Attilios Ärmel war mit Blut getränkt. Vorsichtig schlüpfte er aus dem
Mantel und knöpfte sein Hemd auf. Die Wunde war lang, aber nicht tief. Die
Kugel hatte seinen Arm gestreift und eine rote Furche hinterlassen, war aber
nicht stecken geblieben. Wer weiß, in welchen Baumstamm sie sich gebohrt
hatte.
»Ihr seid ein Mann mit Glück«, sagte sein Mit-Abenteurer, und Attilio
nickte. »Und ich auch, weil ich Euch getroffen habe. Sonst hätten sie mich
geschnappt.«
Er sah ihn lange an, wie ein Gutachter, der sich sein Urteil bildet – mit
diesem Blick sollte er ihn zehn Jahre später über den Schreibtisch aus
Walnussholz mustern. Attilio irritierte erneut das Überlegenheitsgefühl, das
in diesem Blick mitschwang.
»Gut. Euren Namen kenne ich nun. Meiner lautet Edoardo Casati.«
jeff_l
(Jeff_L)
#1