Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

allem, weil er den Kopf schüttelt.
»Sie sind unsere Grenzen. Die wir angeblich abgeschafft haben.
Schranken und Niemandsland gibt es scheinbar nicht mehr, aber wir haben
sie nur versteckt. Die CIE sind Europas neue Grenzen. Die Bastionen unserer
Identität. Unserer selbst, die wir Rechtsstaatlichkeit genießen und bestimmt
keine Nazis sind, wir stecken ja nicht unschuldige Menschen in
Konzentrationslager für das, was sie sind – also weil sie Juden oder Zigeuner
sind. Doch komischerweise landet man im CIE nicht, weil man eine Straftat
begangen hat, sondern nur für das, was man ist. Weil man ein Illegaler ist.«
Der unterdrückte Ekel, mit dem er dieses Wort ausspricht, wirkt fast
explosiv, und nun erst begreift Ilaria, warum Valente ihnen diese
unangenehmen Fragen stellt. Nicht, um sie zu provozieren, sondern um seine
eigene Wut im Zaum zu halten. ›Er versucht, nicht zu schreien.‹
Ilaria fällt der sonnendurchflutete Vormittag ein, als sie vor ein paar
Monaten mit Tausenden Kollegen durch Roms Straßen zog. Sie
demonstrierten gegen den Gesetzesentwurf, mit dem die Regierung das
sogenannte »Delikt der Illegalität« einführen wollte (die Worte sind in ihrem
Kopf mit dem gleichen Ekel des Anwalts belegt). Vor allem gegen den
Artikel, mit dem man den Kindern von irregulären Einwanderern den
Schulbesuch untersagen wollte. Außer den Lehrern gingen auch Ärzte und
Angestellte des Gesundheitssektors mit, angeführt von einem Banner, auf
dem Berlusconis strahlende Zahnreihe gerade ein Schulgebäude verschlingt.
Sie protestierten gegen die Pflicht, die Illegalen, die in die Krankenhäuser
kommen, bei der Polizei zu melden. Die Demonstration hatte schließlich zu
einem der wenigen Erfolge der Opposition beigetragen. Die Artikel zu Schule
und Gesundheit waren nicht durchs Parlament gekommen, weil sogar einige
rechte Abgeordnete, unter ihnen Piero, die Zustimmung verweigert hatten.
Noch viel deutlicher erinnert sich Ilaria an das Gefühl der Empörung, das sie
bei dieser Demonstration begleitete, Empörung über diesen Plan, der nicht
nur dumm und gefährlich war – Leute mit ansteckenden Krankheiten, die
sich nach dem Willen der Gesundheitsbehörden verstecken sollen –, sondern
der den Menschen auch das Grundrecht auf Bildung und Gesundheit
absprach. Ganz unerwartet erkennt Ilaria in diesem nicht sonderlich
sympathischen Mann einen der ihren. Aus der Sippe der unbelehrbaren
Nervensägen.
»Es stimmt«, sagt sie zu ihm. »Mit dieser Regierung hat der faschistische

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