Grausamkeiten.« Am Ende fuhr er mit seiner Tinte nur über die letzten sechs
Worte.
Aus den Briefen sprach abgrundtiefe Einsamkeit. Was kein Wunder war.
Es gab noch so gut wie keine weißen Frauen in den Kolonien, ein Problem,
das auch das Regime erkannt hatte. Die Italienische Gesellschaft für Genetik
und Eugenik hatte vorgeschlagen, Waisenmädchen nach Afrika zu bringen
und in Heimen aufzubewahren, bis sie im heiratsfähigen Alter waren. Doch
in der Zwischenzeit gab es zu viele einsame Männer. Manchmal fand Attilio
in den Umschlägen Geldanweisungen für italienische Zeitungen, um damit
eine Heiratsanzeige zu bezahlen: »Ehefrau gesucht, jungfräulich, mit gutem
Charakter, angenehmem Äußeren, Arbeiterin, nicht über 1,50 m.« In einigen
Fällen hatten diese Inserate Erfolg. Im Postbüro kamen Briefe von offiziellen
Verlobten an, von Mädchen, die in die Kolonien gehen wollten, um einen
Unbekannten zu heiraten. Nicht selten schreckten sie dann aber doch zurück
und sagten alles wieder ab, normalerweise kurz vor der Abreise. Der arme
Heiratsanwärter flehte sie an, es sich noch einmal zu überlegen, sie
antworteten immer ausweichender, schließlich trat Funkstille ein. Attilio
verfolgte die Briefwechsel aus amüsierter Distanz, solidarisch zwar, aber in
der fröhlichen Gewissheit, dass ihn das alles nichts anging. Er hatte jetzt
Abeba.
Abeba heißt Blume, doch eine Blume, die keine Früchte trägt, verliert alle
Anmut, alle Schönheit. Eine Frau zu haben, die unfruchtbar ist, heißt mit
einem Sack Steine herumzulaufen. Deshalb hatte ihr Mann sich scheiden
lassen.
Dabei hatte es ihn viel Mühe gekostet, die Ehe mit Abeba zu arrangieren.
Ihr Vater hatte sicherstellen wollen, dass es in der Familie des Bräutigams
keine gewalttätige Fehde gab, dass kein Gläubiger Anrecht auf die
Besitztümer hatte und vor allem dass bei den Vorfahren keine Spuren
unreinen Blutes zu finden waren: keine Diener, Hexer, Schlosser,
Goldschmiede, Geigen- oder Flötenspieler. Obwohl er ein recht gebildeter
Mann war – er konnte lesen und schreiben, wenn auch mit Mühe –, traute
Abebas Vater den Unterlagen nicht, denn alles, was man schreiben kann,
kann man auch fälschen. Also hatte er die zukünftigen Schwiegereltern, die
Ältesten des Hauses und auch die Brüder und Schwestern des Bräutigams
gebeten, mit lauter Stimme ihre Herkunft aufzusagen. Jeder Amhare konnte