Attilio sah auf die Hand, die er ihm hinstreckte. Er drückte sie, ohne sich
seinen Widerwillen anmerken zu lassen.
Er kam nicht mehr rechtzeitig zur Beerdigung seiner Mutter. Der Sarg war
schon drei Tage unter der Erde, als Ernani ihn zum Friedhof begleitete. Sie
blieben nicht lange, betrachteten die aufgehäufte, lockere Erde mit dem
provisorischen Holzkreuz, zwischen Engeln und verschleierten Frauen aus
Stein. Auf dem Heimweg zeigte Ernani auf eine Gedenktafel, die an den
Ziegelsteinen der antiken Festung hing.
»Habe ich dir je erzählt, wer Schmiere stand, während Olindo Guerrini
sie an der Mauer befestigte?«
»Ja, oft.« In einer seltenen Regung der Empathie, die vielleicht dem
Sturm an Emotionen entstieg, dem Attilio ausgesetzt war, bemerkte er seinen
eiligen Tonfall, wie Viola ihn immer Ernani gegenüber angeschlagen hatte.
Mit etwas sanfterer Stimme fügte er hinzu: »Dein Vater, nicht wahr?«
»Ja. Schade, dass du ihn nie kennengelernt hast. Nonno Aroldo war ein
echter Typ. Weißt du, wie er genannt wurde?«
»Wie denn?«
»Der Toleriertnicht. Deshalb.«
Sie blieben vor der Inschrift stehen, breitbeinig der junge Mann, der Alte
viel gebeugter als üblich für sein Alter. Jeder für sich lasen sie die
gemeißelten Worte, in dem angefüllten Schweigen zwischen Erwachsenen,
wie Ernani es nie mit Attilio geteilt hatte, der immer mehr der Sohn seiner
Mutter als seiner gewesen war.
MÖGE DIE ERINNERUNG
AN ANDREA RELENCINI
DIESEN STEIN ÜBERDAUERN
ERHÄNGT UND VERBRANNT NICHT FERN VON HIER
IM JAHR MDLXXXI
NACH URTEIL DER HEILIGEN INQUISITION
ALS MAHNUNG AN ALLE, DENN DIE KIRCHE TOLERIERT
NICHT EINEN HAUCH VON FREIHEIT.
Ernani stieß unwillkürlich einen tiefen Seufzer aus wie jemand, der aus einem
Tauchgang in die eigene Gedankenwelt zurückkehrt.