Er sah hinter seinen dicken runden Brillengläsern direkt in Attilios
Augen. »Paolo Mantegazza, Physiologie des Hasses. Dieses Buch solltet Ihr
aufmerksam lesen.« Er legte es ihm in die Hände. »Seht mal, Profeti, wenn
wir aus diesem Ort eine blühende Kolonie machen wollen, dürfen wir nie
vergessen, mit wem wir es zu tun haben. Wusstet Ihr, dass bis zu unserer
Ankunft in Eritrea die degiac den Feldsklaven eine Handvoll Erde in den
Nacken legten?«
»Nein.«
»Könnt Ihr Euch denken, warum?«
»Nein ...«
»Damit sie in gebückter Haltung bei der Arbeit blieben. Wenn der Sklave
es wagte, den Kopf zu heben, fiel die Erde runter, und schon gab’s die
Lederpeitsche. So behandeln die Neger sich gegenseitig, so sind sie es
gewohnt.«
In Ciprianis Miene trat plötzlich ein Ausdruck des ehrlichen Eifers, wie
Attilio es noch nie an ihm gesehen hatte.
»Profeti, hört mir zu. Ihr seid ein talentierter junger Mann. Aber ihr müsst
noch viel begreifen. Es gibt Völker, denen liegt das Sklaventum im Blut.
Anderen, wie dem italienischen, liegt die Kultur im Blut. Und niemand kann
verändern, was durch die eigenen Adern läuft.«
Es war nicht immer leicht, Freiwillige für die Vermessung zu finden. Die
einen wollten nicht, die anderen nur gegen Geld, manche rannten weg. Doch
wenn er sich mit einem kleinen Trupp von Askaris einem der umzäunten
Dörfchen näherte, mit Gewehren, Uniformen und Wickelgamaschen, gab es
kaum Widerstand, sondern ruhige Kollaboration. Cipriani wusste, dass diese
friedliche Atmosphäre Profetis Verdienst war. Er gab den Leuten, die er
anführte, den Ton vor, begonnen bei der tadellosen Uniform – sein Askari-
Bursche verwendete einen Großteil des Tages am Flussbett darauf, zu
waschen. Er flößte weniger Angst als Respekt ein. Schon als Kind war Attilio
wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die übrige Welt ihm mit
wohlwollender Bewunderung begegnete. Und die bekam er so gut wie
immer, durch das ungerechte Privileg, dass das Leben dem, der viel hat, noch
mehr gibt. Er war charismatisch, um- und zugänglich, und das ohne jede
Anstrengung, bis auf die tägliche Einreibung mit der Seife seines Burschen.
Das größte Interesse an den anthropometrischen Messungen zeigten die
Frauen, vielleicht weil sie einen willkommenen Vorwand darstellten, ihre
jeff_l
(Jeff_L)
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